Was uns mit einem Freihandelsabkommen alles blüht (2)

  Wer an Investitionsschutzabkommen denkt, denkt an Flughäfen, Fabriken und Minen. Er oder sie denkt an Investoren, die sich viele Jahre und Regierungen lang durch Sachinvestitionen an ein Land binden. Solche Investoren sind darauf angewiesen, dass die Regierung und deren Nachfolgeregierungen ihr Eigentum respektieren und schützen und Zusagen über Jahrzehnte hinweg einhalten. Indem eine Regierung

die Entscheidung darüber, ob sie und ihre Nachfolger Verpflichtungen einhalten, an ein internationales Schiedsgremium außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets abtritt, kann sie sich langfristig binden und so Vertrauen schaffen. Das kann helfen, ausländische Investoren und deren Know-how – vor allem auf dieses kommt es an – ins Land zu holen. 

Umso überraschender, dass in dem Freihandelsabkommen mit den USA, das die EU-Kommission aushandelt, nach derzeitigem Stand Investitionen viel breiter definiert werden sollen, als wir uns das gemeinhin vorstellen.  Nicht nur Sachinvestitionen und die Besitzansprüche dahinter, nein, jede Form von Finanzinvestitionen, einschließlich Finanzderivaten soll eingeschlossen sein. Bisher ist nach Auskunft von Fachleuten auch nicht einmal die Restrukturierung von Staatsanleihen ausgeschlossen. 

 Wenn das so kommt, dann kann man jeden Versuch vergessen, in Europa zu einem verlässlichen Verfahren für Staatsinsolvenzen zu kommen. Dann können sich auch die Anwaltskanzleien, die die Verfahren der Schiedsgerichte in allen Funktionen bestreiten, auf eine massive Ausweitung des Geschäfts freuen. Die Hedgefonds bauen noch Know-how in Sachen Schiedsgerichtsbarkeit auf. Das brauchen sie, weil sie zunehmend liquiditätsschwachen, weil enteigneten Investoren die Tribunalkosten vorschießen. 

 Wenn sie dieses juristische Know-how einmal haben, ist überhaupt nicht abzusehen, auf welche Geschäftsmodelle sie kommen, wenn ein für produktive Anlagen gedachtes Rechtsinstrumentarium auf die extrem unübersichtliche und gestaltbare Finanzsphäre übertragen wird. Ob man dann noch eine Finanztransaktionssteuer einführen oder den Finanzsektor anderweitig einhegen kann, ist im Vorhinein kaum zu sagen.

  Per Freihandelsabkommen in die Schuldenunion

 Die Möglichkeit für Finanzinvestoren, insbesondere auch Käufer von Staatsanleihen, Schiedsgerichte in Anspruch zu nehmen, kann weitere massive Nebenwirkungen haben. Sie können zum Beispiel zu einer Vergemeinschaftung von Staatsschulden in Europa führen

 Derzeit ist geplant, dass ein verklagte EU-Staat das Vorrecht hat, sich vor dem Schiedsgericht zu verteidigen.  Wenn er diese Möglichkeit allerdings nicht nutzt, würde die EU einspringen und sich etwaige Strafzahlungen von dem Staat zurückholen. Im Prinzip jedenfalls. 

 In der Praxis kann man einem nackten Mann schlecht in die Tasche greifen.  Wenn etwa ein EU-Staat zahlungsunfähig wird und sich nicht durch bombensichere Klauseln in den Anleihebedingungen abgesichert hat, können sich die Anleihegläubiger ihr Geld über die dreiköpfigen Schiedsgerichte in Washington von der EU holen. 

 Schon jetzt sind solche Verfahren dort anhängig, unter anderem gegen Griechenland, wegen des EU-gemeinschaftlich konzipierten Schuldenschnitts im Zuge der Euro-Krise und gegen Zypern wegen der dortigen Bankenrestrukturierungen; außerdem gegen Argentinien wegen des dortigen Staatsbankrotts. In keinem Fall hatten die Verantwortlichen diese Möglichkeit mit ins Kalkül genommen, Argentinien hatte sie bei der Abfassung des dem Verfahren zugrunde liegenden Freihandelsabkommens mit Italien sogar ausschließen wollen. 

 Die EU würde also letztlich auf den Strafzahlungen sitzen bleiben, weil der Staat ja zahlungsunfähig ist, und müsste es sich von den noch zahlungskräftigen Nationen holen. Das wäre dann eine Schuldenvergemeinschaftung durch die Hintertür.

  Neue Argumentationslinie der Verteidiger

 Wegen der drohenden Entmachtung der Parlamente und der beschriebenen massiven Nebenwirkungen ist der Investitionsschutzteil des geplanten Freihandelsabkommens mit den USA der Öffentlichkeit kaum noch zu vermitteln. Das gilt umso mehr, als ein solcher separater Investitionsschutz zwischen den USA und der EU völlig unnötig ist, weil die Rechtssystem verlässlich genug sind, damit Investoren investieren können

 Da an ausreichendem Investorenschutz in EU und USA wenig zu deuteln ist, argumentieren Befürworter nun, man dürfe das Rechtssystem anderer Länder nicht abqualifizieren, indem man nur bei ihnen auf Schiedsgerichten bestehe. Sonst weigerten diese sich vielleicht, entsprechende Klauseln zu akzeptieren. 

 Das Argument verkennt Ursprung und legitime Funktion von Investitionsschutzabkommen. Beim Investitionsschutz sollte es nicht um einen machtpolitischen Wettkampf gehen, wer für seine Unternehmen die wertvollsten Privilegien auf dem Gebiet anderer Länder aushandeln kann. Die ursprüngliche und legitime Funktion besteht darin, dass sich ein Land, das keine verlässliche Historie von Rechtssicherheit hat, im Eigeninteresse bis weit in die Zukunft auf ein bestimmtes Niveau von Investorenschutz festlegen kann. Das erleichtert ihm, Investitionen und das damit verbundene Know-how ins Land zu locken. Wenn das Land meint, es sei schon ein festgefügter Rechtsstaat, steht es ihm frei, auf die Selbstverpflichtung zu verzichten. Das ist die Essenz der territorialen Souveränität. 

 Die investitionswilligen Unternehmen hätten natürlich gern die hohen Renditen, die sich in weniger entwickelten Volkswirtschaften erzielen lassen – ohne das damit verbundene Risiko. Dieser Wunsch ist legitim, aber nicht das, was Investitionsschutzabkommen vorrangig bewirken sollen. 

 Selbst wenn man realpolitisch argumentiert: Es funktioniert nicht. Wenn China sich Vorteile von einem Investitionsschutzabkommen verspricht, wird es dieses abschließen. Dass China eine von den USA und der EU ausgehandelte Blaupause übernimmt, ist völlig illusorisch. 

 Zu Teil 1 

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