Uwe Krüger: Warum ich einen ZAPP-Beitrag über „Rechte Sprache in den Medien“ für ideologisch und manipulativ halte

14. 12. 2016 |Von Uwe Krüger.* Ich habe letzte Woche in einem Tweet das Wort „Lückenpresse“ ohne Anführungszeichen verwendet. Daraufhin ermahnte mich Caroline Ebner, freie Journalistin für NDR Zapp und die Tagesschau, ich würde damit „rechte Propaganda wiedergeben“. Zur Info verlinkte sie ihren ZAPP-Beitrag „Gefährliche Übernahme: Rechte Sprache in den Medien“ (NDR, 23.11.2016). Darin wird so getan, als ginge es allein um die Wörter. Tatsächlich geht es aber offenbar darum, das Ausdrücken bestimmter Haltungen, Befindlichkeiten oder Bedürfnisse zu verhindern.


Ich fand den Vorwurf mit der „Lückenpresse“ einigermaßen schräg, denn ich hatte den Ausdruck nicht deshalb verwendet, , weil ich ein Fan von Frauke Petry wäre, sondern weil ich das Buch „Lückenpresse“ des freien SWR-Mitarbeiters Ulrich Teusch aus dem linken Westend-Verlag gelesen hatte und gut fand.

Ich habe mir dann den ZAPP-Beitrag mehrmals angesehen und ich gebe zu, dass hier ein wichtiges Thema behandelt wird: Ja, Wörter lösen Assoziationen aus und aktivieren Deutungsmuster. Aber dennoch schießt der Beitrag weit über das Ziel hinaus. Mehr noch: Obwohl ich allen daran Beteiligten – Autorin, Redaktion, Protagonisten – nur gute und ehrenwerte Motive unterstelle, halte ich den Beitrag für manipulativ und ideologisch. Wer den Beitrag noch nicht kennt, kann ihn sich href=“https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Gefaehrliche-Uebernahme-Rechte-Sprache-in-Medien-,sprache164.html“>hier anschauen (6:23 min).

1. Es treten nur Experten und Aktivisten pro politische Korrektheit auf, und sie argumentieren alle in dieselbe Richtung. Niemand verteidigt ein zweites Gut, das hier eine Rolle spielt und mit dem das Gut „Nicht-Diskriminierung“ (oder wie man es nennen möchte) notwendig in einem Spannungsverhältnis steht: die Rede- und Gedankenfreiheit. Der Beitrag ist also unausgewogen. Ein O-Ton von einem liberalen bzw. liberal-konservativen Publizisten oder Wissenschaftler hätte Ausgewogenheit herstellen können. Nun ist ein Magazinbeitrag nicht zur Ausgewogenheit bzw. Neutralität verpflichtet, aber ich will diese Verteilung der Sprecherrollen kurz bewusst machen, bevor ich in die Details der Aussagen gehe.

2. Der Beitrag will glauben machen, dass es feste Assoziationen gibt, die bestimmte Ausdrüccke „im Kopf des Zuschauers“ auslösen. Ich weiß nicht, welche Studien es dazu gibt und inwieweit das empirisch unterfüttert ist. Aber als Betroffener (Zuschauer) empfinde ich die Pauschalisierung als anmaßend. Das Wort „Obergrenze“ führt in meinem Kopf jedenfalls nicht zum Bild einer Nation als „Container“ und ich will nicht aus diesem Grund vor dem Wort geschützt werden – dieses Ansinnen empfinde ich als paternalistisch. Ich vermute, Assoziationen sind weniger determiniert als der Beitrag suggeriert, sondern differieren je nach biografischem und weltanschaulichem Hintergrund (wie schon die oben erwähnten unterschiedlichen Assoziationen bei „Lückenpresse“ zeigen).

3. Die Wissenschaftler argumentieren nicht (nur) wissenschaftlich, sondern vor allem politisch – sie kritisieren Ideologie in der Sprache und verfolgen doch selbst eine Ideologie. Die Sprach- und Kognitionsforscherin Elisabeth Wehling aus Berkeley sagt: Obergrenze sollte man nicht sagen, weil das „von innen heraus gedacht“ sei und sich die Nation damit als ein „Container“ darstelle, der irgendwann voll ist. Von innen heraus, von den Bedürfnissen der Einheimischen her darf man also nicht denken – nur von den Bedürfnissen der anderen her? Warum sollte die Perspektive „von innen“ keine Gültigkeit in der politischen Auseinandersetzung haben – noch dazu in Medien, die aus dieser Gesellschaft heraus für diese Gesellschaft berichten? Es ist zumindest eine von mehreren legitimen Perspektiven auf die Flüchtlings- bzw. Einwanderungsfrage. Laut Wehling impliziert „Obergrenze“: Die Menschen, die zu uns kommen, sind das Problem (und impliziert damit, dass sie das nicht sind) – das ist aber keine objektiv zu entscheidende Frage, sondern eine politische und weltanschauliche Frage. Als „Alternative“ schlägt sie dann „Untergrenze“ vor. Das ist völlig absurd, denn das verlässt die Logik des Container-Bildes ja nicht – augenfällig in der Bebilderung durch Zapp, wo der Container ja auch stehenbleibt. Mehr noch: Das ist nicht nur absurd, sondern auch manipulativ, denn unter dem Deckmantel der Sprachkritik wird eine umgekehrte politische Aussage gemacht: Eine Gesellschaft kann niemals mit einer noch so großen Zahl Einwanderern überfordert sein, sondern wir brauchen sogar eine Mindestanzahl (Untergrenze) an Einwanderern. Böse „Obergrenze“ gegen gute „Untergrenze“ – und im Hintergrund plätschert beruhigende Klaviermusik.

4. Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch hält das Wort „Überfremdung“ für problematisch, „in sich schon“ und weil es aus dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch stammt. Ich gebe zu, das Wort ist stark kontaminiert und ich würde es selbst nicht verwenden. Ich kenne aber ältere Leute, die sich in dem Wohngebiet, in dem ich wohne (Leipziger Osten, Eisenbahnstraße), „fremd im eigenen Land fühlen“, wenn türkische Musik nachts aus den Fenstern schallt, verschleierte Frauen auf der Straße laufen und andere Sprachen als Deutsch zu hören sind. Ich finde dieses Gefühl verständlich vor dem Hintergrund, dass sie den Großteil ihres Lebens in einem kulturell homogenen Umfeld verbracht haben. Was dürfen sie denn sagen, um ihre Befindlichkeiten und Bedürfnisse in die öffentliche Debatte einzubringen? Was ist die Alternative zu „Überfremdung“? Es fällt auf, dass hier überhaupt keine – nicht einmal eine absurde – Alternative vorgestellt wurde. Offenbar soll das Gefühl der Fremdheit oder die Angst davor gar nicht artikuliert werden dürfen, soll nicht in den Bereich des Sagbaren kommen.

Zusammengefasst: Hier wird so getan, als ob den Protagonisten nur die Wörter nicht passen, doch eigentlich geht es um das, was damit ausgedrückt werden soll. Der Beitrag ist eine Gebrauchsanweisung, wie man Menschen, deren Haltung einem nicht passt, den Mund verbieten kann, ohne auf ihre Argumente oder Gefühle eingehen zu müssen – einfach indem man ihre Wörter delegitimiert. Er vermischt die Sprachkritik mit der Sache und ist damit manipulativ. Er ist ein Aufruf, nicht „rechts“ zu argumentieren, denn „rechts“ wird als an sich schlecht vorausgesetzt (völlig egal, ob rechtskonservativ oder rechtsextrem) – und weil diese Werturteile unausgesprochen transportiert und nicht transparent gemacht werden, ist er ideologisch.

Ich nehme an, diese argumentativen Tricks wurden unbewusst angewendet. Aber es gibt kein effektiveres Mittel, um die Leute in eine extreme Ablehnung der etablierten Medien und in die Arme von Pegida, Kopp und AfD zu treiben. Man beachte, dass in der Einwanderungsfrage eine beträchtliche Kluft zwischen Elite und Bevölkerung besteht und einer weitgehend pro Immigration eingestellten Elite eine 50:50 gespaltene Bevölkerung gegenübersteht (Studie dazu hier). Anstatt paternalistisch und autoritär dieser einen Hälfte (!) der Bevölkerung ihre Haltung und den Mund verbieten zu wollen, müsste öffentlich-rechtlicher Rundfunk viel eher die hinter dieser Haltung liegenden Wahrnehmungen, Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche (das sind übrigens die vier Elemente der „Gewaltfreien Kommunikation“ nach Marshall Rosenberg) offenlegen und ideologiefrei im Diskurs verhandeln. Das entspräche auch seinem Programmauftrag, da steht nämlich etwas von „Integration“ drin und nicht von Spaltung (genaueres hier).

Ruck-zuck im braunen Sumpf

Abschließend noch ein Wort zu dem Glossar „rechtspopulistischer Begriffe“, das ZAPP zusammengestellt und  unter dem Video aufgeführt hat. Darin finde ich auch „Mainstream-Medien“. In den USA ist „mainstream media“ ein etablierter Ausdruck der linken Medienkritik und meint die großen, zentralen Medien, die vor allem das Elitenhandeln und den Elitendiskurs abbilden und eben keine alternativen Diskurse aus der zivilgesellschaftlichen Peripherie führen. Ich soll diesen Ausdruck aber nicht mehr verwenden dürfen, weil „die Idee dahinter (…) eine ähnliche“ sei wie die hinter „Systempresse“ und das sei Nazi-Jargon. Die Assoziationskette ist denkbar kurz. Ruck-zuck steckt man im braunen Sumpf – also, liebe Kinder, geht erst gar nicht in die Nähe!

Mit der Definition von „Mainstream-Medien“ bin ich sogar einverstanden: „Beinhaltet die Idee, dass Medienorgane ähnlich in Themenauswahl, -gewichtung und -bewertung sind.“ Ja, darum geht es. Über diese These einer starken Konsonanz zwischen den großen Medien habe ich ein kleines Buch geschrieben, „Mainstream“ heißt es, erschienen nicht bei Kopp, sondern bei C.H.Beck; es gibt davon eine Sonderausgabe der Landeszentralen für politische Bildung und eine Kurzfassung in der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“. Diese These erscheint sehr vielen Leuten plausibel. Ich selbst verwende übrigens nicht den Ausdruck „Mainstream-Medien“, sondern „Medien-Mainstream“ (weil die Medien, in denen der Mainstream jeweils fließt, abhängig vom Thema und im Zeitverlauf wechseln können), aber ist für viele Leute wohl eher eine sprachliche Feinheit und das darf auch so sein. Fakt ist aber: Vielen Medienmachern gefällt die These nicht. Sie ist unangenehm. Kann es sein, dass die ZAPP-Leute die „Mainstream“-These nicht diskutieren wollen, weil sie sie einfach für falsch halten?

Pierre Bourdieu hat mal über Journalisten geschrieben, dass „ein gut Teil ihrer Bemühungen der Produktion winziger Unterschiede gilt“ (Über das Fernsehen, Suhrkamp, Frankfurt 1998, S. 33). Wenn man im Wald steht, kommen einem die Abstände zwischen den Bäumen auch größer vor, als wenn man ein Stück entfernt auf der Wiese steht. Aber nicht alle, die auf der Wiese stehen und die Abstände der Bäume monieren, stehen rechts davon. Einen Begriff der Medienkritik einfach per Assoziation mit dem Nationalsozialismus zu kontaminieren, um die Debatte abzuwürgen, eine solche Absicht erschiene mir jedenfalls unredlich und undemokratisch.

*Dr. Uwe Krüger ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Abteilung Journalistik, der Universität Leipzig

Änderungshinweis (15.12.): Ein Leser hat darauf hingewiesen, dass „Begriff“ im linguistischen Sinne, im Gegensatz zum umgangssprachlichen Gebrauch, nicht mit „Wort“ oder „Ausdruck“ gleichzusetzen ist, sondern auf einer anderen, einer gedanklichen Ebene liegt. Deshalb wurde „Begriff“ durchgehend durch „Wort“ oder „Ausdruck“ ersetzt, außer beim Glossar „rechtspopulistischer Begriffe“.

Änderungshinweis 2 (15.12.): In der ersten Version hieß es, die sprachkritische Initiative „Floskelwolke“ sei für das Wort „Mainstream-Medien“ im Glossar „rechtspopulistischer Begriffe“ verantwortlich; dies hatten die Formulierungen auf der ZAPP-Website nahegelegt (alte Version der Website hier). Dagegen hat sich „Floskelwolke“ verwehrt und ZAPP hat daraufhin die Formulierung geändert: Das Glossar wurde demnach von „ZAPP zusammengestellt“ (neue Version hier). Entsprechend richtet sich die damit verbundene Kritik im Text nun nicht mehr an die „Floskelwolke“, sondern an ZAPP.

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