Warum ich kein Smartphone nutze (ergänzt um eine Widerrede)

9. 10. 2015 | Nachdem mein zwischenzeitlich genutztes Smartphone der geplanten Obsoleszenz zu Opfer fiel, holte ich vor vielleicht einem Jahr übergangsweise  – wie ich erst dachte -mein 10 Jahre altes Nokia aus der Schublade. Ich fühle mich erleichtert und befreit und kann das nur zur Nachahmung empfehlen.

Da ist zum einen die Tatsache, dass die vorinstallierten Apps und viele von denen, die man sich später selbst herunterlädt vor allem einem Zweck zu dienen scheinen: persönliche Informationen über unser Verhalten, unsere Kontakte und unsere Interessen zu sammeln und an Werbetreiber und sonstige Interessierte zu verkaufen. Ein Smartphone macht uns gläsern.

Snowden Ergänzung (10.10.2015 um 8:30 Uhr): Edward Snowden hat in einem BBC-Interview enthüllt, welche Fähigkeiten und Rechte der britische Geheimdienst hat, das Smartphone jedes Bürgers zu nutzen, um diesen und seine Umgebung auszuspionieren. Die Regierungen sparen jede Menge Geld dadurch, dass sie uns dazu bringen, unsere eigenen elektronischen Fußfesseln und Überwachungsgeräte zu kaufen.

Die kleinen, fiesen Programme, die sie aufspielen sorgen dafür, dass sie die Smartphones unbemerkt an und ausschalten können, oder auch nur das Mikrofon, um alles mitzuhören, was in der Umgebung des Smartphones passiert. Sie können natürlich alle Gespräche mithören und sie können fast auf den Meter genau feststellen und dokumentieren, wo wir uns zu jeder Zeit aufhalten. Das betrifft nicht etwa nur Terroristen und sonstige Kriminelle. In Großbritannien kann dem Artikel zufolge jeder Demonstrant und Protestierende präventiv abgehört und sogar verhaftet werden, dem Kampf gegen den Terror sei Dank.

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Widerrede zu diesem Teil von einem Leser (12.10.2015)

Geheimdienste betreiben anlasslose Massenüberwachung und gezielte Überwachung. Das alte Nokia verfügt ebenfalls über ein Mikrophon. Es ist extrem viel leichter, das Baseband eines alten Nokias zu hacken als das eines aktuellen Smartphones. Zusätzliche Verwundbarkeiten des Smartphones durch das Betreibssystem fallen gegenüber der extremen Verwundbarkeit durch das alte Basebands nicht ins Gewicht. Die Verwendung eines alten Nokias wirkt daher risikoerhöhend. Ebenso fallen bei dem alten Nokia Standortdaten und Kommunikationsmetadaten an, die mindestens in anlassloser Massenüberwachung erfasst werden. Ein Smartphone kann allerdings mehr Daten erfassen als ein altes Nokia (und damit mehr Daten zum Abschöpfen durch die Geheimdienste bieten), dies hängt aber von der konkreten Verwendung ab.

Also, kurz: wer das Risko vermeiden will, das Geheimdienste das Mobiltelefon zur Raumüberwachung nutzen, darf überhaupt kein Mobiltelefon verwenden. Wer nicht will, dass Geheimdienste anhand von Mobiltelefonen feststellen, wer an einer Demonstration teilnimmt (Beispiel aus der verlinkten Zusammenfassung des Snowdeninterviews), sollte Mobiltelefone generell nicht mit zu Demonstrationen nehmen.

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Und dann ist da noch diese (gekürzte) Presseinformation des Redaktionsbüro Ecken:

„Zweifellos schicken sich Smartphones und deren kleine Helferlein an, uns nicht nur zu unterstützen, sondern das Regime zu übernehmen. Diese Ansicht vertritt Professor Dr. Gerald Lembke von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Während es im privaten Alltag eher zu weniger sozialer Interaktion und im Straßenverkehr immer häufiger zu  lebensgefährlichen Situationen komme, raubten digitale Parasiten im Wirtschaftsleben Konzentration, Arbeitsfluss, Gesundheit und – teure Arbeitszeit. Valide Studien für den deutschen Arbeitsmarkt gibt es allerdings noch nicht.

(Doch) hat der Wissenschaftler Alexander Markowetz von der Uni Bonn im „Menthal Projekt“ kürzlich die psycho-sozialen Folgen bei 300.000 Smartphone-Nutzern untersucht. Drei Stunden befassen sich demnach die Nutzer täglich mit ihrem Digital-Gerät, das sie bis zu 60-mal zücken. Dabei ist es gar nicht mal so sehr die absolute Dauer, es sind die häufigen Unterbrechungen, die den Arbeitstag in viele kleine Teile zerlegen und damit die Produktivität am Arbeitsplatz drastisch einschränken.

Lembke weist auf weitere Studien hin. In einer Studie von ibi researach an der Universität Regensburg („Digital2014“) geben die Befragten an, dass die „stärksten Auswirkungen“ der Digitalität am Arbeitsplatz festzustellen sind. Die „ständige Erreichbarkeit – bedingt durch einen erhöhten Stressfaktor und weniger Freizeit“ bewirke negative Auswirkungen auf Gesundheit und Privatleben, so eines der Ergebenisse der Umfrage. Mehr als ein Viertel der Befragten nutzt täglich Soziale Medien – auch beruflich. Das vermindere, neben positiven Networking-Effekten merklich die Konzentrationsfähigkeit.

Mehr als zwei Drittel leiden unter „Phantomvibrieren“
Der mittlerweile erreichte Stellenwert des Smartphones zeigt sich auch am sogenannten „Phantomvibrieren“: Mehr als zwei Drittel der Befragten der ibi-research-Umfrage glauben gelegentlich, dass das Mobiltelefon klingelt  oder vibriert, obwohl sie weder einen Anruf noch eine Nachricht erhalten haben.

Der Stressreport der Bundesagentur für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2012) verweist ebenfalls auf eine massive Verdichtung des Arbeits- und Zeitdrucks bei den Beschäftigten. Etwa ein Viertel der Beschäftigten, so die Agentur, verzichte mittlerweile auf ihre Arbeitspausen: der Arbeitstag beginne nicht mehr mit dem Betreten des Büros: SMS- und Messenger-Nachrichten würden sowohl auf dem Weg zur Arbeit, in den Arbeitspausen als auch in der Freizeit gelesen, wie ein Forschungsprojekt der TU Berlin beklagte und die Leser sarkastisch mit „Willkommen im Hamsterrad der postindustriellen Arbeitswelt“ begrüßte.

 Autonomie und Konzentrationsfähigkeit auf dem Rückzug
Für Professor Lembke decken sich diese Befunde mit den eigenen Beobachtungen der digitalen Welt: Die  Autonomie und Selbstän-digkeit, so Lembke, nimmt bei hoher digitaler Mediennutzung ab. Gleichzeitig sinke die Konzentrationsfähigkeit  durch exzessive digitale Mediennutzung überproportional ab und werde sogar verlernt. Das kollaborative Zusammenarbeiten nutze dabei nur einer kleinen Minderheit. Und Internetinhalte würden lediglich rezipiert – jedoch kaum zielfördernd bewertet oder weiterverarbeitet. Die „Wisch- und Copy-Paste-Kompetenz“, präge sich weiter aus, doch gleichzeitig sinke das konzentrierte und zielorientiertes Arbeitsverhalten über alle Bereiche, von Schule, Studium bis hin zur Arbeitswelt.

Über Professor Dr. Gerald Lembke
Gerald Lembke ist Professor, Buchautor und Unternehmer für den Umgang mit Digitalen Medien in Wirtschaft und Gesellschaft. Er ist Präsident des „Bundesverbandes für Medien und Marketing“ (BVMM), einem aktiven Netzwerk für Digitalität in Marketing und Vertrieb. Er fördert den Austausch und die Vermittlung zwischen Digital Natives und Wirtschaft.

Heidelberg/Weinheim 9. Oktober 2015″

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