Die Europäische Zentralbank (EZB) unter ihrem Chef Mario Draghi, einem früheren Manager der Investmentbank Goldman Sachs, und die Bank von England, unter ihrem Chef Mark Carney, einem früheren Manager der Investmentbank Goldman Sachs, haben ein bemerkenswertes, gemeinsames Papier vorgelegt. Darin werben sie dafür, dass die Regulierer den sogenannten Asset Backed Securities mit ihrem „langfristigen sozialen Wert“ das Leben nicht unnötig schwer machen. Zur Begründung
dient die Kreditklemme in weiten Teilen der Währungsunion. Indem die Banken Kredite in Wertpapiere verpacken, verkaufen und so aus ihrer Bilanz entfernen, soll ihnen möglich gemacht werden, wieder mehr Kredit zu vergeben. Das ist ein Vorwand, um das zu tun, was die beiden Zentralbanken schon lange tun: freie, möglichst wenig regulierte Kapitalmärkte zu fördern. Kapitalmärkte wiederum ist ein Synonym für die großen Player auf diesen Märkten, die großen, international tätigen Banken.
Nicht zuletzt der gemeinsame frühere Arbeitgeber von Draghi und Carney hat große Expertise auf dem Gebiet der Derivate. Unter anderem hat Goldman Sachs diese zu der Zeit, als Draghi dort wirkte, eingesetzt um der konservativen griechischen Regierung zu helfen, ihre Schulden und Defizite zu verschleiern.
Die Argumente, die Draghi und Carney für ABS vorbringen, wirken teilweise wie abgeschrieben aus Aufsätzen in EZB-Monatsberichten im Juli 2004 und im Oktober 2005, geschrieben, bevor die ersten Vorboten der Krise auf den Plan traten. Im Juli 2004 erklärte die EZB ab Seite 63 die angebliche „Widerstandsfähigkeit des Bankensektors der EU“ mit der „Zunahme von Instrumenten zur Kreditrisikoübertragung, wie beispielsweise Kreditderivate.“. Dank ihrer verteile sich das Kreditrisiko gleichmäßiger über das Finanzsystem. Heute schreiben Draghi und Carney, dass ein Markt „für klug gestaltete“ ABS das Potential habe, die Effizienz der Ressourcenallkoation in der Wirtschaft zu verbessern und die Verteilung der Risiken zu verbessern.
Eigentlich hatten wir gedacht, dass der Glaube an effizienten Finanzmärkte seit der Krise passè sei und kein Wirtschaftspolitiker ihn mehr zur Begründung von Deregulierung heranziehen würde. Aber da ist sie wieder, die „Effizienz der Ressourcenallokation“, so wie damals, Ende 2005 (ab S. 79), als die EZB schon einmal warnte, es mit der Regulierung nicht zu übertreiben. „Das Streben nach Finanzstabilität und Verbraucherschutz kann allerdings mitunter auch zu Lasten der Effizienz gehen, etwa wenn Bestimmungen unbeabsichtigter Weise Innovationsbemühungen entgegenwirken“, hieß es damals von der Notenbank. Auch jetzt fürchtet Draghi, dass es die Regulierer mit dem Sichern der Finanzstabilität übertreiben. „Regulierungsinitiativen wurden so gestaltet, dass sie die Mängel beheben, die die Krise ins Rampenlicht gestellt hat“, schreiben er und Carney und fügen ganz im Sinne der Vorkrisenhaltung der EZB hinzu: „Jedoch kann man der Meinung sein, dass die vorgeschlagenen Veränderungen ABS in einer Weise behandeln, die man als übermäßig konservativ wahrnehmen könnte.“
Damals beglückwünschten die europäischen Notenbanker im EZB-Monatsbericht noch sich und die anderen Regulierer dafür, dass wegen des Risikos der Überregulierung „die Regulierungsbestrebungen in jüngster Zeit zunehmendes Gewicht auf eine präzise Risikoeinschätzung und die Bedeutung der Marktdisziplin legen.“ Was die Notenbanker damals für präzise Risikoeinschätzung hielten, stellte sich im Zuge der Finanzkrise als ein mit dem wasserlöslichen Kleister der Scheingenauigkeit zusammengeklebtes, riesiges Kartenhaus heraus, das beim ersten Regen zusammenfiel. Im Text von Draghi und Carney feiert die „präzisere Risikoeinschätzung“ fröhliche Urständ in Form einer Trennung von guten, weil einfachen und bösen, weil komplizierten ABS. Nurr dazu, sich stärker auf den Markt zu verlassen wollen sich die beiden noch nicht wieder öffentlich bekennen. Das ist verständlich, will doch der Markt ja gerade gar keine ABS mehr haben, wie die beiden selbst einräumen, unter anderem wegen der berechtigten Angst der Investoren vor den Kreditrisiken, die die Banken los werden wollen. Deshalb treten die beiden ehemaligen Investmentbanker dafür ein, dass Regulierer und Zentralbanken der Nachfrage auf die Sprünge helfen.
Denn, wie die EZB schon 2005 feststellte, schneiden die mit mehr Derivaten gesegneten angelsächsischen Finanzsysteme besser ab und sind daher Vorbild. Das scheint auch nach der von zu vielen Derivaten verursachten Finanzkrise für Draghi und Carney noch zu gelten, wenn sie es auch nicht mehr ganz so explizit machen. Aber den prominenten Hinweis, dass der ABS-Markt in der EU derzeit nur noch ein Viertel so groß ist, wie in den USA muss man, zusammen mit dem erklärten Bestreben, ihn zu vergrößern, wohl so verstehen.
Wer bis hierher noch nicht nervös geworden ist, dem sei noch mitgeteilt, dass ABS, in denen Kredite an kleine und mittlere Unternehmen verpackt sind, nur acht Prozent des ABS-Markts ausmachen. Die verbesserte Kreditversorgung dieser Zielgruppe steht aber angeblich bei der ABS-Förderaktion der Zentralbanker im Vordergrund. Ganze 58 Prozent des ABS-Marktes basieren jedoch auf Hypothekarkrediten für Wohnimmobilien, und am meisten davon gibt es in Großbritannien. Dort machen sich die Regulierer bereits öffentlich Sorgen, dass die stark gestiegenen Immobilienpreise eine neue Preisblase signalisieren. Da fragt sich der unbefangene Beobachter, ob es wirklich sinnvoll ist, den Banken zu erleichtern, noch mehr Kredite in diesen Markt zu pumpen und damit die Preise noch weiter anzutreiben. Aber halt: Als die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) anfing zu warnen, das stark zunehmende Immobilienkredite Vorboten von Krisen seien, wischte die EZB das im Monatsbericht September 2004 (S. 22) mit dem Hinweis beiseite, dass es „keinen mechanischen Zusammenhang zwischen der Geldmengen- und der Vermögenspreisentwicklung“ gebe. Einige Jahre mit zweistelligen Hypothekenkredit-Wachstumsraten in Irland, Spanien, Griechenland und Zypern später, stellte sich zwar heraus, dass die BIZ furchtbar Recht hatte. Aber Draghi und Carney ficht das offenbar immer noch nicht an.
Eines hat sich allerdings geändert. Haben die EZB und die anderen Notenbanken und Regulierer früher die Rolle von gekauften, viel zu positiven Urteilen der Rating-Agenturen über Kreditderivate ignoriert, so widmen Draghi und Carney in ihrem aktuellen Papier der Agenturen einigen Raum. Sie beklagen, dass die Rating-Agenturen zu streng mit den ABS seien, unter anderem, weil sie sich weigern, Kreditverbriefungen aus Ländern mit Regierungen fragwürdiger Kreditwürdigkeit richtig gute Noten zu geben. Es wäre erstaunlich, wenn die Agenturen sich lange bitten ließen, zu ihrem alten, sehr einträglichen Geschäftsmodell zurückzukehren, schönfärberische AAA-Ratings zu verkaufen. Ob es der Finanzstabilität gut tut, ist eine andere Frage.