Die politische Auseinandersetzung degeneriert – auch in Deutschland. Streit um Inhalte hat ausgedient. Diskreditierung des politischen Gegners steht im Vordergrund, auch und gerade in den Medien. Das linksradikale Konkret-Magazin und die rechtsbürgerliche Welt liefern gerade bestes Anschauungsmaterial.
Konkret ist eine sehr traditionsreiche und einflussreiche, früher sehr progressive Zeitschrift. Aktuell liest man dort sehr prominent „aus aktuellem Anlass“ die Intervention eines Peter Bierl. Darin verunglimpft dieser durch freie Assoziation mit unappetitlichen Gestalten die frisch gekürte Spitzenkandidatin der Linken, Sahra Wagenknecht. Seine immer gleiche Methode des Rufmords ist prototypisch für das, was zunehmend die veröffentlichte politische Debatte bestimmt. Er wendet sie gegen alles an, was systemkritisch daherkommt, von Atomausstieg bis Occupy. Im Aufmacherbeitrag (online) darf Peter Bierl unter dem Titel „Vorwärts nimmer!“ gleich in der Unterzeile Sahra Wagenknecht eine Faschistin nennen. Natürlich nicht direkt, aber so knapp unterhalb von direkt, wie es zur Vermeidung eine Verleumdungsklage gerade noch geht. „Die Faschisierung der Gesellschaft, rechte Linke und Sahra Wagenknecht, die wirkmächtigste Vertreterin linksnationalistischer Tendenzen hierzulande“ heißt die Unterzeile.
Nach dieser furiosen Faschismus-Ouvertüre ist natürlich kein Begriff zu stark um ihn nicht in die unmittelbare Nachbarschaft der Geschmähten zu stellen.
„Die Auseinandersetzung zwischen rassistischem Nationalismus und neoliberalem Standortnationalismus dominiert die politische Bühne. Neoliberale wissen, (…) Nationalisten fürchten um die Souveränität des Staates und die Unbeflecktheit des reinen Volkskörpers. Sie setzen auf Abschottung und agitieren gegen Überfremdung, Globalisierung und das internationale Finanzkapital, wenn sie nicht offen von der jüdischen Weltherrschaft sprechen wollen. (…) An dieser Bipolarität richten sich die politischen Kräfte aus, in der Linken in Gestalt eines national-sozialen Flügels. In Deutschland ist Sahra Wagenknecht dessen Anführerin.“
Wieder nicht ausdrücklich genug um eindeutig justiziabel zu sein, aber deutlich genug für jeden Leser. Fehlt nur noch der Nazivorwurf:
„Der verquere Gedanke, Kapitalismus und Marktwirtschaft seien grundverschiedene Wirtschaftsweisen, ist in Teilen der Linken durchaus populär. Wagenknecht nennt es „Dritter Weg“. (…) Die Vorstellung einer Marktwirtschaft als drittem Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus geht auf völkische Antisemiten des Kaiserreichs zurück. Die Parole erfreute sich großer Beliebtheit bei den Nationalsozialisten.(…) Den Begriff des Dritten Weges nutzen Neonazis heute sogar als Parteinamen.“
Prototyp mit zunehmender Fernwirkung
Die geistigen Verrenkungen eines Peter Bierl wäre nicht viele Zeilen wert, wenn er nicht so prominent in der „ältesten linken Zeitschrift Deutschlands“ abgedruckt würden, und wenn seine Vorgehensweise nicht so prototypisch wäre für die freiwilligen Hilfstruppen des Atlantic Council, die in der linken Szene alles was sich nicht mit der Nato- und dem Neoliberalismus verträgt, als rassistisch, „rechtspopulistisch“ oder antisemitisch verunglimpfen, und wenn diese Methode nicht immer mehr auch außerhalb dieser Szene zur Norm in der publizistischen Auseinandersetzung mit allem würde, was sich abseits der engeren politischen Mitte bewegt.
Schon vor fünf Jahren hat Gunnar Schedle die von Bierl hier verwendete Methode in einem Blogbeitrag mit dem Titel „Verleumdung als Methode“ präzise beschrieben – aus Anlass einer nicht minder perfiden Polemik Bierls gegen die säkulare, religionsfeindliche Szene:
„Seine Arbeitsweise kann als Musterbeispiel für unseriöse Argumentation und bewusste Verleumdung gelten; sie trägt einen Diskurs in die Linke, der ansonsten unter Verschwörungstheoretikern und in rechten Portalen wie Politically Incorrect vorherrscht. Um (seine Thesen) zu beweisen, lässt er seiner selektiven Wahrnehmung freien Lauf, montiert Zitatfetzen aneinander und biegt sie, wenn sie partout nicht zu seinen Behauptungen passen wollen, zurecht, stellt Beziehungen zwischen Personen her, die nie etwas miteinander zu tun hatten, und blendet Tatsachen, die seiner Einschätzung widersprechen könnten, systematisch aus. Insgesamt kann seine Methode als Muster eines gegenaufklärerischen Diskurses beschrieben werden. Sie zielt nicht auf Erkenntnisgewinn, sondern ausschließlich – auf Diffamierung.“
Und tatsächlich. Bierl hat sich für den aktuellen Artikel in Konkret nicht etwa auf seine alte Methode besonnen und das Magazin damit überrascht. Er hat noch nie etwas anderes getan und gekonnt. Es ist der eine Trick, den er perfektioniert hat. Diesen hat er seither in seinen Artikeln in Jungle World und in seinen Büchern im Konkret-Verlag angewendet, zur Verunglimpfung unter anderem von Occupy und David Graeber, derer, die den Atomausstieg fordern, des Anarchismus, der Wachstumskritiker, der Freiwirtschaftslehre von Silvio Gesell und der Anthroposophie nach Rudolf Steiner. Allesamt Nazis im Geiste, könnte man in nur leicht zugespitzter Kurzfassung schreiben, aber wir wollen es nicht ganz so kurz halten und Beispiele geben. Wem die Beispiele zu lang sind, für den sind zum schnellen Drüberlesen die Schlüsselwörter gefettet. Das Prinzip erfasst man auch so:
„Die Atomkatastrophe in Fukushima wird von Journalisten bereits zum Anlass genommen, im Stil der alten Rassen- und Völkerpsychologie über den unergründlich lächelnden Japaner an sich zu räsonieren (..). Der Schriftsteller Achim Szepanski, der früher Besitzer des Labels Mille Plateaux war, schrieb auf seinem Facebook-Profil: »Ich weiß nicht, es kommt mir vor, als würden die Japaner auf die Wolke warten, wie die Juden auf die Gaskammer gewartet haben.« Dennoch, die Anti-AKW-Bewegung wird derzeit nicht von ökofaschistischen Gruppen geprägt wie in den siebziger Jahren, als der »Weltbund zum Schutz des Lebens« unter Leitung des vormaligen NS-Funktionärs und Anthroposophen Werner Georg Haverbeck einflussreich war.“
Beachten Sie den perfiden Trick, notfalls ausdrücklich zu betonen, dass die Zielperson oder -gruppe nicht ganz so schlimm sei, wie eine besonders schlimme Vergleichsgruppe und diese dann ausführlich zu beschreiben. Das nutzt aus, dass das Unterbewusstsein kein „nicht“ kennt. Wenn man das schon extra betonen muss, denkt sich der Leser, dann muss das ja ein ziemlich halbseidener Charakter sein. Den Trick kann man immer anwenden, wenn einem sonst nicht genug Diskreditierendes einfällt. Wenn Ihnen auf einer Party jemand mit den Worten vorgestellt würde: „Er mag Kinder, aber er ist kein brutaler Päderast, der Filme von den Torturen seiner Opfer an andere Päderasten verkauft“, dann hätte der Vorstellende 100% die Wahrheit gesprochen, und doch würden sie beim Namen oder Anblick dieses Mannes künftig ein sehr unangenehmes Bild kaum verdrängen können. Wir werden die Technik am Ende dieses Beitrags noch einmal bewundern dürfen.
Zu Occupy-Wall-Street und David Graeber
„»Occupy« übernimmt also Deutungen, wie sie auch die Mainstream-Medien verbreiten, die wiederum für verschwörungstheoretische und antisemitische Diskurse durchaus anschlussfähig sind. In Österreich und Deutschland mischen Vertreter der Freiwirtschaftslehre von Silvio Gesell und der esoterisch-verschwörungstheoretischen »Zeitgeist«-Bewegung mit. (…) Graeber pflegt jenen Kulturrelativismus, auf dessen Grundlage ein bundesdeutsches Gericht vor Jahren entschied, Folter sei ein Element der türkischen Kultur und damit kein Asylgrund.“
„Anschlussfähig“ ist ein Wort, mit dem man fast beliebig Verbindungen zu unappetitlichen Charakteren oder Gruppen herstellen kann. Wird sehr gern genommen in der Szene der Verunglimpfer. Eine Abwandlung ist „-offen“, wie in „rechtsoffen“, wenn man eine These beim besten Willen noch nicht als rechts einstufen kann, sie aber so abgewandelt werden könnte, dass sie den Rechten behagt.
„Tatsächlich gehören die Referenten, die bei der EmaLi als Fürsprecher des Anarchismus auftraten, dem rechten Rand der anarchistischen Szene an, der sich auf Max Stirner, den Antisemiten und Antifeministen Pierre-Joseph Proudhon sowie den Sozialdarwinisten Silvio Gesell bezieht, in Teilen auch auf Friedrich Nietzsche, dessen Herrenmenschenideologie später Bestandteil faschistischer Propaganda wurde.“
Man ordnet jemand einer Gruppe zu, in deren vermeintlicher oder tatsächlicher Ahnengalerie man problematische Charaktere ausmacht, und beschreibt diese in starken Worten, damit sie auf die Zielperson abfärben. Ein besonderes Highlight liefert Bierl hier noch nach:
„In Deutschland könnte man ohnehin meinen, der rechte Flügel des Anarchismus habe längst die Deutungshoheit, wenn man wichtige Publikationen der vergangenen Jahre zum Maßstab nimmt. Beispiele dafür sind (…) das von Ilja Trojanow herausgegebene Buch »Anarchistische Welten« (2012). Bekannt geworden ist der aus Bulgarien stammende deutsche Autor Trojanow durch sein 2009 gemeinsam mit der Schriftstellerin Juli Zeh verfasstes antiamerikanisches Pamphlet »Angriff auf die Freiheit« über einen sich vermeintlich unter dem Alibi der Terrorismusbekämpfung formierenden globalen »Überwachungsstaat«.“
Edward Snowdens Enthüllungen der globalen Überwachungsaktivitäten der NSA und der anderen Geheimdienste der angelsächsischen Five-Eyes-Länder starteten im Sommer 2013. Noch ein Jahr später ist sich Bierl nicht zu schade, einen offenbar besonders hellsichtigen Warner zu verunglimpfen, der die Zeichen anscheinend schon vier Jahre vor Snowdens Enthüllungen sah.
„Die Idealisierung lokaler und regionaler Strukturen ist ein weiteres Einfallstor für rechte Ideen. Auch Benoist fordert »autonome Mikrogesellschaften« und eine »Relokalisierung der Produktion«. Manche Visionen von bioregionalen Gesellschaften und Subsistenzökonomien sind selbst rassistisch. (..) Die Überbevölkerung, vor der dort gewarnt wird, gibt es nicht, solche Propaganda lenkt von den Ursachen der Umweltzerstörung ab und ist menschenfeindlich. Einen Mix aus obskuren, konservativen und kulturpessimistischen Ansichten bietet Niko Paech, der populärste Vertreter der Postwachstumsökonomie in Deutschland. (…) Paech sympathisiert mit der konservativen Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), ließ sich von Ken Jebsen interviewen und hat ein Vorwort zu einem Werk von Serge Latouche beigesteuert. Der gilt als linker Vordenker des Degrowth in Frankreich, plädiert aber dafür auch mit Rechten wie Alain de Benoist zu kooperieren.“
Schuld durch Assoziation, und sei sie noch so künstlich hergestellt. Jeder, der ein bisschen was von der Querfrontkampagne gegen Friedensbewegte und Linke mitbekommen hat. unter Beteiligung von vielfältigen transatlantischen Twitter- und Facebooktrollen, antideutschen Journalisten und Antifa-Aktivisten bis hin zu der von der Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall in Auftrag gegebenen Querfront-„Studie“ von Wolfgang Storz wird das Muster wiedererkennen. So deutlich in Reinform wie bei Bierl sieht man jedoch selten, dass es sich um eine ganz bewusst angewendete und gegen jeden anwendbare Masche handelt.
Lernfähiger Welt-Autor
Für alle, die meinen, das sei alles nur ein Thema für ein versprengtes Häufchen verhärmter Kaltland-Bewohner, zum Abschluss noch das versprochene aktuelle Beispiel aus der Welt dafür, wie sich diese perfide Masche immer tiefer in die bürgerlichen Medien hineinfrisst, die eigentlich Qualitätsmedien sein sollten. Auslandsredakteur Daniel Böhmer unterfüttert dort seinen Titel „Wagenknechts Thesen könnten auch von rechts kommen“ mit:
„In Ihrer Kritik an der EU gibt die Linke Sahra Wagenknecht indirekt rechten Verschwörungstheoretikern recht. Wagenknecht glaubt, dass sich die EU entgegen der Bedürfnisse der Menschen entwickelt hat. Für den Weltfrieden müsse man ‚die Nato auflösen und mit einem System kollektiver Sicherheit ersetzen. Dem deutschen Kommunisten Willi Münzenberg wird das Zitat zugeschrieben, wonach alle Nachrichten Lüge seien und jede Propaganda sich als Nachricht tarne. Münzenberg (…) baute ein Medienimperium auf, das als propagandistische Kampfmaschine diente und verteidigte die KPD auch, wenn sie auf Befehl Moskaus gemeinsam mit den Nazis stimmte. So weit ist Sahra Wagenknecht noch nicht. Aber ein eher taktisches Verhältnis zu Fakten und Grundsätzen beweist sie durchaus. Mit Moskauer Unterstützung.“ (Fehlendes schließendes Anführungszeichen in Zeile fünf oder sechs im Original.)
Da ist er wieder, der Herr, der ausdrücklich KEIN sadistischer Päderast ist, OBWOHL er Kinder mag. Fast eins zu eins die Bierl-Masche, sogar mit Nazis UND dem Russen zum Assoziieren mit der Zielperson. Etwas weiter unten kommt ein Absatz, in dem in maximaler Konzentration Verbindungen zu unappetitlichen Gestalten konstruiert und aneinandergefügt werden, und auch der noch fehlende Alexander Gauland zu seinem Auftritt kommt:
„Dass der Chef von Ungarns rechtsextremer Jobbik-Partei mit Putin-T-Shirts herumläuft, ist ebenso wenig ein Zufall wie die Einladung an AfD-Mann Alexander Gauland, die Putins Chefideologe Alexander Dugin aussprach. Wer die Mitschrift des Wagenknecht-Interviews auf der Homepage von RT findet, dem wurde am Montagmorgen auf einer Werbefläche daneben ein weiteres Gespräch angeboten – mit Marion Maréchal-Le Pen, der Nichte von Front-National-Chefin Marine Le Pen, die beim russischen Freundsender Putins Syrien-Politik lobt.“
Das alles wird aus der Tatsache herausgekitzelt, dass Wagenknecht dem Feindsender RT ein Interview gab. Dadurch steht sie in Verbindung mit Alexander Gauland, der einmal in Moskau war, und mit einer rechtsextremen Partei, die Putin gut findet. Die Freunde vom Atlantic Council, die jüngst in einer aufsehenerregenden „Studie“ Sahra Wagenknecht und Alexander Gauland als trojanische Pferde des Kreml enttarnten, wären sicher stolz auf Böhmer, wenn sie die deutsche Presselandschaft verfolgen würden. Aber halt: „aufsehenerregend“ wäre gelogen. Richtig muss es heißen: „in einer äußerst bemerkenswerten Studie, die mangels Medieninteresse keinerlei Aufsehen erregte“, jedenfalls abseits dieses Blogs. Dort gehört der Beitrag zu den meistgelesenen des Jahres.
Dossier zur neuen Hatz auf staatsräsonzersetzendes Gedankengut: McCarthy reloaded