Laut einer Pressemitteilung des ulkigerweise in Hessen für den Verbraucherschutz zuständigen Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt, Weinbau, Forsten, Jagd und Heimat, gilt für die Landesregierung: „Bargeld bleibt wichtig: Hessen setzt auf Wahlfreiheit beim Bezahlen“.
Auf dem Hessischen Verbrauchertag, den die Verbraucherzentrale Hessen alle zwei Jahre im Auftrag des Ministeriums organisiert, betonte Hessens Staatssekretär für Verbraucherschutz Daniel Köfer (CDU) die Bedeutung von Bargeld als „unverzichtbares Zahlungsmittel“:
„Es ist nach wie vor das wichtigste Zahlungsmittel der Menschen in Deutschland und der Zugang zu Bargeld muss dauerhaft sichergestellt sein. Verbraucher sollten die größtmögliche Freiheit haben, selbst zu entscheiden, wie sie für Waren und Dienstleistungen bezahlen. Digitale Zahlungsmethoden bieten viele Vorteile, sie sind schnell und unkompliziert. Wir brauchen aber dauerhaft ein hybrides System von Zahlungsweisen, die sich untereinander ergänzen.“
Weil die Herausforderung, überall und jederzeit einfachen Zugang zu Bargeld zu gewährleisten angesichts der Schließungen von Bankfilialen und Geldautomaten zunehmend relevant werde, habe Hessen auf der diesjährigen Verbraucherschutz-Ministerkonferenz einen Beschlussvorschlag eingebracht, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, Maßnahmen zu prüfen, um den Erhalt von Bargeld und dessen Akzeptanz auch in Zukunft sicherzustellen.
Ein heuchlerisches Ablenkungsmanöver
Damit heuchelt die hessische Landesregierung Aktivität zugunsten der Bargeldfreunde und derer, die auf Bargeld angewiesen sind, indem sie einen Appell an andere richtet. Und das auch noch im Hinblick auf ein Problem, das nicht das drängendste ist. An Bargeld zu kommen wird zwar immer weniger komfortabel, ist aber nur in besonders ländlichen Regionen ein ernsthaftes Problem.
Das größte Problem ist die um sich greifende Nichtannahme von Bargeld, und zwar auch dort, wo die Zahlungspflichtigen praktisch keine Ausweichmöglichkeiten zu anderen Anbietern haben, auf Parkplätzen und in Parkhäusern, in Bus und Bahn, im Schwimmbad und nicht zuletzt auf den Ämtern. Im Beschweigen dieses Problems und der Nichtbearbeitung durch die Landesregierung liegt die große Heuchelei. Solange Bürgerämter, Wertstoffhöfe, Schwimmbäder und andere Einrichtungen der Kommunen oder des Landes Barzahler oder Menschen ohne Smartphone oder Internet ausschließen oder ihnen das Leben schwer machen, ist ein Appell an den Bund, die Bargeldversorgung sicherzustellen, ein wählertäuschendes Ablenkungsmanöver.
Vorrang für digitales Bezahlen
Dazu passt, dass Finanzstaatssekretär Uwe Becker (auch CDU) auf der gleichen Veranstaltung sagte:
„Unsere immer digitaler werdende Welt erfordert es jedoch, den Fokus stärker auf digitale Bezahlmethoden zu legen. Damit die Menschen auch in Zukunft stets die am besten passende Bezahlmethode wählen können, ist es deshalb wichtig, dass der Staat diese Entwicklungen innovationsfördernd begleitet, ohne das Bargeld als wertvollen Anker aus dem Auge zu verlieren.“
Im Finanzressort, das gegenüber dem Landwirtschafts-Anhängsel Verbraucherschutz in diesen Fragen ungleich mächtiger ist, sieht man Bargeld also lediglich als Anker, den man braucht, damit die Schaffung digitalen Geldes durch die Geschäftsbanken nicht ganz den Kontakt zur wirtschaftlichen Realität verliert, aber nicht als etwas, dessen Nutzung und Verfügbarkeit für viele Bürger sehr wichtig ist.
Die anderen Länder machen die Heuchelei mit
Die Verbraucherschutz-Ministerkonferenz hat im Juni den hessischen Vorschlag angenommen und einen entsprechenden Beschluss gefasst. Die Minister stellten fest, dass „für viele Menschen und in vielen Lebenssituationen das Bargeld weiterhin eine wichtige und zentrale Rolle einnimmt“ und stellten die wichtigen Vorzüge für die Bürger dar:
„Mit der Barzahlung kann das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sichergestellt werden, denn bei Barzahlungen werden keine Daten erhoben und gespeichert. Zudem ist die Barzahlung ein diskriminierungsfreier und einfacher Zahlungsweg, der keine Verbrauchergruppe ausschließt: Menschen ohne Girokonto, Verbraucherinnen und Verbraucher, die über geringes technisches Wissen verfügen oder keinen Zugang zu Onlinezahlungssystemen haben, Kinder und Jugendliche, Kundinnen und Kunden, die Wert auf einen sparsamen und sicheren Umgang mit ihren Daten legen.“
Was sie mit dieser Erkenntnis machen, ist enttäuschend. Sie sorgen sich, dass sich der Zugang zu Bargeld und die Akzeptanz seit Jahren stetig verschlechtert. Die sinkende Anzahl von Geldautomaten im ländlichen Raum werde zum Problem. Aber alles, was ihnen dazu einfällt, ist an die Bundesregierung zu appellieren, „auch auf EU-Ebene für den flächendeckenden Erhalt und die Nutzungsmöglichkeit von Bargeld als Zahlungsmittel einzutreten und Maßnahmen zu prüfen, um den Zugang zu Bargeld und dessen allgemeine Akzeptanz auch in Zukunft sicherzustellen.“
Sie tun so, als hätte vor allem die EU Mittel, den Zugang zu und die Akzeptanz von Bargeld sicherzustellen, und ein bisschen noch der Bund, aber die Länder gar nicht. Das ist falsch. Der Appell ist heuchlerisch, solange die Minister darauf verzichten, in den eigenen Landesregierungen für die Nutzung der eigenen Instrumente nachdrücklich und öffentlich einzutreten. Sie sollten ihre Appelle zuerst an ihre Kabinettskollegen richten, die für Finanzen zuständig sind.
Die Länder haben ein sehr wirksames Instrument
Laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs in meinem Verfahren um Barzahlung des Rundfunkbeitrags wäre eine Bargeldannahmeverpflichtung für Ämter und Behörden eine zulässige Regelung zur Organisation der eigenen Verwaltung und kein Eingriff in Kompetenzen der europäischen Union. Es wäre ein sehr wichtiges Signal, wenn wenigstens der Staat aufhören würde, die Annahme des gesetzlichen Zahlungsmittels zu verweigern.
Die Landesregierungen können eine Verwaltungsanordnung erlassen, die allen Behörden im Land vorschreiben, Bargeld diskriminierungsfrei anzunehmen. Das würde sowohl für kommunale als auch für Landesbehörden gelten. Per Gesetz könnten privatrechtliche Unternehmen, die Leistungen der Daseinsvorsorge im öffentlichen Auftrag erbringen, dazu verpflichtet werden, Bargeld anzunehmen.
In Hessens größter Stadt, Frankfurt, kann man seit September auf den Bürgerämtern der meisten, zum Teil weit entfernten Stadtteile nicht mehr mit Bargeld bezahlen. Wer nur bar zahlen kann oder will, muss ins zentrale Bürgeramt, wo man ohne Internetanschluss kaum noch Zugang hat. Andere hessische Gemeinden verfahren ähnlich bargeldfeindlich. Die Messe Frankfurt hat im Oktober bei der Buchmesse die Tageskassen für das allgemeine Publikum geschlossen und Besucher zum digitalen Bezahlen und zum Datenstriptease gezwungen.
Die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden liefert ein weiteres unrühmliches Beispiel mit der Art, wie hier die Barzahlungsmöglichkeit in Bussen abgeschafft wurde. Dagegen ist grundsätzlich nicht allzuviel einzuwenden, weil der oft höhere Zeitbedarf des Barzahlens in Bussen tatsächlich ein erhebliches logistisches Problem ist. Solange Barzahler an Automaten oder mit leicht erhältlichen Prepaid-Karten bezahlen können, muss man das nicht als Schikane gegen Barzahler werten. Aber es geschah in Wiesbaden wie in den meisten Fällen dieser Art. Es wurden alternative Bezahlmöglichkeiten für Barzahler versprochen und das dann nicht eingehalten. Die Barzahlmöglichkeit im Bus wurde ab 3. September 2023 beseitigt. Gleichzeitig wurde die Einführung einer mit Bargeld aufladbaren Bezahlkarte „noch im September“ versprochen, also Wochen nach dem Wegfall der Barzahloption. Tatsächlich kam die Bezahlkarte schließlich am 18. März 2024, fast ein halbes Jahr später.
Bei der Bargeldversorgung auf dem Land sind die Länder ebenfalls nicht machtlos. Sparkassen, die mit Abstand die größte Flächenabdeckung mit Filialen bieten, sind öffentliche Einrichtungen. Die Sparkassengesetze sind Landesgesetze. Landesregierungen können also ohne weiteres per Gesetz die Sparkassen verpflichten, gemäß ihren Möglichkeiten eine gute Bargeldversorgung sicherzustellen. Derzeit stehen Sparkassen oft an der Spitze der Bewegung zur Verdrängung des Bargelds. Sie auf das Ziel des Bargelderhalts zu verpflichten, wäre sehr hilfreich.
Verbraucherschützer neutralisiert
Allein schon die Tatsache, dass der Hessische Verbrauchertag von der Verbraucherzentrale im Auftrag der Landesregierung ausgeführt wird, offenbart den Grund dafür, dass die Verbraucherschützer als Verteidiger des Rechts auf Bargeldnutzung fast ein Totalausfall sind. Sie sind vom Staat finanziert und auf dessen Wohlwollen angewiesen. Da ist nicht viel Widerstand zu erwarten, wenn der Staat in Zusammenarbeit mit den Banken die Bargeldabschaffung fördert und an der „Welt ohne Bargeld“ arbeitet, während seine machtlosen Verbraucherschutzminister heuchlerische Appelle zum Erhalt des Bargelds absondern. Auf die Verbraucherschützer sollten wir also nicht zählen. Wir müssen unsere Interessen schon selbst schützen und verteidigen.
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