Europas Banken: übergewichtig und labil

Alles ist gut. Europas Banken haben den Stresstest der Europäischen Zentralbank (EZB) im Großen und Ganzen gut bestanden. Aber halt: War das nicht was? Im Juni? Richtig, Da veröffentlichte der wissenschaftliche Beirat des Europäischen Systemrisikorats die Studie Is Europe Overbanked?. Die Antwort, die international führende Finanzwissenschaftler zu Papier brachten, hätte auch von Attac oder anderen Kritikern einer globalisierten Finanzwelt stammen können, Die Banken seien zu groß, zu konzentriert, zu mächtig, zu stark verschuldet und eine Belastung

für die produzierende Wirtschaft. Nichts ist gut.   

Der Europäische Systemrisikorat soll dafür sorgen, dass sich so etwas wie die derzeitige Bankenkrise nicht wiederholt. Unter dem Vorsitz des EZB-Präsidenten Mario Draghi, beraten darin Finanzexperten der EZB und der Aufsichtsbehörden über Gefahren für die Finanzstabilität. Ihnen zur Seite steht der Wissenschaftliche Beirat, von dem der schonungslose Bericht stammt.  Zu der Gruppe gehörten internationale Schwergewichte wie Markus Brunnermeier von der Princeton Universität, sowie Martin Hellwig, André Sapir und die inzwischen in den Bundesbank-Vorstand gewechselte Claudia Buch. 

„Das europäische Bankensystem hat eine Größe erreicht, bei der sein zusätzlicher Beitrag für das Wirtschaftswachstum null oder sogar negativ ist“, heißt es in dem Bericht. Durch die massive Ausdehnung des Bankgeschäfts sei zu viel Geld in die Immobilienmärkte geflossen und seien zu viele junge Talente von den Banken abgeworben worden – zulasten von Unternehmen der Realwirtschaft. 

Die Wissenschaftler zeigen in ihrem Bericht, dass sich der europäische Bankensektor erst in den vergangenen gut zwei Jahrzehnten so stark aufgebläht hat, dass er relativ zur Wirtschaftsleistung andere Bankensysteme weit hinter sich lässt. In Europa ist die Bilanzsumme der Banken, selbst wenn man gegenseitige Forderungen aufrechnet, inzwischen mehr als dreimal so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt. In den USA ist das Verhältnis nur halb so hoch. 

Und das liegt keineswegs an der Unternehmensfinanzierung, die in Europa stärker als in den USA über Banken läuft. Gerade einmal 15 Prozent der Bilanzsumme entfallen auf Unternehmenskredite, also kaum mehr als ein Siebtel.  Weitere 18 Prozent entfallen auf Kredite an private Haushalte. 

Zwei Drittel der Bilanzsumme gehen auf Kredite an Regierungen, an das Ausland, Derivate und sonstige Spielereien der Finanzbranche mit sich selber zurück.  Zwar sei das Wachstum des Derivatehandels ein globales Phänomen, stellen die Forscher fest. Europäische Banken hätten sich hier aber überdurchschnittlich stark engagiert. 

Hinzu kommt ein Weiteres: Der europäische Bankensektor ist besonders stark konzentriert und besonders schwach kapitalisiert. Die 20 größten Banken haben mit 24 Billionen Dollar eine knapp doppelt so hohe Bilanzsumme wie die 20 größten US-Banken. 

Bemerkenswerterweise geht die Verdopplung des Bankensektors relativ zum Bruttoinlandsprodukt seit 1996 zur Gänze auf das starke Wachstum dieser 20 größten Banken zurück. Ihre konsolidierte Bilanzsumme nahm um 139 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts zu. Diese Expansion geschah mit Schulden. Zwar haben die großen, systemrelevanten Banken seit 2008 ihre Eigenkapitalquote im Verhältnis zur Summe ihrer Vermögenswerte um knapp ein Prozent auf 3,9 Prozent gesteigert. Das ist aber immer noch gut zwei Prozent weniger als Ende der 90er-Jahre und 0,6 Punkte weniger als bei systemrelevanten US-Banken. 

Weil sie so dünn kapitalisiert sind, tun sich die europäischen Banken in der Krise sehr schwer mit der Kreditvergabe, was die Konjunktur stark belastet.  Gleichzeitig haben europäische Unternehmen geringe Ausweichmöglichkeiten, weil die Unternehmensfinanzierung über den Kapitalmarkt relativ unterentwickelt ist.  Dessen Finanzierungsangebot ist stabiler. 

Die Wissenschaftler haben vor allem zwei Erklärungskandidaten für die schuldengetriebene Großbankenexpansion in Europa, die vermutlich zusammenhängen.  Da ist zum einen die Konkurrenz der europäischen Länder um die leistungsfähigsten nationalen Champions im Bankgewerbe. Alles, was den eigenen Großbanken nutzte und sie noch größer werden ließ, war aus dieser Sicht gut für das Land. In den USA oder in Japan gab es diese interne Konkurrenz um die stärksten nationalen Champions nicht. 

Auch seien die amerikanischen Aufseher viel mutiger als die europäischen, was das Schließen und Abwickeln von Banken angeht, die sich in eine Schieflage manövriert haben. Im Laufe der Finanzkrise haben die US-Behörden Hunderte notleidende Banken geschlossen. In der EU waren es nur wenige Dutzend. 

Die Förderung nationaler Champions und die Folgen hat auch Nicolas Véron, Regierungs- und Regulierungsberater und Mitbegründer des Brüsseler Forschungsinstituts Bruegel unter dem Titel „Banking Nationalism and the European Crisis“ untersucht. Er zeigt, wie Bankennationalismus zu übermäßigem Wachstum und unzureichender Regulierung geführt hat. Als Kernproblem identifiziert er die Kombination aus nationalen Regulierern und einer immer ausgeprägter werdenden Freiheit des Bankgeschäfts über Grenzen hinweg. Weil die Staaten miteinander konkurrieren und die Versorgung der Wirtschaft mit Finanzdienstleistungen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, maßen und messen die Regierungen dem relativen Erfolg der eigenen Banken große Bedeutung bei. 

Die Banken positionierten sich für eine aus ihrer Sicht unvermeidliche Konsolidierungswelle. Um nicht geschluckt zu werden, suchten sie Größe und fanden diese durch Übernahmen und Schuldenaufnahme“, diagnostiziert Véron.  Regierungen und nationale Regulierer unterstützen sie darin. Sie sind sehr schnell mit Rettungspaketen bei der Hand, die Gläubiger und manchmal sogar die Aktionäre der Banken schonen, selbst wenn die Systemrelevanz eher fragwürdig ist, wie etwa bei der IKB. Das solle verhindern, dass andere heimische Banken bei der Refinanzierung mit einem Malus gegenüber denen mit rettungsfreudigeren Regierungen bedacht werden.  Auch laxe Regulierung, laxe Stresstests, mangelnde interregionale Kooperation der Behörden, zahnlose Wettbewerbskontrolle und die Behinderung bankenunabhängiger Unternehmensfinanzierung führt Véron als Auswüchse des Bankennationalismus an. 

Die europäische Bankenunion, mit einer Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank sei im Prinzip geeignet, das Problem des Bankennationalismus zu entschärfen, stellt Véron fest – allerdings „mit dem großen Wenn“, dass sie auch in diesem Sinne umgesetzt wird. Bisher ist die EZB eigentlich nur als Mahnerin gegen zu scharfe Regulierung aufgetreten.  Nicht von ungefähr.

Das Argument vom nationalen Champion lässt sich nämlich auch auf die europäische Ebene heben. So hat der Chef der Großbank Société Générale, Frédéric Oudéa, die Regulierer aufgefordert, „aus Gründen der ökonomischen Souveränität sicherzustellen, dass wir im Investmentbanking auch starke europäische Banken haben.“

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