Ich hatte mir solche Mühe gegeben, 256 Seiten lang meine wahre Gesinnung zu verbergen. Doch auf Seite 34 meines als Sachbuch über den Kampf gegen das Bargeld getarnten Buches unterlief mir ein unverzeihlicher Fehler. Ich gebrauchte das Wort „Ostküste“, obwohl ich hätte wissen müssen, dass es Leute gibt, die wissen, dass das ein antisemitisch konnotiertes Codewort ist, das Nazis gern gebrauchen.
Mir unterlief sogar noch ein zweiter Fehler. Ich bediente durch meine Darlegungen, dass vor allem die Finanzbranche von einer Abschaffung des Bargelds profitieren würde, das Vorurteil, dass diejenigen, die von einer Entscheidung profitieren auch die dahinterstehende Kraft sein müssen. Ich hätte wissen sollen, dass ein solches Klischee irgendwann von klugen Leuten als antisemitisch erkannt wird. Stattdessen verlies ich mich naiv darauf, dass niemand Verdacht schöpfen würde, weil die Frage „Cui bono?“ (Wer profitiert?) seit Cicero ein akzeptiertes Instrument der kriminalistischen Analyse ist. Aus Wikipedia: „Cui bono, literally „to whose profit?“, is a Latin phrase which is still in use as a key forensic question in legal and police investigation: finding out who has a motive for a crime.”
Auch wenn es mir als latent rechtsradikalem Publizisten schwer fällt, einem Linksausleger wie Ingo Stützle ein solches Lob zu zollen, muss ich neidlos anerkennen, dass ich in diesem linguistischen Blockwart meinen Meister gefunden habe. Herr Stützle, geschäftsführendes Mitglied der Redaktion der Zeitschrift PROLKLA, hat mich in einem Text zur Pro-Bargeld-Demo in Frankfurt enttarnt.
Dabei hatte ich das antisemitisch-klischeehafte an meiner Vorurteilsbedienung dadurch zu verstecken versucht, dass ich viele Seiten lang darlegte, welche – überwiegend nichtjüdischen – Personen und Institutionen hinter den weltweiten Bemühungen zur Zurückdrängung des Bargelds stehen, über welche Netzwerkknoten sie verbunden sind, und dass sie aus der Finanzszene kommen, und nicht etwa aus der Szene der Kriminalitätsbekämpfer. Aber Ingo Stützle durchschaute diese perfiden Ablenkungsmanöver sofort und ignorierte sie entsprechend von vorne herein.
Auch von einem weiteren Ablenkungsversuch ließ er sich nicht blenden. Ich vermied im ganzen Buch jedwede Anspielungen auf irgendwelche religiösen Zugehörigkeiten. Nur an einer Stelle, schrieb ich zur Vortäuschung einer anti-antisemitischen Grundhaltung:
„Es schwirren zahlreiche nicht verifizierte Zitate von Bankern herum, die einen verschwörerischen Charakter des Geldsystems nahelegen. Man muss damit sehr vorsichtig sein, denn oft handelt es sich bei denen, denen diese Zitate zugeschrieben werden, um jüdische Bankiers; besonders gern „zitiert“ werden die Mitglieder der einst so mächtigen Rothschild-Dynastie. Da es viele Anhänger der Theorie einer jüdischen Weltverschwörung gibt, die solche vermeintlichen Zitate mit Begeisterung aufsaugen, war es nie schwer, sie in Umlauf zu bringen und so oft wiederholen zu lassen, bis sie echt erschienen. Am bekanntesten ist wohl ein angebliches Zitat eines Rothschild, wonach es ihm gleichgültig sei, wer die Gesetze einer Nation mache, solange er das Geld(-system) kontrolliere. Es ist nicht verifizierbar.“
Aber nachdem ich Stützle gelesen habe, weiß ich, was ich auch hier falsch gemacht habe. Als ein aufrechter Nicht-Nazi hätte ich nicht „jüdische Bankiers“ schreiben dürfen, sondern „Bankiers jüdischen Glaubens“, auch wenn ich nicht weiß, ob sie tatsächlich gläubig waren. Aber „jüdisch“ ist ein Wort, das von Nazis in negativer Konnotation verwendet wird. Es sollte daher besser nicht verwendet werden, wenn man nicht in Verdacht rechtsradikaler Gesinnung geraten will.
Die Nutzung des Begriffs „Ostküste“ war nicht ganz so unverzeihlich naiv, wie es erscheinen mag. In Wikipedia steht dazu im englischen Eintrag gar nichts Verfängliches, im Deutschen steht:
„Im politisch-soziologischen Bereich wird gelegentlich vom „Ostküsten-Establishment“ gesprochen. Gemeint ist damit die zu großen Teilen im Bereich zwischen Washington und Neuengland konzentrierte gesellschaftliche Elite der USA. In diesem Gebiet befinden sich neben der politischen Hauptstadt mehrere wichtige Finanz- und Kulturzentren sowie die Universitäten der Ivy League. Meist wird der Begriff pejorativ benutzt, insbesondere um die soziale Ungleichheit im Land anzuprangern.“
Da ich meinte, mir einen Ruf als jemand mit einer vermeintlich eher linken Weltanschauung zugelegt zu haben, dachte ich, man würde ganz selbstverständlich annehmen, dass ich Ostküste einfach nur als geografische Klammer der drei in meiner Analyse vorkommenden Städte Washington, New York und Boston meine, oder dass ich etwas in der genannten politisch-soziologischen Richtung im Sinne habe. Nicht aber der kluge Ingo Stützle. Er wusste sofort, dass ich Ostküste stattdessen im Sinne des bei Wikipedia folgenden Satzes meinen musste: „Im rechtsextremen Jargon steht es als Codewort für das angeblich von Juden dominierte internationale Finanzsystem.“
Meine Verneigung vor Stützles Scharfsinn soll darin bestehen, seine kurze und ungemein prägnante Analyse meines Buches widerzugeben.
„Die Geschichte des Geldes ist geprägt von Missverständnissen und Auseinandersetzungen darüber, was Geld überhaupt ist – und mit allerlei Mythen und Verschwörungstheorien befrachtet. So vermutet Norbert Häring, Wirtschaftsjournalist beim Handelsblatt und Autor von »Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen«, hinter den Forderungen nach Abschaffung des Bargelds ein »Netzwerk, dessen Zentrum an der Ostküste der USA liegt«. Er leistet damit (antisemitischen) Ressentiments Vorschub: nicht nur mit der Formulierung (»Ostküste«), sondern indem Häring die Vorstellung bedient, dass, wer von der Entscheidung profitiert (Banken, Finanzdienstleister), deshalb auch die dahinterstehende Kraft sein muss.“
(Übersetzung: „Und ich sage Euch, der Mann und der Hund arbeiten definitiv zusammen…“ „Um Gottes Willen Trevor, Du immer mit Deinem Verschwörungszeugs!“)
Muss man auf so etwas wirklich eingehen?
Manch Leser mag sich fragen, warum ich diese Anwürfe auf einem obskuren Blog mit so vielen Worten bedenke, und sie dadurch erst aus der Obskurität hole. Ich tue das absichtsvoll, weil es zu den wirksamsten und perfidesten Abwehrmaßnahmen einer viel zu mächtigen und ganz überwiegend nicht-jüdischen Finanzbranche gehört, Kritikern, die lästig werden, durch Geraune im Hintergrund das Label „Vorsicht, könnte ein Antisemit sein“ anzuheften. Schon die Angst vor diesem Label bewirkt, dass viele allenfalls mit äußerster Zurückhaltung wagen, die Finanzbranche zu kritisieren. Denn diejenigen, denen das Label auf den Rücken geklatscht wird, werden unmerklich aus dem Kreis der satisfaktions- und kontaktfähigen Kritiker ausgeschlossen. Ihr Umfeld fürchtet, der bloße Kontakt, das bloße Zitieren, auch unverfänglicher Äußerungen dieser Aussätzigen könnte zur Stigmaübertragung führen.
Der israelische Soziologe Moshe Zuckermann hat den Mechanismus in dem Buch „Antisemit! Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument“ beschrieben.
Der Vorwurf wird dabei gern, wie hier von Stützle, so subtil und unauffällig in Umlauf gebracht, dass der Urheber sich möglichst nicht rechtfertigen muss, oder sich herausreden kann, wenn es doch nötig wird. Nachdem ich Stützles Text unwahrscheinlicher Weise doch gelesen und mich bei ihm beschwert hatte, dass ich sehr ungern grundlos als Antisemit bezeichnet werde (zugegeben unter Nutzung des unhöflichen Wortes „Dreckschleuder“), bekam ich zur Antwort, er habe mich gar nicht als Antisemit bezeichnet, sondern nur dargelegt, dass meine Argumentation und Begriffswahl bei Rechtsextremen „anschlussfähig“ sei. Ich gebe zu, daraufhin nannte ich ihn in einer emotionalen Aufwallung einen feigen Heckenschützen.
In der Tat hat er ja nur gesagt, wer das „Vorurteil“ bediene, die Finanzbranche beeinflusse politischen Entscheidungen zum eigenen Vorteil, der schüre damit (antisemitische) Ressentiments. Der Hauptvorwurf kommt als Klammereinschub daher, ist aber so umfassend formuliert dass jede Kritik an der Finanzbranche als den Antisemitismus nährend verunglimpft werden kann und wird.
Eine prototypische Vorgehensweise
Die Funktion des Setzens von Denunziationen an obskuren Stellen im Internet ist es, dass jeder der möchte oder den Auftrag hat, sich darauf beziehen kann. Der nächste kann dann mit vagen Formulierungen weiter Dreck auf das Ziel des Angriffs werfen, ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen. Ab zwei oder drei solchen „Fundstellen“ im Internet kann man schon sagen „gilt als…“.
Ich war ängstlich-neugierig, ob das schon stattfindet. Ich gab „Häring“, „Bargeld“ und „antisemit“ in eine Suchmaschine ein und erlebte eine Überraschung. Stützle war gar nicht der Erste. Schon am 14. April hatte ein freier Journalist aus dem Antifa-Umfeld namens Peter Nowak in einem Beitrag auf „Jungle World“ ganz Ähnliches geschrieben. Ihm war sauer aufgestoßen, dass die linke Tageszeitung Neues Deutschland als bis dahin einzige überregionale Tageszeitung eine Rezension über mein Buch gebracht hatte (das immerhin auf Rang 4 der Wirtschaftsbestseller des Manager Magazins steht). Nowak schrieb:
„So ist die »US-Ostküste« ein weit verbreiteter Code für die jüdische Weltverschwörung. Doch dieser Terminus wird auch in linken Kreisen unkritisch verwendet. So wurde im Neuen Deutschland Mitte März ein Buch des Autors Norbert Häring rezensiert, in dem dieser sich gegen die Abschaffung des Bargelds wendet. Der Rezensent schreibt: »Hinter der Verschwörung gegen das Bargeld sieht Häring ein Netzwerk, dessen Zentrum an der Ostküste der USA liegt, zu deren zentralen Figuren Summers, der US-Ökonom Ken Rogoff und EZB-Präsident Mario Draghi gehören. Diese seien in engen Seilschaften verbunden, wozu die Harvard-Gesellschaft, das MIT, die Group of Thirty, eine private Lobbyorganisation der Finanzwirtschaft, die Bilderberg-Konferenz, Goldman Sachs, der Währungsfond und die Weltbank gehören.« Der Rezensent tadelt zwar milde, Häring hätte seine Behauptungen besser belegen sollen. Dass in dem kurzen Absatz gleich mehrere antisemitische Codes zu finden sind, scheint ihm aber nicht aufgefallen zu sein.“
(Falls ihnen diese besondere Bedeutung von Ostküste nicht bekannt war, müssen Sie sich nichts denken. In meinem Bekanntenkreis wusste das auch keiner. Das scheint etwas für Insider zu sein.)
Jungle World ist eine schillernde Publikation. Sie entstand 1997, weil einige Redakteure gegen die Leitung der linken Zeitung Junge Welt meuterten, „wegen latentem und manifesten Antisemitismus“, wie die „Zeit“ schrieb, und es unwahrscheinlicher Weise schaffte, ohne Startkapital und Produktionsmittel eine Zeitung mit fünfstelliger Auflage und über 5000 Abonnenten aufzuziehen, die bald 20jähriges Jubiläum feiern kann. Sie nennt sich „dezidiert nicht antizionistisch, antisemitisch und antiamerikanisch“. Beteiligt an dieser anti-antisemitischen Zeitungsgründung war unwahrscheinlicher Weise ein Jürgen Elsässer, der seither alles Menschenmögliche und -unmögliche tut, dem Gerede von einer antisemitisch/antiamerikanischen Querfront von linksaußen und rechtsaußen Nahrung zu geben und Beispiele zu liefern, als personalisierte Ein-Mann-Querfront.
Nowak legt also in dieser schillernden Publikation den Grundstein des versuchten Rufmords mit einem nur indirekten Vorwurf an mich. Der direkte Vorwurf geht an das Neue Deutschland, dafür,so etwas chiffriert antisemitisches zu rezensieren. Andere linke Publikationen sollten wohl abgeschreckt werden. Stützle nimmt das, was Nowak schreibt, wiederholt es gestrafft und ohne Quellenangabe, und spitzt es zu, indem er den Vorwurf erhebt, ich befördere antisemitisches Gedankengut.
Jetzt sind schon zwei scheinbar unabhängige Fundstellen im Netz für den Antisemitismusvorwurf anzutreffen und zu verlinken. Das reicht schon fast, für ein „gilt als latent antisemitisch“.
Bleibt zu fragen, ob der geschäftsführende Redakteur einer linken Zeitschrift einfach nur nicht die intellektuelle Kapazität hat, um einen halbwegs sinnvollen Text ohne unbeabsichtigten Rufmord zu schreiben, oder ob er absichtsvoll bei bestimmten Themen Verwirrung stiftet und absichtsvoll Kritiker der Finanzbranche mit schwer abzuwaschendem Dreck bewirft. Um bei der Urteilsfindung zu helfen, will ich Stützles gesamten Text analysieren.
Für den Fall, dass jemand der mich nicht kennt, meinen sollte, es sei nötig, will ich vorher noch explizit feststellen: Religionen sind mir egal. Ich finde religiösen Eifer irritierend, egal ob christlich, jüdisch oder islamisch. Ansonsten sind mir alle Menschen gleich welcher Religion oder ohne Religion gleich lieb. Leute, die andere Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Religion abwerten, ablehnen oder diskriminieren wollen, um sich selbst wertvoller fühlen zu können, finde ich bedauernswert. Ich halte Theorien von einer jüdischen Weltverschwörung für Quatsch.
Analyse eines Verwirrung stiftenden Textes
„Dostojewski, Marx, Liza Minelli – vom Geld und seinen Mythen
Um das Geld und seine Macht ranken sich Mythen und Verschwörungstheorien.“
So geht Stützles Text los. Es folgt ein unverfänglicher Einleitungsabsatz über die Pro-Bargeld Demo in Frankfurt.
Unter der Zwischenüberschrift: „Die Debatte ums Bargeld“ kommt ein Plädoyer für dessen Abschaffung aus dem dümmstmögichen Grund, den keiner der Bargeldgegner mehr ernsthaft anführt: es seien Bakterien an Geldscheinen gefunden worden, und Spuren von Kokain. Das nenne ich eine radikal-marxistische Analyse. Wird der 500-Euro-Schein abgeschafft, weil an ihm besonders viele Bakterien, oder besonders viel Kokain haften? Als nächstes schaffen wir aus dem gleichen Grund Wasserhähne und Türklinken ab, und dann machen wir Weltrevolution.
Die Bakterien hätten die Ökonomen aber „wohl kaum“ im Sinn, die ein Ende des Bargelds forderten und eine entsprechende Gegenreaktion hervorriefen. Besonders die Deutschen schienen am Bargeld zu hängen fährt er fort, ohne dass klar wird, wie das aus dem Vorangegangen folgt. Umfragen zeigten das auch, behauptet er, Das gilt aber genauso für Österreich, Schweiz und eine ganze Reihe weiterer Länder. Die Better Than Cash Alliance, die von Visa, Mastercard etc. finanziert wird, beklagt sich bitterlich, dass die Leute in Indien und anderen Schwellen- und Entwicklungsländern ganz schwer vom Bargeld weg zur Nutzung digitalen Geldes zu bringen sind. Es sind bei weitem nicht nur die Deutschen, die am Bargeld hängen.
Andere Länder seien da „viel weiter“, schreibt er und zählt auf, welche Länder das sind, bis hin zu denen, in denen die Regierungen das Bezahlen großer Rechnungen mit Bargeld bereits verboten haben. Große Geschütze gegen Bakterien auf großen Banknoten. Mit weniger am Bargeld hängen hat das aber nicht wirklich zu tun, wenn von der Regierung verboten wird, das Bargeld zu nutzen.
Überraschender Weise kommt im nächsten Kapitel wieder der Schwenk, indem Stützle schreibt, die Hauptargumente der Bargeldgegner, nämlich die Nutzung durch Kriminelle und die behauptete Schnelligkeit des Bezahlvorgangs seien nicht überzeugend. Es gehe wohl eher darum, stärker negative Leitzinsen zu ermöglichen. Stützle akzeptiert offenbar das Argument, aber nur innerhalb des Argumentationsrahmens, dass kein anderes Mittel zur Konjunkturankurbelung zur Verfügung steht. Er lässt durchblicken, dass er diesen Rahmen ablehnt und der Meinung ist, die Finanzpolitik könnte und müsste die nötige Nachfragebelebung herbeiführen. Auch geld- und konjunkturpolitisch ergibt sich also anscheinend für ihn kein Grund für die Bargeldabschaffung.
In einem weiteren Kapitel wird der Überwachungsaspekt des Buchgeldes dargelegt, der bedrohlicher würde, wenn es kein Bargeld mehr gäbe. Stützle lässt die kommerzielle Überwachung weg und geht nur auf die mögliche staatliche Überwachung ein, welche „(Neo-)Liberale bis Piraten“ als Gegner auf den Plan rufe. Stützle lässt nicht erkennen, was er von dem Überwachungsargument hält, sondern folgert aus der breiten Gegnerschaft gegen die Totalüberwachung, dass es um etwas Grundsätzlicheres gehen müsse, um das Wesen des Geldes an sich. Ist es wirklich überraschend, dass Leute aus ganz verschiedenen weltanschaulichen Richtungen ungern total überwacht werden wollen? Mich persönlich würde das Gegenteil überraschen. Aber folgen wir Stützle auf dem Weg ins Grundsätzliche. Mal sehen, ob sich so aufklärt, was Stützle für einen Widerspruch hält.
Die grundsätzliche Frage, was Geld eigentlich sei, will Stützle in drei kurzen Absätzen geklärt haben. Er schließt daraus, dass das Buchgeld der Banken kein Geld und darüber hinaus eine sehr risikoreiche Geschichte für den Einzelnen und die Gesellschaft sei. Auch das wirkt nicht wie ein Argument für die Abschaffung des Bargelds, die er fordert.
In den folgenden Absätzen listet Stützle drei Punkte auf, die bei der Debatte um den Erhalt des Bargelds ungeklärt seien, nämlich, dass es nicht um Geld gehe, sondern darum, wie aus Geld mehr Geld werden könne, zweitens der Kapitalfetisch demzufolge Geld die Eigenschaft habe, von selbst mehr zu werden, und drittens – Vorsicht, wir springen vom Grundlegenden wieder an die Oberfläche – dass Bargeld nicht vorneherein sicherer sei ist als Buchgeld.
Punkt eins und zwei scheinen mir keine separaten Punkte zu sein. Wie diese grundlegenden Betrachtungen den Ausgangs-„Widerspruch“ klären helfen, dass Leute so unterschiedlicher politischer Weltanschauungen etwas gegen Totalüberwachung ihres finanziellen Lebens haben, erschließt sich meinem begrenzten geistigen Horizont nicht, was daraus allgemein für die Bargelddiskussion folgt auch nicht.
Dass auch Bargeld nicht gänzlich sicher ist, unter anderem, weil es nur ein Stück bedrucktes Papier ist, dem stimmt man leicht zu. Dass es nicht sicherer ist, als Buchgeld, das auch für Stützle nur einen Anspruch auf bedrucktes Papier darstellt, erschließt sich weniger leicht. Das bisschen an Beispielen, was er anführt, trägt nichts zum Beleg der Behauptung bei und lässt sich ebensogut gegen Buchgeld ins Feld führen. Die Zyprer und Griechen jedenfalls waren in der Krise mit gutem Grund der Meinung, Bargeld sei besser und sicherer. Wer Bargeld hatte, behielt in Zypern sein Geld und durfte in Griechenland weiter darüber verfügen.
Es folgt ein verwirrtes Zwischenresümee: „Bargeld, Münzen und Scheine, Buchgeld – das alles sind Formen von Geld. Meist wird einfach alles als Geld bezeichnet, wobei der Unterschied zwischen Kredit, einem Zahlungsversprechen, und Geld verschwimmt.“ Dabei hatte er weiter oben geschrieben „Buchgeld ist also kein Geld.“ Was ist es denn nun? Eine Form von Geld oder kein Geld? Und welche Schlüsse ergeben sich für die Bargelddiskussion aus der Tatsache, dass für viele der Unterschied verschwimmt. Man weiß es immer noch nicht.
Es folgen zwei Absätze dazu, was Marx zu Geld sagt. Ich verstehe weder den Inhalt, noch die Folgerung für die Bargelddebatte. In zwei weiteren Absätzen lernen wir, dass Geld nicht immer Papiergeld sein muss, sondern auch Zigaretten schon Geld waren, und Bitcoin. Aha! Außerdem lernen wir, dass, wenn das Vertrauen ins Geld flöten geht, der Staat ein Problem hat. Aha! Wenn mir jemand eine Funktion dieser Absätze – abseits der Leserverwirrung – erläutern kann, nur zu!
Bis hierher wurde noch kaum eingelöst, was das Foto verspricht, mit dem der Beitrag bebildert ist. Aufmacherbild ist das bei Verschwörungstheoretikern“ verschiedener Couleur beliebte dreieckig eingerahmte Auge auf den Dollarscheinen. Auch was die Unterzeile verspricht. „Um das Geld und seine Macht ranken sich Mythen und Verschwörungstheorien“, war noch kaum Thema.
Das kommt jetzt, in Form des Unterkapitels über „Mythen und Missverständnisse über Geld und Finanzkapital“, das überraschender Weise nur der Darlegung der „antisemitischen Anschlussfähigkeit“ meines Buches und einer weiteren Schwäche desselben gewidmet ist. Inhaltlich beschäftigt sich Stützle – wohl mangels Lektüre des Buches – nicht mit meinen Thesen, sondern nur linguistisch und aus zweiter Hand. Ob es sich um Mythen und Missverständnisse handelt, bleibt also offen. Ich mag mich zu wichtig nehmen, aber auf mich macht die Aufmachung des Textes den Eindruck, als ob die Unterbringung dieses sonderbaren Absatzes über mein Buch der eigentliche Kern des Artikels ist. Der Rest ist schnell hingeschmiertes, wirres und verwirrendes Zeug.
Da Stützle auch noch den Rest des Unterkapitels meinem Buch widmet, weil ich offenbar der einzig relevante Verbreiter von Mythen und Missverständnissen über Geld und Finanzkapital bin, sei auch dieser Rest hier noch zitiert:
„Aber auch die Unterstellung, dass die großen Industrieländer in der Frage (Bargeldabschaffung) an einem Strang ziehen und sich somit der Standortkonkurrenz entziehen würden, unterschlägt den »Zwang der ökonomischen Verhältnisse« (Marx), der den Kapitalismus gerade auszeichnet. Während andere WirtschaftsjournalistInnen über einen »Währungskrieg« fabulieren, geht Häring davon aus, dass sich die politische Elite und die Notenbanker über die Währungskonkurrenz hinwegsetzen und darauf verständigen könnten, das Bargeld gleichzeitig abzuschaffen. Denn sonst bliebe ja die Möglichkeit, in eine andere Währung zu »flüchten«, was dieser einen Vorteil verschaffen würde. Siehe die Attraktivität des US-Dollars – obwohl in den USA Bargeld weit weniger wichtig ist.“
Das ist eine sehr spezielle Form von Dialektik: These ist Quatsch („fabulieren“), Härings Gegenthese widerspricht der These, ist also auch Quatsch. Synthese (was immer Ingo Stützle denken mag) ist richtig.
Mit den letzten Sätzen des Absatzes werden dann noch alle diejenigen, die am Bargeld hängen als von Verlustängsten und Ressentiments getrieben verunglimpft, gefolgt von der scheinheiligen Aufforderung, die Debatte schon zu führen, aber natürlich nur auf der richtigen Seite und im Rahmen der unentwirrbaren Stützleschen Diskussion über Geld und Kapitalismus. Im O-Ton:
„Auch das zeigt: Es ist vor allem eine deutsche Debatte, die geprägt ist von Verlustängsten und einer Menge Ressentiments. Das bedeutet nicht, dass die Debatte nicht geführt werden sollte. Aber sie ist nur dann sinnvoll, wenn sie im Rahmen einer Diskussion über Geld und Kapitalismus geführt wird.“
Wir fassen die wichtigsten Aussagen des Artikels zusammen:
- Alle üblichen Argumente der Bargeldgegner tragen nicht.
- Bargeld sollte aber abgeschafft werden, weil ihnen Bakterien und Spuren von Kokain anhaften.
- Bargeldbefürworter sind von Verlustängsten und Ressentiments getrieben.
- Hauptargument 1 der Bargeldbefürworter, die Überwachbarkeit von Buchgeldverfügungen, zieht nicht, weil man dazu tiefer gehen muss und feststellt: Buchgeld ist eine Form von Geld aber auch gleichzeitig „kein Geld“.???
- Hauptargument 2 gegen Bargeldabschaffung, dass diese der Finanzbranche nützen und den Bürgern schaden würde, ist antisemitisch (anschlussfähig) und darf deshalb nicht geführt werden.
Fazit
Es ist wie nicht ausgeschlossen, dass Ingo Stützle in der oberen Abteilung zu schwach aufgestellt ist und gar nicht merkt, was für wirres Zeug er da verfasst hat. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass er nur versehentlich zusammen mit dem Herrn Nowak genau den Rezepten des nicht justiziablen Rufmords gefolgt ist und wiederum nicht intelligent genug, das zu merken.
Nach Ockhams Razor, auch Sparsamkeitsprinzip genannt, neige ich der Erklärung zu, die weniger aufwendig zu begründen ist, dass Stützle alles andere als ein Volltrottel ist und den Artikel absichtsvoll so formuliert hat, wie er ihn formuliert hat, um Konfusion über die Bargelddiskussion zu säen, um einen wichtigen Bargeldbefürworter als Antisemiten zu diskreditieren und Bargeldfreunde generell als reaktionäre, verbitterte Menschen zu verunglimpfen.
Bleibt die berühmte cicero‘sche Frage „Cui bono?“, wem dient es?
P.S. 24.5.2016: Der Auftakt oder gar Marschbefehl zu dieser Rufmordkampagne scheint noch einen Monat älter zu sein. Am 11. März, dem Tag der Veröffentlichung meines Buches „Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen“, erschien auf dem unsäglichen Querfrontseiten-Blog ein Beitrag, in dem ich erstmals von dieser Anti-Querfront-Subkultur aufs Korn genommen wurde. Da ich vier Monate vorher in einem offenen Brief an die Frankfurter Rundschau die Nachdenkseiten und Albrecht Müller gegen Schmierereien in Schutz genommen hatte, die sie in die neurechte Ecke zu stellen versuchten, wurde ich selbst zum Thema, wenn auch nur mit der Feststellung, dass ich nun häufiger „Gast“ auf den Nachdenkseiten sei und meine Blogbeiträge dort jetzt häufiger verlinkt würden.
Die Methoden der Jungle World bei der Verteidigung der Finanzbranche gegen Bestrebungen, ihre Machtspiele zu behindern, macht ein „Bericht“ über die Pro-Bargeld-Demo am 14. Mai unter dem Titel „Die Querfront zahlt bar“ deutlich. Er ist in weiten Teilen frei erfunden. Insbesondere erfindet der Autor Schilder mit Nazi-Parolen, die es nicht gab und Leute mit Nazi-Ornamenten, von denen ich nichts gesehen und gehört habe, obwohl die Veranstaltung mit 200 Teilnehmern angeblich sehr übersichtlich war (tatsächlich waren es gut doppelt so viele). Auch Ralf Kabelka von der Heute Show, der mindestens zwei Stunden während der Demo unterwegs war, um ungünstige Bilder und Interviews einzusammeln, scheint davon nichts gesehen zu haben, sonst hätten wir das in der Heute Show ganz sicher präsentiert bekommen. Die Heute Show ist ja bekanntermaßen nicht zimperlich beim zeigen von Nazi-Symbolen.