Was uns mit einem Freihandels- und Investitionsabkommen alles blüht

11. 04. 2014 | Das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) der EU mit den USA, steht auf der Kippe. Um das Scheitern zu vermeiden, bieten die Verteidiger des im Geheimen verhandelten Abkommens inzwischen an, sensible Themen auszuklammern, vor allem im Bereich Lebensmittel und Landwirtschaft. Das ist ein Ablenkungsmanöver. Die Musik spielt woanders, beim Investitionsschutz.

Dieser ist integraler Bestandteil des Abkommens, das „I“ in TTIP. Da kann uns Sigmar Gabriel noch zehnmal erklären, diesen Teil des Abkommens brauche man nicht. Da kann die EU-Kommission die umstrittenen Schiedsgerichte noch zehnmal von den Verhandlungen „ausklammern“. Am Ende werden sie drin sein, oder es gibt kein Abkommen. Bei diesen Schiedsgerichten dürften multinationale Unternehmen Schadensersatz einklagen, wenn sie sich vom Gastland in ihrem Gewinninteresse beeinträchtigt sehen – unter Umgehung des üblichen und mitunter langwierigen Rechtsweges. Ohne sie könnte man sich den ganzen Investitionsschutzteil gleich ganz schenken. Ein gut funktionierendes Rechtssystem in den USA wie in Europa schützt auch ohne neuen Vertrag Investoren wirksam vor Diskriminierung und Enteignung.

Kritiker befürchten jedoch, dass künftig Tribunale, die von Anwälten großer internationaler Kanzleien dominiert werden, den internationalen Konzernen, die potenzielle Kunden dieser Kanzleien sind, Schadensersatz für staatliche Regulierungen zusprechen können. Im Vergleich zu den üblichen Instanzenzügen, wirkt die Entscheidungsmacht dieser Tribunale fast absolutistisch. Im Ergebnis könnten es sich viele Regierungen gar nicht mehr leisten, Regulierungen zum Schutz der Bürger oder der Umwelt zu erlassen, die Gewinninteressen großer Konzerne entgegenlaufen.

Interessenkonflikte überall

Die Befürchtungen sind sehr begründet. Eine Institution in Washington namens International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) wickelt die meisten Schiedsverfahren ab. Sie ist bei der Weltbank angesiedelt. Die Schiedsgerichte bestehen in der Regel aus drei Schiedsrichtern. Jede Partei benennt einen, der Vorsitzende wird im Einvernehmen bestimmt. Gibt es kein Einvernehmen, bestimmt der Präsident der Weltbank, traditionell ein Amerikaner, den Vorsitzenden.

Da die Streitparteien einen Schiedsrichter auswählen, von dem sie Verständnis für ihre Position erwarten, ist der Vorsitzende sehr wichtig für den Ausgang des Verfahrens. Es wird extrem selten vorkommen, dass er überstimmt wird. Die Schiedsrichter werden aus einer Liste von Personen ausgewählt, welche von den Vertragsstaaten des ICSID benannt werden. Zusätzlich darf der Weltbank-Präsident einige auf die Liste setzen.

Wenige Dutzend große internationale Anwaltskanzleien, die spezialisierte Anwälte für internationales Schiedsrecht haben, dominieren die Verfahren. Sie stellen nicht nur die Anwälte der Streitparteien, sondern auch viele Schiedsrichter. Ein und dieselbe Person ist mal Richter und mal Parteianwalt. Die Kanzleien begegnen sich also dauernd als Richter und Anwälte in verschiedenen Prozessen. Man kann bei großen internationalen Kanzleien davon ausgehen, dass sie zu manchen Konzernen, die dort klagen, Geschäftsbeziehungen pflegen, gelegentlich wohl auch zu den beklagten Staaten. Und man braucht nicht viel Fantasie, um sich mögliche Interessenkollisionen für die Schiedsrichter auszumalen.

In einem jüngeren Verfahren wollte Ecuador einen Schiedsrichter für befangen erklären lassen, weil dieser in den Vorjahren achtmal aufgrund einer Nominierung durch die Kanzlei des Prozessgegners Schiedsrichter gewesen war. Das Argument verfing nicht. Allerdings wurde der Schiedsrichter dennoch abberufen. Er hatte sich in einem Schreiben an die Anwälte Ecuadors im Ton vergriffen.

In einem anderen Verfahren wurde ein Schiedsrichter disqualifiziert, weil er Partner einer Anwaltskanzlei war, die gleichzeitig in einem anderen Verfahren als Klägervertreter gegen dasselbe Land auftrat, über dessen Zahlungsverpflichtung er unparteiisch als Schiedsrichter urteilen sollte. Das erachtete das zuständige Tribunal als einen „offensichtlichen“ Interessenkonflikt. Wenn dieser Konflikt so offensichtlich ist, warum ist es dann okay, dass etwas weniger offensichtliche, aber durchaus substantielle Interessenkonflikte dauernd auftreten.

Wenn solche Schiedsverfahren nicht Einzelfälle sind, sondern institutionalisierte Dauereinrichtungen, gibt es kaum ein praktikable Methode, dieser undurchschaubaren Interessenverquickung Herr zu werden – außer eben die Verfahren bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu belassen.

Unkalkulierbares Schadenersatzrisiko

Die Klagesummen können auch bei eher bescheidenen Investitionssummen vor Ort exorbitant sein, weil der Schaden entgangene Gewinne einschließt. Wenn ausländische Konzerne wie Microsoft oder Google einen Markt dominieren, ist der Diskriminierungsvorwurf bei neuen, einschränkenden Regulierungen schnell bei der Hand.

Ein Unternehmer der bescheidene fünf Millionen Dollar in ein Tourismusprojekt in Libyen gesteckt hatte, bekam 2013 einen Schadensersatz von 935 Millionen plus Zinsen zugesprochen. Der Ersatz der fünf Millionen Dollar Investitionssumme war normal. Schon ziemlich ungewöhnlich war die 30-Millionen-Entschädigung für den Reputationsschaden  gegenüber Geschäftspartnern. Richtig ungewöhnlich waren die 900 Millionen Dollar plus Zinsen, die er für entgangene Gewinne bekam. Das Tribunal setzte sich einfach über die bisherige Rechtsprechung hinweg, die verlangt, dass der Kläger dafür eine  Gewinn-Historie nachweist.

Die Macht der Tribunale ist vertraglich kaum zu begrenzen.

Wegen kaum noch zu durchschauender und rechtlich ungeklärter Wechselwirkungen der Investitionsschutzverträge mit Meistbegünstigungsklauseln und Ähnlichem ist es kaum möglich, die Klagemöglichkeiten und die Macht der Tribunale vertraglich wirksam zu begrenzen. Die Tribunale entscheiden selbst über ihre Zuständigkeit

Welche Fallstricke in solchen Abkommen lauern, zeigt ein aktueller Fall: Argentinien hat eine Entscheidung des bei der Weltbank ansässigen Schiedsgerichts ICSID wegen Unzuständigkeit angefochten. Vor kurzem wies das Annullierungskomitee des ICSID dieses Begehren ab. Es ging um einen Wasserversorgungsvertrag in Argentinien, an dem das italienische Unternehmen Impreglio beteiligt war. Impreglio wandte sich an das Schiedsgericht und bekam Schadensersatz zugesprochen. Argentinien wehrte sich, weil das Investitionsschutzabkommen mit Italien den Gang zum Schiedsgericht nur erlaubt, wenn für mindestens 18 Monate die nationalen Gerichte bemüht wurden.

Die Schlichter erklärten sich jedoch aufgrund einer Meistbegünstigungsklausel in dem Abkommen mehrheitlich für zuständig. Die Klausel schreibt vor, dass das Gastland eine Investition aus dem Partnerland mit Maßnahmen auf ihrem Hoheitsgebiet nicht schlechter behandeln darf als eine vergleichbare Investition aus irgendeinem anderen Land. Da ein argentinisches Abkommen mit den USA keine Verpflichtung enthält, erst die nationalen Gerichte zu bemühen, schloss der ICSID, dass auch ein italienischer Investor diese Bedingung nicht einhalten müsse. Für Argentinien schien jedoch klar, dass der Zugang zu einem internationalen Schiedsgericht nicht als eine Regierungsmaßnahme auf eigenem Hoheitsgebiet interpretiert werden kann. Und nur darauf bezieht sich die Meistbegünstigungsklausel.

Das Annullierungskomitee erteilte den Tribunalen einen bemerkenswerten Freibrief. Da diese bisher mal so und mal so entschieden haben, kann das zuständige Tribunal unabhängig von seiner Entscheidung keinen groben Fehler gemacht haben.

Das wurde Argentinien auch in einem anderen Fall zum Verhängnis, der auf dem Investitionsschutzabkommen mit Italien beruht. In diesem steht ganz vorne ausdrücklich, dass nur Investitionen auf dem Territorium des jeweiligen Landes geschützt sind. Trotzdem nahm ein Tribunal nach der Bankrotterklärung Argentiniens, Klagen italienischer Investoren an, welche in Italien argentinische Anleihen von Zwischenhändlern gekauft hatten also nicht einmal von Argentinien direkt. Da gegen die Entscheidungen der Tribunale keine Revision möglich ist und nur der von einem anderen Tribunal festgestellte, offenkundige Rechtsmissbrauch zur Annullierung führt, ist es extrem schwer für die Verhandlungsparteien, beabsichtigte Beschränkungen des Schutz- und Regelungsbereichs tribunalfest  zu machen. Wo der Wille eines Tribunalvorsitzenden ist, lässt sich eine vertretbare Auslegung irgend eines Paragraphen eines Abkommens oder einer Schiedsgerichtskonvention finden.

Ein Freibrief für Datenkraken

Was in der Diskussion um das Freihandels- und Investitionsschutzabkommen bisher nur ansatzweise gesehen wird, ist die möglicherweise sehr hohe Relevanz, die der Investitionsschutz-Teil des Abkommens auf die Durchsetzung von Datenschutzrechten bei quasimonopolistischen Datenkraken wie Google, Facebook, Twitter und Microsoft haben kann.

Zum Geschäftsmodell der Internetbranche gehört die Abwesenheit eines wirksamen Datenschutzes, denn die Daten der Kunden sind eine wertvolle Ware. Notwendige Maßnahmen zur Wiederherstellung unserer informationellen Selbstbestimmung könnten wegen hoher Schadensersatzdrohungen unterbleiben.

Sollte etwa der – zugegebener Maßen eher unwahrscheinliche – Fall eintreten, dass unsere Volksvertreter ein Gesetz erlassen, um zu verhindern, dass dank der Datenbrille „Google Glass“ die Google-Server zur größten Videoüberwachungsdatei der Welt werden, dann könnte das nach Vereinbarung eines Investitionsschutz-Abkommens unermesslich teuer werden. Denn der Schadensersatz, den Google für eine solche Beschneidung seines vermeintlichen Rechts verlangen würde, mit unseren intimsten Informationen zu tun, was das Datenkraken-Geschäftsmodell verlangt, würde die Zahlungsbereitschaft unserer Regierung sicher weit übertreffen.

Riesiger Wettbewerbsvorteil für die Großen

Ein Mittelständler muss sich an die zuständigen Gerichtsinstanzen wenden, wenn er irgendwo in Europa in Vertragsstreitigkeiten mit einer Regierung gerät. Ein Unternehmen, das aus den USA kontrolliert wird, soll sich dagegen wahlweise an ein Schiedsgericht in Washington wenden dürfen, bei dem das Ergebnis vom Urteil des vorsitzenden Schiedsrichters abhängt und kaum anzufechten ist. Das soll nicht nur klassische Investitionsschutztatbestände wie Verstaatlichung oder Diskriminierung betreffen, sondern auch Allerweltsdinge wie die „Enttäuschung von legitimen Erwartungen aufgrund von Regierungsaussagen oder von Maßnahmen zum Anlocken von Investorenerwartungen“ oder generell die Nichteinhaltung von Regierungszusagen. Ausländische Investoren sollen also wegen jeder Rechtsstreitigkeit etwa in Zusammenhang mit öffentlichen Aufträgen oder dem Kauf eines Staatsunternehmens vor ein Schiedsgericht ziehen können. Ihre Konkurrenten bleiben auf die ordentlichen Gerichte verwiesen. Eine Verpflichtung, zunächst den ordentlichen Rechtsweg auszuschöpfen, ist im geheimen EU-Entwurf des Abkommens, so wie ihn die „Zeit“ veröffentlicht hat, nicht zu finden. Dafür sollen die Sonderrechte nicht etwa nur für Investitionen gelten, die nach Inkrafttreten des Abkommens getätigt wurden, sondern auch für alle schon vorhandenen Investitionen. Und falls eine Seite das Abkommen kündigt, so soll dieses Rechtsprivileg für alle vorhandenen US-Investitionen in der EU und alle EU-Investitionen in den USA noch 20 Jahre weitergelten.

Nichts gegen Multis. Sie sind eine wichtige Säule unseres Wohlstands. Aber sie sollten unter ähnlichen Bedingungen wirtschaften müssen wie andere Firmen. Wenn das Investitionsschutzabkommen kommt, tut ein lokales Unternehmen künftig gut daran, sich von US-Investoren kaufen zu lassen. Besonders dann, wenn es viele Geschäfte mit der öffentlichen Hand macht.

Resümee:

Für die Bürger hat ein Investitionsschutzabkommen mit den USA keine Vorteile. Aber es für die international tätigen Konzerne riesige Chancen. Den Geltungsbereich des Abkommens und die Macht der Tribunale wirksam einzugrenzen, ist fast unmöglich, selbst bei gutem Willen der Verhandler, von dem man nicht ausgehen sollte.

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Schlagwörter: TTIP, Freihandelsabkommen, Investorenschutz, Datenkraken, Schadensersatz, Demokratie

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