Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien § 10 Berichterstattung, Informationssendungen, Meinungsumfragen: (1) Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen, auch beim Einsatz virtueller Elemente, zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit
und Herkunft zu prüfen. Kommentare sind von der Berichterstattung deutlich zu trennen und unter Nennung des Verfassers als solche zu kennzeichnen.
Die folgende Programmbeschwerde habe ich an den Programmdirektor der ARD gesendet. Mal sehen, welche Antwort ich bekomme.
Betreff: Programm-Beschwerde: Tagesschau vom 20.3.2015, 20 Uhr und vom 27.2.2015, sowie Bericht aus Berlin vom 1.3.2015
Sehr geehrter Herr Herres,
was in der 20-Uhr-Tagesschau am Freitag 20.3.2015 über das EU-Gipfeltreffen mit dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras vom Vorabend „berichtet“ wurde entsprach nicht den journalistischen Mindeststandards an Objektivität und Korrektheit. Fast alles an dem Bericht war entweder falsch oder sehr einseitig dargestellt. Der erste Satz war noch korrekt und neutral. Tsipras wolle in den nächsten Tagen seine Reformpläne vorlegen.
Dann fing es direkt an abzugleiten. „Die Liste ist Voraussetzung dafür, dass Geld aus dem bereits verlängerten Hilfsprogramm fließt“, sagt der Sprecher. Das ist etwas unvollständig, weil das nicht eine objektive Voraussetzung ist, sondern Ausfluss der Eurogruppen-Vereinbarung vom 20. Februar. Die Verkürzung klingt harmlos, aber wenn man das hier ausdrücklich gesagt hätte, wären die Falschdarstellungen später viel leichter aufgefallen.
„Der griechische Regierungschef hatte auf schnelles Geld ohne weitere Auflagen gehofft“, bringt der Sprecher seine nur aus einem Blick in Tsipras Gehirn zu gewinnende Erkenntniss in tendenziöser Wortwahl zu Gehör. Es gab vor dem Gipfel keine Aussagen von Tsipras, wonach er auf schnelles Geld ohne weitere Auflagen hoffe.
Darin sei er aber enttäuscht worden, fährt der Sprecher schadenfroh fort.
„Die Anwesenden zeigten keine Neigung, von dem abzuweichen, was die Finanzminister der Eurogruppe vor genau vier Wochen vereinbart haben“, geht es weiter. Das ist die Interpretation einer sehr vage formulierten Vereinbarung durch die deutsche Bundesregierung, dargestellt als wäre es eine objektive Tatsache. Kein Wort davon, dass Tsipras zu dem Gipfel mit der Forderung gefahren ist, die Vereinbarung vom 20. Februar umzusetzen, und nicht immer neue Bedingungen nachzuschieben. Stattdessen nur Angela Merkel mit dem Statement: „Geld gibt es nur, wenn die Voraussetzungen wie im Papier vom 20. beschrieben, da sind.“ Und das heiße, erläutert der Sprecher: „dass Reformen nicht nur vorgeschlagen, sondern beschlossen und teilweise umgesetzt sind.“
Das ist in dieser Absolutheit schlichtweg falsch. Wolfgang Schäuble oder Angela Merkel mögen Zahlungen nur unter dieser Bedingung zustimmen wollen. Aber mit der Vereinbarung vom 20. Februar hat es nicht erkennbar etwas zu tun. Da steht nichts dergleichen. Da steht vielmehr (meine Übersetzung):
“Die griechische Regierung wird eine erste Liste von Reformmaßnahmen auf Basis des derzeitigen Arrangements bis Montag 23. Februar vorlegen. Die Institution werden eine erste Einschätzung abgeben, ob diese Liste umfassend genug ist, um eine validen Ausgangspunkt für einen erfolgreichen Abschluss der Überprüfung darzustellen.“
Dieser Teil ist abgehakt. Der Test wurde bestanden. Weiter im Vereinbarungstext:
„Diese Liste wird weiter spezifiziert und dann mit den Institutionen bis Ende April vereinbart.“
Wir haben noch März. Nicht in Ansätzen steht in der Vereinbarung etwas dahingehend, dass die Maßnahmen schon beschlossen und teilweise umgesetzt sein müssen, schon gar nicht Mitte März. Das ist eine reine Erfindung von irgendjemand Interessiertem, die die Tagesschau ungeprüft als objektive Wahrheit ausgibt. Nun ist es ja durchaus wichtig und berichtenswert, wie die Bundesregierung die Vereinbarung interpretiert, aber das ist als Interpretation der Bundesregierung zu berichten, nicht als Tatsache, zumal wenn es so offenkundig vom Wortlaut der Vereinbarung abweicht.
Dann wird als scheinbare (skandalöse) Neuigkeit präsentiert, dass Tsipras mit seiner Reformliste von zuvor (mit der alten Regierung) vereinbarten Maßnahmen abweichen will. Darüber wurde bereits vor der Vereinbarung vom 20. Februar heftig und öffentlich gerungen. Das Ergebnis war, dass die Vereinbarung festhält, dass die griechische Regierung vereinbarte Maßnahmen durch andere ersetzen darf, solange dadurch nicht (gelockerte) Haushaltsziele gefährdet werden.
Genau das darf Angela Merkel dann im O-Ton sagen, um von Brüssel-Korrespondent Rolf-Dieter Krause fließend ergänzt zu werden (was die völlig unangebrachte extreme Nähe der Berichterstattung mit der amtlichen deutschen Regierungslinie nur noch unterstreicht) mit dem Hinweis, das sei noch zu beweisen, dass das finanziell aufgeht.
„Im Übrigen ist es ein bestehendes Sanierungsprogramm, das bis Ende Juni verlängert wurde. Das lässt nur wenig Spielraum zu“,
fährt Krause ebenso falsch wie tendenziös fort. Der Spielraum ist nicht objektiv gegeben, sondern steht im Zentrum der Verhandlungen. Krause stellt wieder die deutsche Regierungssicht als Tatsache dar. In der Vereinbarung vom 20. Februar ist deutlich Flexibilität in der Auslegung angelegt.
Zum Abschluss will Krause offenbar noch das Wort Zahlungsunfähigkeit sagen, aber ohne etwas zu behaupten, was er dann auch belegen müsste. Und so sagt er:
„Die immer noch mögliche Zahlungsunfähigkeit Griechenlands ist bei diesem Gipfel nicht wahrscheinlicher geworden – aber auch nicht unwahrscheinlicher.“
Man stelle sich vor, die Tagesschau würde einen Korrespondenten an einem schlechten Tag von Siemens sagen lassen: „Die immer noch mögliche Zahlungsunfähigkeit von Siemens ist heute nicht wahrscheinlicher geworden – aber auch nicht unwahrscheinlicher.“ Das wäre wohl richtig, würde aber kaum vor einer deftigen Schadenersatzklage wegen übler Nachrede schützen. Aber Griechenland kann kaum klagen, und die ARD nutzt das aus.
„Griechenlands Ministerpräsident erweckt den Eindruck, dass sein Land auch ohne schmerzhafte Maßnahmen zu sanieren sei. Außerhalb Griechenlands denkt das kaum jemand“,
macht Krause weiter.
Das ist – mit Verlaub – wieder eine maliziöse Falschdarstellung. Tsipras wehrt sich gegen Maßnahmen, die extrem schmerzhaft sind und die nichts saniert haben, sondern die Wirtschaft ruiniert haben, sodass die Schuldentragfähigkeit heute viel geringer ist als vor fünf Jahren. In der Vereinbarung vom 20. Februar steht in Anerkennung dessen nichts mehr von weiteren Rentenkürzungen, Lohnkürzungen und Entlassungen. Nichts von dem, was Tsipras im Wahlkampf und danach seinem Volk und seinen Partnern gesagt hat, erweckt den Eindruck, dass ab jetzt alles leicht und schmerzlos für Griechenland sein wird oder sein soll. Er hat sich ausdrücklich zum Haushaltsausgleich und zu einschneidenden Reformen bekannt. Er hat den Fuhrpark der Regierung verkauft, die Anzahl der Ministerien drastisch reduziert und fliegt Economy. Krause liefert nichts und hat wohl auch nichts um seine Behauptung zu belegen, mit der er Ressentiments gegen die faulen Griechen schürt, die auf „unsere“ Kosten leben wollen, ohne sich einschränken zu wollen. Das verfügbare Haushaltseinkommen der Griechen ist in den letzten Jahren um ein DRITTEL gesunken. Wie weit muss nach Meinung Ihres Korrespondenten nach noch gedrückt werden, bis es genug geschmerzt hat? Ist das nicht eine menschenverachtende Rhetorik.
Zusammenfassend hat dieser Beitrag nicht in Ansätzen angemessen und neutral über die Verhandlungssituation informiert, sondern sehr einseitig die Sichtweise der deutschen Bundesregierung und von Brüssel zum Besten gegeben. Es ist aber nicht Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, die Sichtweise der deutschen Bundesregierung und der Brüsseler Bürokraten und Politiker als Tatsache getarnt unters Volk zu bringen und Verhandlungs-„Gegner“ durch tendenziöse und bösartige Berichterstattung schlecht zu machen und unter Druck zu setzen.
Tagesschau 27.2.2015
Ich möchte darauf hinweisen, dass derart tendenziöse bis falsche Berichterstattung keine einmalige Entgleisung ist, sondern in der Berichterstattung zu Griechenland immer wieder vorkommt, etwa bei der Berichterstattung in der Tagesschau nach der Abstimmung im Bundestag am 27.2. zur Eurogruppenvereinbarung . Damals berichtete die Tagesschau fälschlicher Weise Yanis Varoufakis habe damit geprahlt, dass die REFORMLISTE, die er nach Brüssel geschickt habe, absichtlich vage gewesen sei, um die Abstimmungen in den Parlamenten nicht zu gefährden. Das trifft nicht zu, wie ausländische Medien auch am selben Tag berichtet hatten. Varoufakis hatte tatsächlich gesagt, die Vereinbarung selbst sei auf Wunsch der Verhandlungspartner absichtlich vage formuliert worden.
Hier beispielhaft für viele Fundstellen vom gleichen Tag auf Englisch, die alle unmissverständlich das Gleiche sagen, die griechische Enikos:
„The Greek government’s agreement with the Eurogroup was intentionally vague because that is what the EU partners wanted in order to ensure that they would be able to ratify the deal in their parliaments, Finance Minister Yanis Varoufakis said on Friday. „We are very proud of the level of vaguenessness…[European] officials asked for abstract concepts in the text we delivered in order for them to receive parliamentary approval,“ Varoufakis told ANT1 TV, adding that this is the reason no numbers were included in the Eurogroup deal.„
Am folgenden Sonntag (1.3.) korrigierte die Tagesschau indirekt und für den normalen Zuschauer unmerklich ihre verzerrte Berichterstattung von Freitag, indem sie Finanzminister Schäuble sagen ließ. „Der Text, den wir mit Griechenland vereinbart haben, in der Eurogruppe, ist völlig eindeutig.“ Es ging also tatsächlich nicht darum, wie die Tagessschau wahrheitswidrig behauptet hatte, dass der griechische Finanzminister gesagt habe die nach Brüssel geschickte Reformliste sei absichtlich unbestimmt gehalten, sondern Schäuble widersprach Varoufakis Behauptung, die Vereinbarung mit der Eurogruppe sei absichtsvoll unbestimmt.
Auf Twitter antwortete mir @tagessschau, man habe sich nichts dementiert, sondern Herr Schäuble habe etwas dementiert:
„tagesschau @tagesschau 2. März: @norberthaering Wir dementieren nichts. V. hat von „produktiver Undeutlichkeit“ gesprochen, dann hat B, dementiert. Das haben wir berichtet.“
Aber: Ein Sprecher Schäubles hatte schon am 27.2. deutlich vor der Tagesschau genau so die Aussage von Varoufakis dementiert, und zwar ausdrücklich die Aussage, dass die Vereinbarung absichtlich vage formuliert gewesen sei. Das wurde von Reuters auch so verbreitet. Warum dennoch die Tagesschau Varoufakis Aussage falsch darstellte, ist schwer zu verstehen.
Bericht aus Berlin 1.3.2015
Der Bericht aus Berlin vom 1.3., aus dem das Schäuble-Interview stammte, war selbst wieder ein schlimmes Beispiel von tendenziösem Journalismus. Es fing damit an, dass Moderator Deppendorf Varoufakis als „arrogant“ und „selbstverliebt“ bezeichnete und hörte nicht damit auf, dass einzig ein libertärer Athener Politikwissenschaftler als Experte breiten Raum bekam um auszuführen, wie verlogen und schlecht die neue Regierung sei, nicht wirklich überraschend, wenn man weiß, dass sie vom anderen Ende des politischen Spektrums ist als er. Sowohl der Sprecher der Video-Einspielung, als auch der rechte Experte sprachen davon, dass Tsipras inzwischen sehr schwer habe, seine Politik daheim zu verkaufen – wahrheitswidrig. Neue Umfragen belegen eine sehr hohe Zustimmung für seine Verhandlungsführung
Lieber Herr Herres, bitte sorgen Sie dafür, dass die ARD Ihren Informationsauftrag auch in Sachen Griechenland in Zukunft wieder angemessen erfüllt und auch gegenüber Mitgliedern der griechischen Regierung einen Ton wahrt, wie man ihn gegenüber Amtsträgern anderer Regierungen kennt und vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwartet. Andernfalls ist der Einzug von Rundfunkgebühren nicht gerechtfertigt.
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Häring
Schlagwörter: Programmbeschwerde, ARD, Programmdirektor, Tagesschau, Bericht aus Berlin, Griechenland, Medienversagen