Wie Visa und Mastercard die EU-Kommission für eine Anti-Bargeld-Kampagne einspannten

20. 01. 2021 | Dass Visa und Mastercard die Corona-Ängste sehr schnell nutzten, um Propaganda gegen das Bargeld zu machen, verwundert wenig. Aber dass der Vize der EU-Kommission sich deren haltlose Behauptungen zu eigen macht, ist ein starkes Stück. Die Bargelddienstleister haben sich deshalb bei Kommissionschefin von der Leyen über ihn beschwert.

Der europäische Bargeld-Verband ESTA spricht in dem Schreiben von einer „katastrophalen Situation“ in die das Bargeld seit Ausbruch der Gesundheitskrise teilweise gerutscht, teilweise gebracht worden sei. In dem Brief an Ursula von der Leyen, der mir vorliegt, heißt es weiter:

„Trotz eines starken Anstiegs der Bargeldnachfrage ist die Bargeldnutzung sehr stark zurückgegangen, je nach Land und Branche um 50% bis 80%, auf ein Niveau, bei dem der Bargeldkreislauf möglicherweise nicht mehr aufrechtzuerhalten und das Bargeld gefährdet ist.“

Dafür seien die Lockdowns nur ein Grund, schreibt der Verband:

„Der bei weitem schwerwiegendste Grund ist jedoch die Aufforderung der großen Kartenbetreiber, namentlich VISA und MasterCard, kontaktlos zu bezahlen, was in der europäischen Bevölkerung falsche Ängste vor einer Kontaminierung durch die Verwendung von Bargeld schürt. In einer Reihe von Dokumenten, die ESTA zugespielt wurden, werden offenbar unbegründete Behauptungen aufgestellt wie ‚die Verwendung von Bargeld ist extrem riskant‘ (Positionspapier von MasterCard vom 15. April 2020) oder ‚die Verbreitung des Virus wird durch kontaktloses Bezahlen eingeschränkt‘ (Zitat sowohl in den Papieren von VISA als auch von MasterCard).“

Die Papiere, von denen ESTA spricht, gingen an die EU-Kommission um bei dieser (erfolgreich) für Lockerungen der Obergrenzen und sonstigen Regeln für kontaktloses Bezahlen zu werben. Die Kampagne der Kreditkartenfirmen, die 2005 vor Investoren einen „Krieg gegen das Bargeld“ ausriefen und diesen ab 2010 in die vorgeblich gemeinnützige Better Than Cash Alliance münden ließen, wurde von vielen Banken aufgegriffen und verstärkt. Viele Ladengeschäfte schlossen sich mit der Aufforderung an Kunden an, möglichst unbar zu bezahlen.

ESTA weist jedoch zu Recht darauf hin, dass kontaktloses Bezahlen keineswegs kontaktloses Einkaufen bedeutet. Denn man fasst beim Einkaufen immer noch Einkaufswagen oder -körbe und Waren an, die vorher von vielen anderen Kunden angefasst wurden. Hinzu kommt, dass in der Mehrzahl der Fälle Verzicht auf Barzahlung den Wechsel zu Kartenzahlung mit Pin bedeutet, was vermutlich ein größeres Infektionsrisiko bedeutet als Barzahlen. Zu behaupten, die Art des Bezahlens mache einen entscheidenden Unterschied für die Verbreitung von Corona, und nahezulegen, Einkaufen sei gänzlich sicher, wenn man nicht bar zahlt, ist daher grob irreführend.

Die Deutsche Bundesbank und die EZB, haben nachdrücklich erklärt, dass kein zusätzliches Kontaminationsrisiko von Münzen und baumwollbasierten Banknoten ausgeht. Die Überlebensdauer von Viren auf Banknoten ist erheblich kürzer als die auf Plastik.

Im März hatte ESTA den Vizepräsidenten der EU-Kommission, Dombrovski, schriftlich auf die falschen Behauptungen in den Schreiben von Visa und Mastercard hingewiesen. Doch anstatt wie gefordert das Bargeld gegen diese Schmutzkampagne zu verteidigen, habe Dombrovski ein paar Tage später, am 26. März 2020, auf Twitter die Bevölkerung aufgefordert: „Time to swap your coins for contactless -safer for containing #Coronavirus“. (Es ist Zeit, dass Sie Ihre Münzen gegen kontaktloses Bezahlen eintauschen – sicherer um das Coronavirus einzudämmen). Damit habe er sich die unfundierten Behauptung von Visa zu Eigen gemacht, beschwert sich der Verband bei von der Leyen.

Am 4. Mai schrieb Dombrovskis Büro auch noch an Visa eine bestätigende Antwort auf deren Lobbyschreiben. Darin heißt es:

„Ich stimme mit Ihnen überein, dass das kontaktlose Bezahlen eine grundlegende Rolle bei der Eindämmung der Ausbreitung der COVID19-Kontamination spielt.“

ESTA dazu mit fast britischem Understatement:

„Angesichts der aktuellen Pandemie-Situation in Verbindung mit der erheblichen Zunahme kontaktloser Zahlungen bleibt die ‚fundamentale Rolle‘ von kontaktlosem Bezahlen bei der Eindämmung der Kontamination abzuwarten.“

Man kann auch deutlicher sagen: es gibt keinerlei Belege für die starken Behauptungen der Anti-Bargeld-Lobby, die die EU-Kommission sich hier zu eigen macht.

Der Erfolg jedoch sei, so ESTA, dass der Stellenwert des Bargeldes sehr stark zurückgegangen sei, wovon nur einige wenige, allesamt außereuropäische, Karten- und mobile Zahlungsunternehmen profitierten.

ESTA erinnert an das Plädoyer des EU-Generalanwalts in meinem Verfahren um Barzahlung des Rundfunkbeitrags, (in dem am 26. Januar der Spruch des Europäischen Gerichtshofs ansteht:

„Wie der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg in seinen Schlussanträgen zu den gemeinsamen Rechtssachen C-422/19 und C-423/19 in Erinnerung ruft, ist Bargeld das einzige öffentliche (d.h. von der Zentralbank herausgegebene) Geld, das den europäischen Bürgern als gesetzliches Zahlungsmittel zur Verfügung steht. Alle anderen Formen von Geld sind privates Geld. Daher ist jede Forderung, Bargeld gegen kontaktloses zu tauschen, nichts weniger als eine Forderung nach weiterer Privatisierung des Geldes. Wir würden vorschlagen, dass die Rolle Ihrer Kommission, deren Ziel es ist, „eine Wirtschaft zu fördern, die für die Menschen arbeitet“, nicht darin besteht, aktiv zum Untergang des Bargelds beizutragen.“

Nach dieser herben Kritik daran, dass die EU-Kommission aktiv zusammen mit interessierten kommerziellen US-Unternehmen für die Verdrängung des gesetzlichen Zahlungsmittels der Währungsunion wirbt, kommt abschließend die berechtigte Forderung:

„ESTA fordert sehr dringend Maßnahmen zum Schutz des Bargeldkreislaufs und zur Beruhigung der Menschen dahingehend, dass Bargeld keine weiteren gesundheitlichen Bedenken aufwirft als der Kontakt mit jedem anderen Produkt des täglichen Lebens. (…) Dies könnte im Rahmen der kürzlich veröffentlichten Mitteilung der Kommission über eine ‚Strategie für den Massenzahlungsverkehr in der EU‘ geschehen, in der explizit Maßnahmen zur „Aufrechterhaltung der Verfügbarkeit von Zentralbankgeld“ gefordert werden. Die Maßnahmen sollten darauf abzielen, die verpflichtende Akzeptanz von Bargeld durch eine Klärung der Bedeutung des Begriffs ‚gesetzliches Zahlungsmittel‘ sicherzustellen, eine angemessene Verteilung von Bargeld zu gewährleisten, um es für die Bevölkerung verfügbar zu machen, und Barzahlungen durch die Gewährleistung eines reibungslosen Bargeldkreislaufs zu erleichtern.“

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