Die wirtschaftlichen Lockdown-Folgen sind viel gravierender als die offizielle Statistik glauben macht

19. 01. 2021 | Hören | Um 5% soll die Wirtschaftsleistung Deutschlands 2020 zurückgegangen sein. Ausgerechnet die stabile staatliche Dienstleistungs-Produktion soll einen größeren Rückgang verhindert haben. Wen das wundert, angesichts geschlossener Schulen, Kindertagesstätten, Hochschulen und Theater, wundert sich zu Recht. Hier sind Statistiktricks am Werk.

Letzte Woche hat das Statistische Bundesamt ein vorläufiges Minus von 5% für 2020 bekanntgegeben. Der „Staatskonsum“ – so nennt die Statistik es irreführender Weise, wenn der Staat Dienstleistungen produziert – sei ein stabilisierendes Element gewesen. Also ausgerechnet die Bereiche, wo es besonders viele Produktionseinschränkungen gab.

Ich habe früher schon darüber geschrieben, wie hier getrickst wird, um die Inflation niedrig und damit die Wirtschaftsleistung hoch erscheinen zu lassen. Diese Tricks haben nun bewirkt, dass man keinen noch größeren Einbruch des Bruttoinlandsprodukts vermelden muss, wie der emeritierte Professor der Hochschule Rhein-Main, Lorenz Jarass, in einem aktuellen Beitrag im Handelsblatt zeigt.

Der Trick geht so: Für den Produktionswert von Dienstleistungen des Staates, die keinen Marktpreis haben, werden die Ausgaben zur Erstellung dieser Dienstleistungen als Schätzung genommen. Die kann man gut messen. Will man aber zum realen, also inflationsbereinigten Bruttoinlandsprodukt kommen, muss man einen Teuerungsfaktor abziehen. Das wird kompliziert dadurch, dass möglicherweise die Qualität der Produktionsleistung sich ändert.

In vielen Bereichen, vor allem bei elektronischen Geräten und Autos, werden große Qualitätssteigerungen angesetzt, was dazu führt, dass die gemessene Inflationsrate geringer und dadurch die Produktionsleistung größer wird. Bei Qualitätsverschlechterungen ist man viel zögerlicher und gehen die Reformbewegungen der Statistik sogar in die Gegenrichtung.

Als es üblich wurde, Krankenhausaufenthalte zu verkürzen und den Schüler-Lehrer-Schlüssel zu vergrößern, stellte man die Statistik dahingehend um, dass unabhängig von der Länge des Krankenhausaufenthalts und der pro Schülerin genossenen Lehrerstunden, eine abgeschlossene Behandlung und ein abgeschlossenes Schuljahr als qualitativ gleichwertig mit den Vorjahren behandelt wurden. Sonst hätte man eine Qualitätsverschlechterung, höhere Inflation und dadurch weniger Produktion feststellen müssen.

In einem Jahr, in dem staatliche Kitas, Schulen, Hochschulen, Theater und einiges andere lange Zeit geschlossen und sonst lange eingeschränkt tätig waren, macht sich die fehlende Messung der Qualitätsverschlechterung dramatisch bemerkbar. Jarass kommt in einer Überschlagsrechnung allein für Kindertagesbetreuung, Schulen und Hochschulen auf einen zusätzlichen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in der Größenordnung von 1,5%.

Ich kann es nicht beweisen, aber ich vermute sehr stark, dass den Statistikern eine Begründung für außerordentliche Korrekturen unter Abweichung vom üblichen Verfahren einfallen würde, wenn die Verzerrung in die falsche Richtung ginge. Auf jeden Fall gilt: Eltern und Kinder, die unter der plötzlich ausbleibenden Betreuungsleistung des Staates stark leiden, haben keine Wahrnehmungsstörungen. Die Wahrnehmungsstörung liegt bei der Statistik, die so tut, als würden diese extrem wichtigen Dienstleistungen unverändert bereitgestellt.

Das erleichtert es den Regierenden, den Lockdown noch einmal zu verlängern und zu verschärfen, obwohl die Infektionszahlen herunter gehen (nicht zuverlässig) und die am Montag gemeldeten Todesfälle an und mit Covid so niedrig waren wie lange nicht mehr (so kurz in der Tagesschau eingeblendet wie lange nicht mehr).

Darum soll es hier nicht gehen, aber eine kleine Nebenbemerkung sei gestattet: Berufsgruppen, die mit Kindern zu tun haben, haben die höchste Corona-Inzidenz. Bei praktisch allen Erkältungskrankheiten gehören Kinder zu den wichtigsten Überträgern. Nur bei Corona soll das anders sein. Sechs Wochen Lockdown mit offenen Schulden und Kitas haben nichts bewirkt, erst als die Schulen und Kitas im Dezember geschlossen wurden, wurde es allmählich besser. Jetzt, wo die Zahlen besser werden, werden Corona-Mutationen als Grund für weitere Restriktionsmaßnahmen in den Vordergrund gestellt. Wieder etwas, wovor man beliebig Angst schüren kann.

Lesereinwand

Ein Leser wendet zu meiner abschließenden Spekulation um die Rolle von Schulschließungen ein:

Dazu will ich folgendes gegenüberstellen. Die fraglichen Altersgruppen hatten in 2020 durchweg die niedrigsten Positivraten bei C-19 (auf S. 6 in https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Jan_2021 /2021-01-12-de.pdf?__blob=publicationFile), und sie hatten durchwegs die niedrigsten 7-Tage-Inzidenzwerte (S. 9 im Surveillance-Wochenbericht, https://ars.rki.de/Docs/SARS_CoV2/Wochenberichte/20210112_wochenbericht.pdf). Wie bringen Sie das mit Ihrer obigen Interpretation unter einen Hut? Was bei Influenza stimmt, muss nicht auch bei Covid-19 so sein. Herr Drosten ist mit seiner Studie auf die Nase gefallen. Das RKI hat schon im Szenariopapier vom 20.03.20 für Kinder eine wahrscheinliche Sonderrolle angenommen.

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