Von Hartmut Leinweber: Zur Ergänzung des Beitrags „Eine Flüchtlingspolitik, die die Schwächsten gegen die Schwachen ausspielt, treibt diese zu rechten Parteien“ möchte ich die Ursachen von Flüchtlingsströmen beleuchten, der den Schwächsten kaum eine andere Chance lässt, als dort hinzugehen, wo vermeintlich Milch und Honig fließt. Es geht um den Freihandel und die „Entwicklungspolitik“.
Der Beitrag darf auch als Replik verstanden werden auf den Handelsblattkommentar „Wie TTIP dem Handel hilft“ (08.10.2015, komplett nur im Abo) des Gastautors Prof. Welfens. Dieser versucht in bekannter Manier mittels axiomatischer Wolkenkuckucksheimtheorien dem Publikum die Segnungen des Freihandels zu verkaufen. Dabei lässt er souverän jegliche empirische Realität über die „Erfolge“ der Freihandelsideologie außer Acht.
Die Flüchtlingskrise und Ihre Ursachen
Der seit Sommer anschwellende Flüchtlingsstrom aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens, aus Afrika und den Balkanländern hat vielschichtige Ursachen: Bürgerkriege, Terror, Diktaturen, Hungerkatastrophen, Perspektivlosigkeit. Jedes Land und jeder Mensch hat seine eigene Geschichte, seine eigene Erklärung.
Ein gemeinsames Muster ist aber klar zu erkennen, denn fast alle Flüchtlinge kommen aus gescheiterten Staaten. Dafür gibt es politische und ökonomische Gründe. Wir wollen uns hier kurz mit politischen Ursachen, die immer auch ökonomisch begleitet werden und ausführlicher mit den ökonomischen Ursachen beschäftigen. Nur wenn Ursachen erkannt sind und man sich an deren Behebung begibt, ist man in der Lage die Flüchtlingsströme aufzuhalten. Zäune werden die Wanderung höchstens behindern, aber nicht verhindern. Und es ist offensichtlich nicht jedem klar, dass die derzeitigen Bewegungen nur die Vorhut dessen sind, was in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukommt
Nahostpolitik des Westens komplett gescheitert
Nach den Anschlägen der Al Qaida vom September 2001 hat der Westen unter Führung von Amerika das Ziel ausgerufen, demokratische Strukturen in den arabischen Ländern Vorderasiens und Nordafrikas zu implementieren. Das Interesse der USA war auch deswegen so groß, weil die dort liegenden Ölvorkommen von überragender Wichtigkeit für die westlichen Industrienationen waren und sind. Tatsächlich konnten über diverse Kriege in Afghanistan, dem Irak und Lybien deren Diktatoren vertrieben bzw. getötet werden. Über den arabischen Frühling kamen dann weitere Machthaber zu Fall (Mubarak) oder verloren Ihren Staat (Assad).
Nur, was hat sich in der Region und diesen Ländern zum Besseren gewendet? Nichts! Der Zustand einiger Staaten ist mit Totalkatastrophe milde beschrieben. Man hat „Failed States“ produziert und keine Idee, wie man das Desaster meistern soll.
Gleichzeitig macht der Westen beste Geschäfte (auch Waffenlieferungen) mit Saudi-Arabien und Katar, zwei Klepotokratien, die den IS wesentlich finanzieren und man hat mit der Türkei einen NATO-Partner, über den der IS seine Ölverkäufe abwickelt. Und in dieser Situation tritt nun auch noch Putin auf den Plan und möchte mit seiner Methodik „helfen“, das Problem zu lösen. Wer da noch optimistisch bleibt, dem ist wohl nicht mehr zu helfen.
Aus gescheiterten Staaten, die sich zudem im Krieg befinden, werden Flüchtlinge so lange ausströmen, bis keine mehr da sind.
Untaugliche Entwicklungspolitik
Die jüngere Geschichte der Entwicklungspolitik wurde in den 1980er Jahren implementiert und kann heute getrost als gescheitert eingeordnet werden. Die Ökonomen von Weltbank und IWF haben Entwicklung vor allem als ein Problem des Transfers von Technologie gesehen. Deshalb haben sie versucht, den Entwicklungsländern durch die Ansiedlung von internationalen Konzernen zum Sprung nach vorne zu verhelfen. Zu diesem Zweck müsse man, so die Berater, das Entwicklungsland für das ausländische Kapital attraktiv machen. Was das konkret bedeutet wurde später im „Washingtoner Consensus“ festgehalten: Freie Kapitalmärkte, freier Handel, Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, Deregulierung, tiefe Löhne, Privatisierung und Sparprogramme des Staates.
Mit den oben beschriebenen Programmen und einer vollständig anzustrebenden Handelsliberalisierung versuchten die Berater aus IWF und der Weltbank in den letzten 30 Jahren insbesondere die Länder Lateinamerikas und Afrikas südlich der Sahara voranzubringen. Der heutige Chef des „Eurorettungsschirmes“ (ESM) Klaus Regling war übrigens damals wesentlich an der Umsetzung dieses Programmes als IWF Berater beteiligt.
Wir können jedoch empirisch klar belegen, dass die den Maßnahmen zugrunde liegende Freihandelstheorie eindeutig nicht zu positiver Entwicklung beigetragen hat. Im Gegenteil, hat sich der Abstand zu den entwickelten Ländern deutlich ausgeweitet.
Tatsächlich gibt es für erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung andere, empirisch klar belegte Gründe, welche Nationen voranbringen. Dafür sind im wesentlichen drei Vorraussetzungen zu nennen:
- Größenvorteile (Industriealisierung)
Technologische Veränderungen (Innovationen)
Zugang zu inländischen Krediten
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Zudem ist die Abschottung (Zölle) vor ausländischer Konkurrenz erforderlich, wenn das Ausland technolgisch weiter ist. Zum Anstoß positiver Entwicklung hat sich staatliche gezielte Industriepolitik zumeist als sehr effizient erwiesen. Die asiatischen Länder wie z.B. Japan, Korea und zuletzt China (auch für andere asiatische Tiger gilt dies) haben sich nicht an die Vorgaben von IWF und Weltbank gehalten. Sie haben sich gezielt Staatsinterventionen auf die Fahnen geschrieben. Japan war mit Abschottung und Subventionierung lange sehr erfolgreich. Erst als Ende der 1980er die Wende neoliberalen Agenda erfolgte, begann die noch heute andauernde Stagnation.
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Korea hat ohne vorheriges Know How und ohne Rohstoffe staatlich angestoßen in Stahl- und Schiffsbau, in Autoindustrie und Elektronik investiert und beheimatet heute zahlreiche Weltmarktführer (z.B. Hyundai, Samsung). China ist alles andere als eine freie Marktwirtschaft, hat gezielt staatlich investiert, hat sich massiv nach außen geschützt und stetig die Mindestlöhne erhöht. Auch in Deutschland gibt es solche Erfolgsgeschichten. Das Agrarland Bayern hat seine wirtschaftliche Prosperität nicht durch Freihandel gewonnen, sondern durch gezielte staatliche Industrieansiedlung. Ähnliche Erfolgsstorys aus Südamerika oder Afrika, also den Ländern, die sich an den Rat von IWF und Weltbank orientiert hatten, sind in den letzten 30 Jahren nicht zu vermelden gewesen.
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USA und UK – Vorbilder für Freihandel?
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Als die Länder des freien Marktes gelten heute Großbritannien und vor allem die USA. Und man sollte annehmen, dass sich gerade diese Länder mittels Freihandel industriealisiert und an die Spitzenposition weltweit gesetzt haben. Manche Amerikaner nennen ihre Dollarscheine – dem Synonym für den freien Markt – „dead presidents“. Zwar waren nicht alle abgebildeten Persönlichkeiten (z.B. Benjamin Franklin) US-Präsident, aber alle Persönlichkeiten auf amerikanischen Dollarscheinen hatten eines gemeinsam. Sie traten massiv für Protektionismus, z.T. Verstaatlichung, Subventionierung und Regulierung ein. Die USA sind groß geworden durch Protektionismus und betreiben diese Politik entgegen der Sonntagsreden noch heute sehr massiv. Auch die Industriealisierung der Briten ist nicht im freien Markt erfolgt, sondern mit Subvention und Abschottung der Wollindustrie und heute schützt eine große Glocke ihre wichtigste Industrie, das zerstörerische Finanzcasino der Londoner City. In Deutschland wurde der industrielle Rückstand zu Großbritannien schnell abgebaut, nachdem der Ökonom Friedrich List den Deutschen Zollverein (1833) mit freiem Binnenmarkt, aber Zollgrenzen nach außen durchsetzte. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts überholte man die Briten sogar.
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Betrachtet man die historischen Entwicklungen zum wirtschaftlichen Erfolg von Nationen, so ist festzustellen, dass die 200 Jahre alte Theorie des englischen Ökonomen und erfolgreichen Exportunternehmers David Ricardo über die „Segnungen“ des freien Handels als großer Trugschluss entlarvt worden ist. Beim Freihandel kommt es auf die wirtschaftliche Stärke der Länder (Terms of Trade), aber auch der beteiligten Unternehmen an. Divergieren diese, so ist empirisch belegt fast immer die starke Nation, das starke Unternehmen der Sieger. Dennoch unterstützt sowohl die EU – angefeuert von mehr als 20.000 Lobbyisten insbesondere der Groß- und Finanzindustrie in Brüssel – wie auch die USA vorbehaltlos die Freihandelsideologie.
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Freihandel zerstört Afrika
Erst letztes Jahr hat die EU ein Freihandelsabkommen (EPA) mit mehreren afrikanischen Staaten abgeschlossen. Das EPA fordert die afrikanischen Länder auf, ihre Märkte bis zu 83 Prozent für europäische Importe zu öffnen und hierbei schrittweise Zölle und Gebühren abzuschaffen. Im Gegenzug erhalten afrikanische Unternehmen zollfreien Zugang zum europäischen Markt. Viele afrikanische Staaten sträubten sich jedoch gegen die Unterzeichnung von EPA, weil sie unter anderem fürchteten, den Handelswettbewerb gegen europäische Unternehmen zu verlieren. Auch Kenia verweigerte die Unterschrift. Daraufhin verhängte die EU in erpresserischer Weise Einfuhrzölle auf mehrere kenianische Produkte. Am Ende knickte das Land ein und unterschrieb.
Die Folge wird sein, dass die afrikanischen Länder mit unseren Exporten überschwemmt werden und deren Bauern, Kleingewerbetreibende und die zumeist technologisch rückständige Industrie den Kürzeren ziehen wird.
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Und wir wundern uns, warum sich die Leute, die so ihre Einkommensmöglichkeiten verlieren, auf den beschwerlichen Weg nach Europa machen. Wir, unser Wohlstand und unsere fatale Wirtschafts-politik sind Schuld daran. Es ist unfassbar, dass unsere Politiker die Einflüsterungen der Lobbyisten 1:1 übernehmen und damit eine derartig menschenverachtende Politik betreiben.
200 Mio. Klimaflüchtlinge erwartet.
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Die UNO prognostiziert zudem ca. 200 Millionen Menschen, die sich in den nächsten dreißig Jahren von der Südhalbkugel auf den Weg zur Nordhalbkugel machen. Die Klimaveränderungen werden Ihnen die Lebensgrundlagen rauben.
Und wer ist der Verursacher? Natürlich wir von der Norhalbkugel, angefeuert vom Freihandelsdogma. Jeder Interessierte weis inzwischen, welch fatales Ergebnis mit dem TTIP Abkommen zwischen EU und USA erzielt werden soll. Es geht nicht um Freihandel zwischen gleich starken Partnern, es geht um die Unterwerfung der Gesetzgeber unter die Interessen der Großindustrie und damit um die schleichende Abschaffung der Demokratie. Es gibt zwischen Rechtsstaaten keinen Grund für ein Investitionsschutzabkommen, dass den Bürgern nützen könnte. Der amerikanische Ökonomienobelpreisträger Stiglitz hat das Ansinnen seines Landes klar formuliert. Es geht um die Unterwerfung der Partner unter die amerikanischen Konzerne. Denn in den geheimnisumwitterten Vertragsverhandlungen, nicht mal Parlamentarier haben Einblick, ist u.a. vorgesehen, dass Gesetzes-entwürfe künftig darauf überprüft werden, ob sie den Interessen von Konzernen schaden können. Wollen das unsere politischen Führer wirklich?
Von wirtschaftlichen Vorteilen des Akommens für die Bürger reden inzwischen wohl nur noch Interessenvertreter sowie Politiker, welche vermut-lich noch an den Weihnachtsmann glauben.
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Die Ergebnisse des bereits 1994 vereinbarten nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA (USA, Kanada, Mexiko) sollten uns eine Warnung sein. Berechnungen gehen 600.000 bis 1.200.000 verlorenen Arbeitsplätzen aus. Zahl-reichen Mexikanern aber auch den Schwächsten in den anderen beteiligten Staaten wurde damit die Lebensgrundlage entzogen und eine riesige Zahl kleiner und mittlerer Betriebe scheiterte. Die Fluchtbewegungen von Mexiko in die USA haben, wen wunderts, gleichzeitig stark zugenommen.
Wohlstand für Alle?
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Ich gehe sehr konform mit Ludwig Erhards Credo von sozialer Marktwirtschaft: „Wohlstand für Alle!“
Mir scheint, dass dieses Credo nur noch in Sonntagsreden gilt. Die Realität der Freihandels-ideologie meint wohl eher: „Wohlstand für alle Banker, Industriekapitäne und Rentiers!“