Helikoptergeld richtig abwerfen

7. 05. 2020 | Zusätzliches Geld zu verteilen um die Nachfrage anzuregen, gilt bei Ökonomen als Rezept zur Ankurbelung der Nachfrage in einer Krise. Aber man muss es richtig machen, nicht so wie Donald Trump.

US-Präsident Donald Trump hat als Reaktion auf die Coronakrise allen Bürgern einen Konsumscheck über 1200 Dollar mit seiner Unterschrift schicken lassen. Das hat starke Ähnlichkeit mit einem Anti-Krisenrezept der Ökonomen, das seit Milton Friedman unter dem Namen Helikoptergeld geläufig ist. Man lasse einfach Geld regnen, dann steigt die lahmende Nachfrage schon wieder.

Zum Grundkonzept des Heilkoptergelds gehört allerdings, dass es sich um zusätzliches Geld handelt, das die Zentralbank in Umlauf bringt. In diesem Fall kommt allerdings das Geld  nicht direkt von der Zentralbank Federal Reserve (Fed), sondern von der Regierung. Theoretisch könnte man denken, die Regierung muss es woanders einsparen, sodass es nicht zusätzlich ist. Aber in der Praxis ist dem nicht so.

Denn in Zusammenhang mit den ganz massiv ausgeweiteten Käufen von Staatsanleihen durch die Fed ist klar: das Geld ist tatsächlich zusätzlich, denn indirekt finanziert die Notenbank die Zahlungen an die Bürger und die hohen Defizite der Regierung, die dadurch entstehen.

De facto zahlt der Staat Zins und Schuldendienst für die Anleihen an die Zentralbank und damit letztlich an sich selbst.

Die Maßnahme fand eine ungewöhnliche Bandbreite an Fürsprechern. Sie reichte von der jüngst aus dem Präsidentschaftsrennen ausgestiegenen linken Demokratin Tulsi Gabbard, über den den Demokraten nahestehenden Star-Ökonomen Nouriel Roubini bis zum konservativen Greg Mankiw. Der führende Lehrbuchautor ist so etwas wie das Sinnbild des ökonomischen Mainstream.

Doch die Maßnahme erntet auch Kritik und findet in dieser Form kaum Befürworter unter europäischen Ökonomen. Eine Ausnahme ist der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, der auf Twitter schrieb: „Jedem Bürger des Euroraums 2000 Euro zu geben, würde 750 Milliarden Euro kosten. Das würde die Nachfrage viel effektiver anregen, als Liquiditätsspritzen der Europäischen Zentralbank für Banken und Zombie-Unternehmen.“

Für die einen zu wenig, für die anderen unnötig

Die französischen Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman, die mit Forschungen zur Ungleichheit berühmt geworden sind, kritisierten: „1000 Dollar sind zu wenig für diejenigen, die ihren Job verloren haben und werden von denen, die ihn nicht verloren haben, nicht gebraucht.“ Sie forderten, dass der Staat stattdessen  die Einkommensausfälle von Unternehmen und Selbständigen ausgleicht, und das vom Verzicht auf Kündigungen abhängig macht.

Auch die ehemalige Bankanalystin und Kolumnistin Frances Coppola, die vergangenes Jahr im Buch „People‘s Quantitative Easing“ für den Einsatz von Helikoptergeld warb, widersprach entschieden. „Dies ist nicht die Zeit für Helikoptergeld“, schreibt sie. Es gehe jetzt nicht darum, die Nachfrage zu stimulieren. Ganz im Gegenteil, sondern darum, Bürgern und Unternehmen das wirtschaftliche Überleben zu ermöglichen.

„Diejenigen, die durch die Krise ihr Einkommen verloren haben, brauchen einen ausreichenden Einkommensersatz“, schrieb sie auf der Website „OpenDemocracy“. Und diejenigen, die das Geld nicht bräuchten, würden ihr Helikoptergeld sparen, oder für Aktivitäten nutzen, die man nicht ermutigen will.

Das europäische Helikoptergeld

Doch auch europäische Ökonomen fordern einen Tabubruch, um Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise zu finanzieren, die nach vorherrschender Einschätzung wohl schlimmer wird als in der letzten Finanzkrise. Manche, wie etwa der renommierte spanische Ökonom und Zentralbankberater Jordi Gali nennen ihren Vorschlag in sehr weiter Definition auch Helikoptergeld. „Die Zeit für Helikoptergeld ist da – für direkte, nicht rückzahlbare Finanzierung der notwendigen Fiskaltransfers durch die Zentralbank“, schreibt er auf der Debattenwebsite „VoxEU.org“.

Dadurch solle es allen Ländern des Euroraums ermöglicht werden, Unternehmen und Bürgern mit nicht rückzahlbaren Transfers ihre Einkommensausfälle teilweise auszugleichen, anstatt nur durch Kredite. Sich auf Kredite zu beschränken, würde nur zu lange anhaltender Überschuldung und später zu einer Welle von Konkursen führen.

Damit die Regierungen nicht durch eine stark ansteigende Verschuldung an Kreditwürdigkeit einbüßen, mit Schuldenregeln in Konflikt kommen, oder sich an den Anleihemärkten nur noch gegen hohe Zinsen verschulden können, forderte Gali, dass die EZB nicht einfach nur in großem Staatsanleihen kauft. Statt den Regierungen auf diese Weise indirekt Kredit zu geben, solle sie ihnen das Geld schenken. Das würde die Form annehmen, dass die EZB der Regierung auf ihrem Zentralbankkonto den entsprechenden Betrag gutschreibt.

Buchungstechnisch würde das entweder durch eine Reduktion des Eigenkapitals der Zentralbank, oder durch einen freihändig geschaffenen Gegenposten auf der Aktivseite der Bilanz abgebildet. Solche Posten gibt es in Gegenrichtung bereits. Damit wurden etwa Zuteilungen von Sonderziehungsrechten durch den Internationalen Währungsfonds neutralisiert, damit sie nicht zu Gewinnausschüttungen an die Regierungen führten. Sonderziehungsrechte sind eine Art Geld für den Zahlungsausgleich unter Regierungen.

Eine Gruppe von 18 portugiesischen Ökonomen erhob ebenfalls auf „VoxEU“ eine ähnliche Forderung. Sie wollen, dass die EZB Krisenmaßnahmen refinanziert, indem sie den Regierungen Anleihen mit Laufzeiten von 50 oder mehr Jahren und sehr niedrigen Zinsen, am besten Nullzinsen, abkauft. Die Rückzahlung solle erst mit erheblicher Verzögerung und sehr allmählich stattfinden. Jede Regierung könnte nach diesem Vorschlag solche Anleihen in einem Volumen herausgeben, die den Einnahmeausfällen und Zusatzausgaben aufgrund der Corona-Epidemie entspricht.

Die Schweizer Variante

Für die Schweiz schlugen mit Hans Gersbach und Jan-Egbert Sturm von der ETH Zürich zwei weitere renommierte Ökonomen etwas ganz ähnliches vor. Die Regierung solle für Einkommensausgleichszahlungen einen Sonderfonds von 100 Milliarden Franken auflegen, forderten sie. Das Geld solle sie als Sonderausschüttung von der Schweizerischen Nationalbank erhalten, die dafür ihre Rücklagen auflösen würde.

So etwas käme im Prinzip auch für die Notenbanken des Euroraums in Frage, die das Eurosystem bilden. Sie haben in Summe Rücklagen im dreistelligen Milliardenbereich. Gewinnausschüttungen haben den Vorteil, dass Gerichte sie kaum als verbotene monetäre Staatsfinanzierung klassifizieren können, denn dass die Regierungen Begünstigte des Notenbankgewinns sind, ist unstreitig.

Bisher waren alle Arten der „monetären Staatsfinanzierung“ ein Tabu unter Mainstream-Ökonomen. Das wichtigste Argument dagegen lautet, dass alle Dämme gegen ausgabefreudiges Regierungsgebaren brechen würden, wenn man sich das Geld einfach von der Zentralbank holen könnte. Das würde zu einem Geldüberschuss und einem starken Anstieg der Inflation führen.

Jordi Gali nimmt diese Sorge ernst und setzte ihr in seinem Vorschlag eine Selbstverpflichtung von Regierungen und Zentralbank entgegen, diese Form der Zusammenarbeit strickt auf die aktuelle Notlage zu begrenzen. „Das ist eine Selbstverpflichtung, deren Einhaltung die Zentralbank immer garantieren kann“, schrieb er. Denn ohne die Zentralbank gehe es nicht, und sie setze ihre Reputation aufs Spiel.

Die Macht der Zentralbanken

Bisher haben die Zentralbanken keinen dieser Vorschläge umgesetzt. Man kann argumentieren, das sei eine politische Entscheidung, die die Regierungen und Parlamente treffen sollten. Das können sie zu einem beliebigen Zeitpunkt in der Zukunft noch tun. Wenn sie entscheiden, dass die Schuldenregeln, die letztlich das einzige Problem darstellen, nicht mehr gelten, dann verschwindet der Unterschied zwischen den USA und Europa. Dann gilt auch hier: Die Staatsanleihen, die die Zentralbanken halten, kosten die Regierungen nichts, weil sie die Zinsen umgehend wieder ausbezahlt bekommen. Ganz abgesehen davon, dass momentan ohnehin die Zinsen nahe Null oder negativ sind.

Allerdings bleibt dann die Macht der Zentralbanken über die Regierungen erhalten. Denn sie können jederzeit entscheiden, auslaufende Staatsanleihen in ihrem Depot nicht durch Käufe von neuen zu ersetzen. Dann würden die Regierungen gezwungen ihre Haushalte zu kürzen, oder sich zu möglicherweise hohen Zinsen das Geld ohne die Rückendeckung der Zentralbank am Kapitalmarkt zu besorgen.

Korrekturhinweis: Die Konsumschecks in den USA lauteten auf 1200 Dollar, nicht auf 12.000, wie zu Anfang durch einen Tippfehler geschrieben.Dafür fehlte beim von Varoufakis vorgeschlagenen Geldbetrag eine Null Korrektist 2000 Euro.

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Englische Version

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