14. 06. 2020 | Hören | Sudan hat eine Übergangsregierung, die auf das Wohlwollen der USA angewiesen ist. Was liegt da näher, als das Land für den bisher größten Feldversuch einzusetzen, eine ganze Bevölkerung per Bargeldabschaffung und ein allgemeines Mini-Grundeinkommen an die digitale Leine zu legen.
Seit einigen Jahren fördern und bewerben Weltbank, Better Than Cash Alliance und verschiedene UN-Organisationen massiv die rein digitale Übermittlung finanzieller Hilfen für Bedürftige in armen Länder. Erklärte Ziele sind Kosteneinsparung und Vermeidung von Korruption und Diebstahl, sowie „finanzielle Inklusion“. Letzteres ist der wahre Hauptgrund, allerdings nicht in der harmlosen Bedeutung, jedem die Chance auf ein Bankkonto zu geben, sondern in der Bedeutung, jeden „ins System zu bringen“, wie der Chef von Paypal, Dan Schulman, das 2015 auf einem Financial Inclusion Forum in Washington definiert hat.
Das System ist dasjenige, in dem Paypal, Microsoft und Co. mit jeder Transaktion Geld verdienen können und, wie Microsoft-Gründer Bill Gates auf der gleichen Veranstaltung deutlich machte, in dem die US-Regierung jede Transaktion speichern, nachverfolgen und bei Bedarf blockieren kann.
Nachdem Indien erfolgreich als Versuchskaninchen sowohl für die (zeitweise) Bargeldbeseitigung als auch die biometrische Erfassung einer Milliardenbevölkerung in einer zentralen Datenbank hergehalten hat, ist nun Sudan an der Reihe. Hier wird ausprobiert, wie gut man eine in Teilen rebellische und fundamentalistische Bevölkerung eines großen, wenig entwickelten Landes mit digitalen Almosen „ins System bringen“ und kontrollieren kann.
Indien wird Überwachungsstaat und die BIZ empfiehlt das als Vorbild
Die Better Than Cash Alliance triumphiert
Ausgangspunkt dieser Recherche war ein Tweet der Better Than Cash Alliance (Besser-als-Bargeld-Allianz) in dem diese die Selbstverpflichtung des Sudan lobte, den Übergang vom Bargeld zum digitalen Zahlungsverkehr zu beschleunigen. In dieser 2012 gegründeten Allianz haben sich US-Regierung, Visa, Mastercard, Citibank und Bill & Melinda Gates Stiftung als Kernmitglieder zusammengetan, um die weltweite Bargeldbeseitigung voranzutreiben. Sie arbeitet dabei eng mit der von der Weltbank geleiteten Consultative Group to Assist the Poor (CGAP) zusammen, deren Kernmitgliedschaft sich mit der Better Than Cash Alliance überschneidet.
Die Better Than Cash Alliance verkündete am 10. Juni in einer Presseerklärung mit ihrem typischen falschen Weltverbesserungspathos (durchgängig meine Übersetzungen):
„Als Teil seiner Vision von der Transformation seiner Wirtschaft hat die Republik Sudan heute eine neue Selbstverpflichtung verkündet, den Übergang von Bargeld zu digitalem Bezahlen zu beschleunigen. Indem sie der Better Than Cash Alliance beitritt, verpflichtet sich die Regierung die finanzielle Inklusion und Transparenz zu vergrößern und Schritte hin zu einer Wirtschaft zu machen, von der alle Bürger profitieren. Weg vom Bargeld und hin zu verantwortlichem digitalen Bezahlen zu kommen ist zentral für die Strategie der Regierung zur wirtschaftlichen Erholung und Reform.
Mit Transparenz ist bessere Überwachung der Geldströme gemeint. Der Sudan ist ein Land mit einer durch Terror, Bürgerkrieg und US-Sanktionen zerstörten Wirtschaft. Es wäre ganz schön mutig, in dieser Situation die Bargeldbeseitigung zum zentralen Pfeiler der Wirtschaftspolitik zu machen.
Aber man macht das ja nicht freiwillig sondern unter massivem Druck und mit einer Karotte, die vor der Nase baumelt. Die Karotte hat das Kürzel SFSP und heißt ausführlich und übersetzt Sudan Familien-Unterstützungsprogramm. Es wird von der Weltbank bezahlt. Die Better Than Cash Alliance schreibt darüber:
„Digitale Bezahlverfahren werden von zentraler Bedeutung für den Erfolg des jüngst verkündeten Sudan Familien-Unterstützungsprogramms sein, das monatliche, direkte und digitale Zahlungen für rund 80 Prozent aller sudanesischen Familien bieten wird.
Es sind 32 Millionen Menschen, die hier auf ein Mini-Grundeinkommen gesetzt werden sollen. Nach einem Weltbank-Dokument von April soll das Weltbankprojekt P173521 mit dem Namen Sudan Familiy Support Programme am 16. Juni vom Vorstand der Weltbank genehmigt werden. Ob der Beitritt der sudanesischen Regierung zur Better Than Cash Alliance am 10. Juni damit etwas zu tun hat? Man darf es stark vermuten.
Bereits am 29. Mai hat die Regierung ein Abkommen mit dem Welternährungsprogramm der UN geschlossen, nach dem das Welternährungsprogramm das Familien-Unterstützungsprogramm mit technischer Hilfe unterstützt. Dass das Geld im Wesentlichen von der Weltbank kommt, und es sich um ein Weltbank Projekt handelt, sollen die Sudanesen offenbar nicht wissen. Jedenfalls hieß es in der Mitteilung des Welternährungsprogramms und den darauf aufbauenden Medienberichten, dass dies eine der wichtigsten Unternehmungen der Übergangsregierung sei und dieses von der Regierung und Partnern finanziert werde. Auch die Better Than Cash Alliance erwähnte die Weltbank in ihrer Presseerklärung nicht. (Absatz 20 Uhr eingefügt)
Die Weltbank ist zwar eher knauserig bei der Bemessung dieses Grundeinkommens. Es soll fünf Dollar pro Person und Monat betragen. Aber das Kalkül ist wohl, dass die Menschen, die man ins System bringen will, arm genug sind, dass fünf zusätzliche Dollar im Monat die meisten zur Beteiligung an diesem Programm motivieren können.
Die Better Than Cash Alliance nennt sich wie üblich in ihrer Pressemitteilung „UN-basiert“, um ihren Aktivitäten den Anschein der Zugehörigkeit zur UN zu geben. Dabei hat sie nur eine kleine, selbständige UN-Unterorganisation namens UNCDF mit großzügigen Spenden dazu gebracht, ihr in den eigenen Räumen ein Sekretariat einzurichten.
Ein erpressbares Land mit Regierungspersonal, das man kennt
Die Republik Sudan ist muslimisch geprägt und hat ein großes Problem mit fundamentalistischen Gruppen, Hungersnöten und Bürgerkriegen. Trotz des für afrikanische Verhältnisse recht ordentlichen Bruttoinlandsprodukts pro Kopf lebt wegen der extrem ungleichen Verteilung ein Großteil der Bevölkerung in bitterer Armut. Die USA führen das Land mit Nordkorea, Iran und Syrien auf ihrer Liste der staatlichen Terrorunterstützer, was bewirkt, dass es von internationalen Organisationen wie Weltbank und IWF und auch von anderen Regierungen traditionell kaum finanzielle Unterstützung bekommt. Seit sich 2011 der ölreiche Südsudan abgespalten hat, herrscht chronisch schwerer Devisenmangel.
Im letzten Jahr wurde nach monatelangen Protesten und Demonstrationen erst durch einen Militärputsch der Militärdiktator Omar al-Bashir abgesetzt und dann der neuen Junta eine gemeinsame Übergangsregierung von Protestbewegung und Militär abgerungen, die seit September 2019 regiert.
Die Selbstverpflichtung zur Bargeldabschaffung und der Beitritt zur Better Than Cash Alliance sind ein Werk des Übergangs-Finanzministers Ibrahim Elbadawi. Der in den USA ausgebildete Ökonom hatte zuvor viele Jahre für die Weltbank in Washington gearbeitet. Seit 2009 ist er außerdem Gastwissenschaftler (Visiting Research Fellow) am maßgeblich von der Bill & Melinda Gates Stiftung finanzierten Center for Global Development in Washington, das ganz im Sinne seiner größten Geldgeberin intensiv daran arbeitet, zu zeigen, wie gut und wichtig „digitale finanzielle Inklusion“ für arme Länder ist.
Regierungschef Abdalla Hamdok, ist ein in Großbritannien ausgebildeter Ökonom der zuvor für die UN gearbeitet hat, als Stellvertretender Exekutivdirektor der Wirtschaftskommission für Afrika.
Im Dezember 2019 zeigte sich das Tauwetter im Verhältnis der USA zu Sudan darin, dass Premier Hamdok zu einem sechstägigen Besuch nach Washington eingeladen wurde, wo er sich unter anderem mit Vertretern des US-Außenministeriums, sowie den Finanz- und Verteidigungsministerien und der CIA traf, sowie mit der angesiedelten Entwicklungsbehörde USAID, Kernmitglied der Better Than Cash Alliance, und mit der gesamten Führungsspitze der Weltbank. (Absatz 19 Uhr eingefügt)
Die Geldbörse wird ein bisschen geöffnet
Auch wenn die USA den Sudan auf ihrer Terrorliste behielten, bekam die neue Regierung finanzielle Unterstützung von den US-Alliierten Saudi Arabien und Vereinigte Arabische Emirate und, in Form des Familien-Unterstützungsprogramms nun möglicherweise sogar von der Weltbank. Für die Regierung eines unter extremem Devisenmangel leidenden Landes sind knapp zwei Milliarden pro Jahr im Rahmen dieses Programms viel Geld.
Die Regierung hat also allen Grund, brav mitzuspielen bei dem Großexperiment in Bevölkerungsüberwachung und -kontrolle, das Washington in dem Land veranstaltet. Nicht nur wegen des Geldes, sondern vor allem wegen der Aussicht, von der wirtschaftlich verheerenden Terrorliste genommen zu werden, wenn das Experiment glückt und dazu beiträgt, Aufständischen den Rückhalt in der Bevölkerung zu nehmen, sie ausfindig zu machen und auf die eine oder andere Weise zu neutralisieren.
Wenn es gelingt, die Bevölkerung in den umkämpften ländlichen Regionen, den Rückzugsorten und Operationsbasen der Aufständischen, biometrisch zu registrieren und mit einem Mobiltelefon als Überwachungsgerät verknüpfen zu lassen, kommt man auf dem Weg zu diesem Ziel ein großes Stück voran. Man könnte dann zum Beispiel immer wenn man einen Rebellen identifiziert hat, überprüfen, mit wem er telefonischen Kontakt hatte und wer sich häufiger in dessen Nähe aufgehalten hat. Man könnte dafür sorgen, dass bekannt wird, dass jedem, der mit Aufständischen näheren Umgang pflegt, umstandslos die monatliche Zahlung abgestellt wird.
Teil eines globalen Plans namens universelles Grundeinkommen
Dieses Feldexperiment ist Teil eines viel größeren Programms der Weltverbesserung im Sinne der Silicon-Valley-Milliardäre und ihrer Mitstreiter in Washington und New York. Unter dem Namen Universal Basic Income (Universelles Grundeinkommen) propagieren sie den Verzicht auf traditionelle Entwicklungspolitik, die wenigstens vorgibt, Länder entwickeln zu wollen. Stattdessen sollen direkte digitale Zahlungen auf die Mobiltelefone der Ärmsten diese vor dem Verhungern bewahren und dafür sorgen dass sie bleiben, oder hingehen, wo man sie haben will.
Ein unter anderem vom Weltwirtschaftsforum und der Weltbank protegiertes Projekt namens GiveDirectly aus dem Umfeld der Harvard Universität hat bereits einigen Erfolg dabei, Spenden wohlmeinender Menschen, Gelder von sogenannten Philanthropen und von Regierungen und Internationalen Organisationen umzulenken, weg von der bisherigen Projekthilfe, hin zu dieser neuen Hilfsvariante in Form von vereinzelnden Almosen.
Die Unterstützer von GiveDirectly überschneiden sich stark mit denen der Kampagne zur Bargeldbeseitigung. Das ist kein Wunder, ergänzen sich die beiden Projekte doch hervorragend im Hinblick auf das Ziel, alle Menschen „ins System zu bringen“ und so Überwachung und Kontrolle der Weltbevölkerung zu verbessern.
Fortetzung:
Sudans großes Grundeinkommensexperiment – eine geheime Kommandosache
Nachtrag (6.8.2020): Finanzminister Ibrahim al-Badawi, der für das mit dem IWF vereinbarte Reformprogramm und das Sudan Family Support Program zuständig war, ist im Juli einer größeren Kabinettsumbildung zum Opfer gefallen. Seiner Darstellung zufolge ging es dabei vor allem um Kompetenz zur Umsetzung des in Teilen der Übergangsregierung umstrittenen IWF-Reformprogramms. Die Umsetzung des Familienunterstützungspgrogramms, für das möglicherweise ohnehin die finanziellen Mittel fehlen, dürfte damit sehr unsicher geworden sein.
Die wichtigsten Strippenzieher der globalen Kampagne gegen das Bargeld