Lehre aus dem Türkei-Putsch: Die Bundeswehr ist unterwandert und Erdogan der Schurke (mit Nachtrag)

Die Medienberichterstattung in Deutschland zum Putschversuch in der Türkei zeigt ein gespanntes Verhältnis zur Demokratie, wenn das Volk die falsche Regierung wählt und unterstützt, etwa eine islamisch orientierte. Welt und FAZ wissen sogar: Erdogan hat wohl den Putsch inszeniert.

Auf ntv.de etwa war Samstagmorgen folgendes zu lesen:

„…haben Beobachter einen Putsch für extrem unwahrscheinlich gehalten, da das Militär als weitgehend ‚gleichgeschaltet‚ gelte.“

Der Korrespondent der ARD in Istanbul sprach kurz nach Mitternacht, als der Putsch noch lief in gleichem Sinne davon, dass ein Putsch als unwahrscheinlich gegolten habe, weil die Regierung das Militär „unterwandert“ habe.

Das sind zwei eindeutig negativ besetzte Begriffe dafür, dass eine demokratisch legitimierte Regierung die Kontrolle über das Militär hat, so wie es eigentlich sein sollte. Wie absurd diese Wortwahl ist, sieht man, wenn man sie auf die Bundeswehr überträgt. Die meisten Leute würden es gut finden, dass diese ohne Zweifel unter der Kontrolle der Regierung steht und kein Eigenleben als selbsternannte Hüterin der Verfassung oder der Menschenrechte führt. Aber man kann offenbar dazu auch sagen, die Bundeswehr ist „gleichgeschaltet“ und „von der Regierung „unterwandert“.

Die FAZ meint sogar hinreichend begründet vermuten zu dürfen, dass Erdogan den Putsch selbst inszeniert hat. Jedenfalls untertitelt sie das Stück, mit dem faz.net am Samstagmorgen aufmacht mit: „Die Nacht des Putschversuchs gegen Erdogan verstört Istanbul bis ins Mark. Und nicht wenige in der Stadt bezweifeln, dass die Aktion wirklich vom Militär ausging.“ Dazu wird auf Seite 2 der Geschichte ein Anonymus zitiert mit: „Das ist doch alles geplant, und morgen ist der Putsch dann vorbei und er führt das Präsidialsystem ein.“ Auf Seite 3 dreht sich das zwar mit mehreren Zitaten wieder in Richtung der Story, wonach eine Minderheit des Militärs geputscht hat. Aber in die Unterzeile schafft es nur die Theorie von der Inszenierung  durch Erdogan.

Ähnlich die Welt:Unter der Überschrift „Der wahre Putsch beginnt jetzt erst“ und der Unterzeile: „Was am Ende (…) bleibt, ist ein übler Verdacht“, suggeriert auch sie prominent, die Regierung habe den Putsch mit seinen vielen Toten selbst inszeniert. Beleg: Am Ende einer sehr langen Beschreibung des zivilen Protests, der die Militärs zum Aufgeben zwang, wird ganz am Ende ein namenloser Taxifahrer zitiert, der den Verdacht äußert, Erdogan habe das selbst inszeniert. Der Korrespondent setzt hinzu: „Tatsächlich bleiben all diese Fragen ungeklärt.“ Man muss Verständnis für die schwache Beleglage haben. Es war ja Nacht. Wäre der Putschversuch am Tag passiert, hätte der Welt-Korrespondent sicher auch noch mit einem Friseur geredet, um seinen Verdacht zu untermauern.

Das ist Qualitätsjournalismus der Kategorie AAA.

Ich bin ja dafür, nichts voreilig auszuschließen. Aber ob der FAZ und der Welt auch die Vermutung eines Anonymus auf der Straße reichen würde, um prominent zu suggerieren, dass die US-Regierung 9/11 selbst inszeniert hat, oder die französische Regierung verschiedene Attentate, darf bezweifelt werden. Ich jedenfalls habe nichts dergleichen gelesen, obwohl es an entsprechenden Verschwörungstheorien nicht mangelt. Damit man ihr beleglos so eine Ungeheuerlichkeit unterstellt, muss es sich schon um eine Regierung handeln, die mit uns und dem Westen fremdelt.

Nachtrag 18. Juli: Am Montag kombinieren FAZ und FAZ.net konkurrierende Lesarten des Putsches. In ihrer Story geht es überwiegend um die These eines „unabhängigen Journalisten“, wonach die Regierung bereits einen Plan für ihre umfangreichen Säuberungen hatte und die Putschisten diese Säuberungen von Justiz und vor allem Militär verhindern wollten. Deshalb seien sie gezwungen worden, schnell zu handeln, was den Dilettantismus erkläre. Die starken Indizien dafür, dass es einen ausgefeilten und öffentlich bereits weithin vermuteten Putschplan gab, werden zwar erwähnt. Der Tenor der Geschichte ist aber klar, dass die Putschisten auf die Säuberungspläne der der Regierung reagierten und nicht umgekehrt, dass die Regierung mit ihren Säuberungsplänen auf die Umsturzbestrebungen reagierte. Am Ende wird dann auch noch ein Oppositionspolitiker mit der These zitiert, der Putsch sei von der Regierung inszeniert. Dass sich die beiden Thesen gegenseitig ausschließen, darf sich der Leser selber zusammenreimen. Präsentiert wird die These kommentarlos, so als ob sie nahtlos die Grundthese bestätige, dass Erdogan der (Haupt-)Schurke im Stück ist.

Und der Türkei-Korrespondent der Welt, legt wieder eins drauf. Einerseits erklärt er nun seine Taxifahrer-These von Samstag, wonach der Putsch inszeniert gewesen sei, ganz am Ende eines langen Stücks für unplausibel. Dafür dreht er der Regierung einen Strick aus der These, dass sie von dem Putschversuch erfahren habe und versucht habe, diesem durch eine Säuberungsaktion entgegenzuwirken, was die Putschisten zum übereilten Zuschlagen bewogen habe.  Plakatiert wird das in der Unterzeile des in sich widersprüchlichen Stücks als „ein schlimmer Verdacht“, der aufgetaucht sei. O-Ton: „(..) wurden die Putschpläne verraten. Die Putschisten hätten dies mitbekommen und hätten aus Panik ihre Aktion vorgezogen (…).  Und möglicherweise wurde die Staatsführung nicht erst wenige Stunden vor Beginn der Aktion davon unterrichtet, wie „Star“ schreibt, sondern Tage oder gar Wochen vorher. Dann hätte sie alle Zeit gehabt, sich vorzubereiten und womöglich die Putschpläne zu sabotieren. Bewiesen ist das nicht, doch klingt das plausibler als beide anderen Erzählungen – die von der kompletten Inszenierung des Putsches durch Erdogan und jener von der unerklärlichen Stümperhaftigkeit der Putschisten.“ Warum es ein schlimmer Verdacht ist, dass eine Regierung versucht, Putschpläne zu sabotieren, das wissen wohl nur Welt-Redakteure und vielleicht auch noch die von der FAZ und der ARD.

Ich bin wirklich kein Fan von Erdogan, aber mit objektiver Berichterstattung hat so etwas nicht das geringste zu tun. Man könnte wirklich erwähnen, dass vielleicht nicht alles was dieser Autokrat tut und getan hat, der Paranoia entspringt, sondern manches offenbar seine berechtigte Basis in tatsächlichen Umsturzverschwörungen hat. Zur Ehrenrettung der Welt sei erwähnt, dass sie in der Printausgabe von Montag einen längeren Artikel von Paul Nehf hat, in dem dieser über Indizien für eine sehr weitreichende zielgerichtete Unterwanderung von Polizei, Militär und Justiz durch die Gülen-Bewegung berichtet, die Erdogan (bisher ohne Beweise) für den Putschversuch verantwortlich macht (Letzter Satz eingefügt 18. Juli 17 Uhr).

 

 

 

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