Von Hakon von Holst. Es ist bequem, mit Karte zu bezahlen – so lange, bis jemand den Stecker zieht. Dann geht der Zugriff auf das Bankguthaben verloren und der Bürger ist auf sich allein gestellt, ohne einen Cent in der Tasche. Am 12. September 2024 streikte in Deutschland jedes vierte Kartenterminal, wie die FAZ ausrechnete. Rund 250.000 Geräte also. Der Zahlungsdienstleister Telecash hatte mit Softwareproblemen zu kämpfen. Am selben Tag wurden auch in den Niederlanden Ausfälle gemeldet. Und das waren nicht die ersten ihrer Art.
Immer mehr Menschen zahlen mit Karte, immer weniger tragen Bargeld bei sich. Wenn die Bezahlsysteme nicht funktionieren, stehen sie blank da. Mit der Abkehr vom Bargeld gerät die Gesellschaft in eine gefährliche Abhängigkeit. Der Bundestagsausschuss für Technikfolgenabschätzung prognostizierte schon 2011, dass es in der Bevölkerung im Falle eines längeren Stromausfalls „zu aggressiven Auseinandersetzungen kommt“. Denn nicht nur elektronische Zahlungen kämen zum Erliegen. Die Geldautomaten fielen ebenfalls aus. In seinem Bericht forderte der Ausschuss „ein umfassendes Organisations- und Logistikkonzept“ für die Ausgabe von Bargeld in der Krise.
Inzwischen ist Deutschland an diesem Punkt zumindest einen kleinen Schritt weiter. Mit staatlicher Förderung wurden Empfehlungen für die Vorsorge ausgearbeitet. An der Untersuchung beteiligten sich Vertreter der Fraunhofer-Gesellschaft, des Brandenburgischen Instituts für Gesellschaft und Sicherheit, der Bundesbank und der Bargeld-Branche. Eine Erkenntnis aus der 2023 publizierten Studie lautet: Die im Krisenfall für den Bezug von Bargeld bedeutendsten Standorte sollten ermittelt und ihre Versorgung mit Notstromaggregaten sichergestellt werden. Doch auf eine wichtige Frage fehlt eine Antwort: Was passiert, wenn die Bargeldinfrastruktur verschwindet?
In den letzten sechs Jahren wurde in Deutschland jede dritte Bankfiliale geschlossen. Auch im Geldautomatennetz gibt es zunehmend Lücken. Nicht einmal die Sparkassen sind gesetzlich verpflichtet, Bankautomaten anzubieten, geht aus einer Anfrage beim Sparkassen- und Giroverband hervor. Wie der Bargeldkreislauf „unter solchen Rahmenbedingungen noch aufrechterhalten werden“ kann, müsse „Gegenstand weiterer wissenschaftlicher Analysen sein“, so die Autoren der Studie.
Einzelhändler wenden sich vom Bargeld ab
Die Verbraucherschutzminister und -senatoren der Bundesländer „nehmen mit Sorge zur Kenntnis“, dass sich Akzeptanz und Verfügbarkeit von Bargeld stetig verschlechtern. Sie forderten die Bundesregierung nach ihrem jüngsten Treffen im Juni 2024 auf, auch auf EU-Ebene für den Schutz des Bargelds als Zahlungsmittel aktiv zu werden.
Der Rückzug der Banken in die digitale Welt setzt eine Negativspirale in Gang: Der Handelsverband Deutschland sieht inzwischen Probleme beim Bezug von Wechselgeld und beim Einzahlen der Einnahmen auf das Konto. Längere Fahrten zur Bank bedeuten erhebliche Kosten. Auch aus diesem Grund denkt eine wachsende Zahl Einzelhändler darüber nach, das Bargeld im eigenen Geschäft abzuschaffen.
Manch kleiner Laden akzeptiert wegen der Gebührenlast weiterhin nur Bargeld. Diese Geschäfte verlieren jedoch Kunden, wenn kein nahe gelegener Geldautomat mehr vorhanden ist. Am Ende sieht sich das Unternehmen gezwungen, ein Kartenterminal zu mieten. Somit gibt es immer weniger Orte, an denen man als Konsument noch auf Scheine und Münzen angewiesen ist. Und so haben immer weniger Menschen Bargeld dabei, gerade auch dann, wenn es im Krisenfall darauf ankommt.
Weil der Bankensektor an den Kartenzahlungen verdient, dürfte das Problem mit einigen gut gemeinten Appellen nicht zu lösen sein. Mit der geplanten EU-Bargeld-Verordnung könnte erstmals eine Garantie für den Zugang zu Bargeld ins Gesetz kommen. Der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission trifft allerdings keine Definition für eine hinreichende Bargeldversorgung und betont das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Somit wird sich die Zielvorstellung einer hinreichenden Versorgung mit der Abnahme der Bargeldnutzung verlagern. Wo Banknoten und Münzen in Zukunft eine geringe Rolle spielen, da gibt es in der Konsequenz nur wenige Geldautomaten – trotz Verordnung.
Das EU-Parlament wird den Gesetzesentwurf in der frisch begonnenen Wahlperiode neu diskutieren. Die Abgeordneten können Verbesserungen anbringen. Eine vom Autor mit initiierte Petition fordert, dass 90 Prozent der Bevölkerung innerhalb von zwei Kilometern an Bargeld gelangen sollten, in Städten innerhalb von einem Kilometer. 85.000 Menschen haben sich dem Anliegen angeschlossen. Bis der europäische oder nationale Gesetzgeber handelt, geht die Verdrängung des Bargelds weiter. Und damit wird unser Zahlungssystem immer anfälliger.
Auf Bezahlsysteme ist kein Verlass
Manchmal reicht schon ein kleines Tier: In Kanada fällte ein Biber 2021 einen Pappelbaum und schrieb Geschichte. In 14 Ortschaften fielen Internet, Mobilfunk und Kartenbezahlsysteme aus. Hacker legten 2021 die Kassensysteme von Hunderten schwedischen Supermärkten lahm. Am 6. September 2024 brachte der Taifun „Yagi“ in Teilen Chinas die Stromversorgung zu Fall. Viele Menschen tragen dort kein Bargeld bei sich und zahlen durchweg mit dem Smartphone. Die Hindustan Times berichtete über ein Video, das in den sozialen Medien viral ging: Dutzende Chinesen stehen nach dem Unwetterereignis um einen Stromgenerator in dem Versuch, das Handy zu laden.
Auch in Deutschland reiht sich Vorfall an Vorfall: Am 1. August 2024 störten Arbeiten am Telekom-Netz in Rochlitz (Sachsen) Festnetz und Internet. Digitale Zahlungen konnten nicht abgewickelt werden. Um den 21. März versagten Kartenterminals bei einigen Händlern in Ostwestfalen den Dienst. Und am 4. April dieses Jahres ließ die Girocard Sparkassenkunden in der ganzen Bundesrepublik im Stich. Die Ereignisse sprechen eine deutliche Sprache: Ohne Bargeld in der Tasche ist Chaos programmiert.
Dieser Artikel von Hakon von Holst erschien zuerst am 7. Oktober 2024 in der Berliner Zeitung. Er unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0) und darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.
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