Wie Shell in Nigeria seit 50 Jahren die Umwelt verschmutzt und mit allen Tricks Schadensersatz vermeidet

28. 06. 2021 | Der Ölkonzern Shell muss Bauern in Nigeria für eine Ölkatastrophe im Jahr 1970 entschädigen. Jedoch zieht das Unternehmen das Verfahren weiter in die Länge, jetzt auch noch durch Missbrauch eines Investoren-Schiedsgerichts, kritisiert Juan Carlos Boué in diesem Gastbeitrag.

Juan Carlos Boué.*  Im Mai haben Shell Petroleum und Shell Petroleum Development Co. (SPDC) beim Schiedsgerichtsforum der Weltbank (ICSID) ein Verfahren gegen Nigeria eingeleitet. Auslöser für diese Klage war offenbar die versuchte Vollstreckung im Januar 2021 eines nigerianischen Bundesgerichtsurteils aus dem Jahr 2010.

Dieses hatte SPDC für Schäden haftbar gemacht, die der Gemeinde Ejama-Ebubu im Niger-Flussdelta in den Jahren 2004 und 2005 durch einen Ölaustritt zugefügt worden waren. Bei der Katastrophe in Nigeria waren 2,5 Millionen Fass Öl ausgetreten – das ist in etwa die zehnfache Menge, die beim Schiffsunglück der Exxon Valdes im Jahr 1989 ausgelaufen ist. Der Gemeinde wurde ein Schadenersatz von 45 Millionen Dollar zugesprochen. Die Summe hat sich seitdem jedoch wahrscheinlich verzehnfacht, da sie hoch verzinst wird.

Jahrelang hat SPDC dieses Urteil vehement angefochten, aber im November 2020 lehnte der Oberste Gerichtshof Nigerias den Antrag auf Berufung ab. Darauf machte das Unternehmen geltend, dass zwar die Schadensersatzpflicht, aber noch nicht die genaue Höhe der Entschädigung letztinstanzlich festgelegt sei.

So konnte SPDC vor einem anderen Gericht die Anordnung erwirken, dass kein Schadensersatz eingezogen werden darf, bevor die genaue Höhe der Entschädigung nicht letztinstanzlich geklärt ist. Gemeindemitglieder versuchten dennoch Computer und anderes von einer Bank in Besitz zunehmen, die als Garantiegeber für SPDC fungierte, vermutlich um Informationen über Vermögenswerte von Shell zu erhalten, die man beschlagnahmen könnte. Wegen dieser mutmaßlichen ersten Schritte zur Vorbereitung einer Beschlagnahme von Vermögensverwerten klagt das Unternehmen nun vor dem Schiedsgericht der Weltbank.

Der zentrale Vorwurf des Unternehmens in diesem Investor-Staat-Schiedsverfahren dürfte daher sein, dass Nigeria, seine internationalen Verpflichtungen aus dem bilateralen Investitionsvertrag mit den Niederlanden verletzt habe, indem es die Vorbereitung einer Vollstreckung der in ihrer Höhe noch umstrittenen Schadensersatzforderung nicht effektiv unterbunden habe.

Die Erläuterung der Schäden, die die klagenden Unternehmen aufgrund dieser Verletzung erlitten haben sollen, wird eine interessante Lektüre darstellen, falls denn irgendwann Details des Verfahrens veröffentlicht werden sollten. Außer der Beschlagnahme eines Bank-Computers ist ja noch nichts passiert.

Dieser Fall ist in mancher Hinsicht bemerkenswert, nicht zuletzt weil die Klägerin SPDC, ein Unternehmen ist, das zu 55 Prozent der staatlichen nigerianischen Ölgesellschaft gehört. Zweck des Schiedsgerichtssystems ist es eigentlich, ausländische Investoren vor enteignenden staatlichen Eingriffen zu schützen. Stattdessen klagt nun indirekt der Staat Nigeria, gegen den Staat Nigeria um auf diese Weise einer geschädigten Gemeinde den ihr zustehenden Schadensersatz noch länger vorzuenthalten.

Denn der vielleicht interessanteste Aspekt ist, dass die Klage von einer Ölpest herrührt, die sich schon 1970 ereignete. Einigen Schätzungen zufolge ist das Niger-Flussdelta seither jedes Jahr einer Ölpest von der Größenordnung der Exxon-Valdez-Katastrophe ausgesetzt gewesen.

Das Ergebnis ist, dass es heute eine der am stärksten belasteten Regionen der Erde ist und, nicht zufällig, der Schauplatz eines ernsthaften bewaffneten Aufstandes und Quelle für Kriminalität, Waffenhandel und Wirtschaftsflüchtlinge. Das Ausmaß der Katastrophe ist so groß, dass jede Entschädigung nur ein Tropfen auf den heißen Stein wäre.

*Juan Carlos Boué ist Politikwissenschaftler und Anwalt der internationalen Anwaltskanzlei Curtis, Mallet-Prevost, Colt & Mosle in London.

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