Die US-Juristen und Aktivisten für Bürgerrechte und freie Rede, Greg Lukianoff und Nadine Strossen, wenden sich in Aufsätzen und Vorträgen gegen die These, eine Beschränkung der freien Rede helfe, einen Rückfall in den Faschismus zu verhindern.
Lukianoff ist Präsident der Foundation for Individual Rights and Expression (FIRE), also etwa Stiftung für Individuelle Rechte und freie Rede. Strossen ist Rechtsprofessorin an der New York Law School und Mitglied im Council on Foreign Relations. Sie war Präsidentin der American Civil Liberties Union (ACLU) und ist Tochter eines Buchenwald-Überlebenden.
Sowohl Lukianff, z.B. in einer Buchrezension von 2021, als auch Strossen, zuletzt in einem auf Video verfügbaren Vortrag (youtube) von Dezember 2023, verweisen darauf, dass es in der Weimarer Republik strenge Gesetze gegen Volksverhetzung, Herabsetzung von Religionszugehörigkeiten und andere Formen von Hassrede gegeben habe, und diese seien auch durchgesetzt worden. Nazi-Größen wie Joseph Goebbels, Theodor Fritsch und Julius Streicher seien deswegen sogar ins Gefängnis gegangen, Hitler habe von 1925 bis 1927 in mehreren deutschen Ländern nicht reden dürfen, hunderte von Nazi-Zeitungen seien zwangsweise geschlossen worden. Ab 1930 gab es zur Verhinderung von Nazi-Aufmärschen Uniformverbote.
Das Dumme war nur: Die Nazis nutzten diese Gegenmaßnahmen für ihre Propaganda, als Beweise für eine internationale Verschwörung, um Deutschland und die wahren Deutschen zu unterdrücken. Das was die Nazis nicht mehr sagen durften, kam – so Nadine Strossen – durch die Verbote in den Status „verbotener Früchte“, die dadurch nur um so verlockender wurden.
Man kann daraus den Schluss ziehen, dass es nicht daran lag, dass man die Bedrohung durch die Nazis nicht ernst genug genommen hätte und ihr nicht entschieden genug mit staatlicher Repression begegnet wäre, sondern an der tiefen Wirtschaftskrise und der Perspektivlosigkeit sehr vieler Menschen, die sie verleitete einem starken Mann nachzulaufen.
Es lag unter anderem daran, dass die Reichsbank die demokratische Regierung mit ihrem Wunsch nach einer wachstumsfreundlicheren Geldpolitik abblitzen ließ, während sie dann später für Hitler alle Geldschleusen öffnete. Es lag an vielem mehr, was verhinderte, dass die Menschen Hoffnung schöpfen konnten, dass es auch ohne einen politischen Systemwechsel besser werden könnte. Aber es lag eher nicht an zu wenig zivilem Widerstand und zu wenig staatlicher Repression.
Wir sind zwar noch weit von den Zuständen der Weltwirtschaftskrise entfernt, aber wir leben erstmals seit mehreren Generationen in einer Zeit, in der die Menschen nicht mehr das Gefühl haben, dass das Leben langfristig immer besser wird, sondern dass es abwärts geht. Das sind Zeiten, in denen Schuldige gesucht und gefunden werden. Dagegen helfen auch heute nicht Zensur, Repression und moralische Verurteilung, sondern alles, was den Menschen begründete Hoffnung auf eine nachhaltige Wende zum Besseren gibt und ihnen erlaubt, wieder Vertrauen in den guten Willen und die Fähigkeiten der Regierungen zu fassen.