Markus Barth, Athen. Eine neue Umfrage zeigt: Die meisten Griechen sind für eine Einigung mit den Kreditgebern aber auch für die Syriza-Regierung Da die Stimmung der Bevölkerung in den deutschen Medien zum Teil sehr falsch dargestellt wird, moechte ich die Ergebnisse der Umfrage etwas ausführlicher analysieren.
Die repraesentative Umfrage des Institutes Marc für den privaten TV-Kanal Alfa , wurde von 7.6. bis 10.6. unter 1001 Haushalten in Gesamtgriechenland durchgeführt. Komfortable 14,6 Prozentunkte bleibt der Vorsprung von SYRIZA gegenüber der abgewaehlten ND bei der sog. Sonntagsfrage: 34,25% wuerden trotz aller Turbulenzen die Regierungspartei von Alexis Tsipras wählen gegenüber nur noch 19.6% für die Neue Demokratie, die trotz der massiven Unterstuetzung durch die europaeischen Schwesterparteien sicher nicht aus dem Tief herauskommen wird, solange der sehr unbeliebte ehemalige Ministerpräsident Samaras an seinem Sessel klebt. Dritte Partei wäre mit 6,3% das Haetschelkind von Martin Schulz die neue sozialdemokratische Partei POTAMI. Diese Partei von Stavros Theodorakis biedert sich seit der Wahl erfolglos als alternativer Koalitionspartner von Syriza an und betont als besonderes Kennzeichen ihre „Europafreundlichkeit“, also ihre Bereitschaft zu allen Forderungen der Kreditgeber ja zu sagen.
Es folgen mit 5,2% die kommunistische KKE und mit 5% die faschistische Chrisi Avgi, deren Führungspersonal gegenwaerig unter der Anklage, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben, vor Gericht steht. 3.7% verzeichnen die Koalitionspartner Syrizas, die Unabhängigen Griechen ANEL von Panos Kammenos, die sich 2012 von der ND abspalteten, weil sie das zweite Memorandum ablehnten. Mit gerade mal 3,2% müsste die ehemals stolze PASOK sogar um den Einzug ins Parlament bangen und gibt damit ein eindrucksvolles Beispiel dafuer was einer sozialdemokratischen Partei passieren kann, wenn sie sich auf die Rolle des Mehrheitsbeschaffers fuer eine konservative Regierung reduzieren lässt. In Spanien, Italien, Portugal aber auch in Frankreich und Österreich wird das aufmerksam verfolgt, weniger in Kreisen der SPD.
Mit dem Slogan „Die Hoffnung kommt“ war Syriza zu den Wahlen angetreten. Davon ist angesichts der Weigerung der Troika, das offensichtliche Scheitern der fünf Jahre lang betriebenen Austeritaetspolitik einzugestehen, wenig übrig geblieben. Auf die Frage „Welches Gefühl überwiegt für sie vier Monate nach der Wahl?“ antworten nur noch 30,7% mit Hoffnung. Für 59,8% überwiegt die Unsicherheit, dass es noch schlimmer kommen könnte. Nur bei den Waehlern der Syriza überwiegt mit 51,8% noch die Hoffnung, 45,5% der ANEL bleiben optimistisch. Dieselbe Frage am 13.Februar hatte noch insgesamt 65,2% für die Hoffnung und nur 22% für die Unsicherheit erbracht.
Die Bewertung der Leistung der Regierung als Ganzes ergibt erstmals ein Übergewicht der negativen Einschätzung 53,1% gegenüber 45% positiver Beurteilung. Die wesenliche Rolle spielt dabei sicher, das die Regierung wegen der fehlenden finanziellen Mittel viele der Wahlversprechen von Syriza nicht halten konnte. Eine Rolle spielen auch Reibereien zwischen verschiedenen Führungskräften. Wesenlich ist aber auch die anhaltend negative Berichterstattung der den Oligarchen gehörenden TV-Kanäle und Printmedien, die sich in vielen Fällen mit den Syriza-feindlichen deutschen Leitmedien die Bälle zuspielen indem jeder die Falschinformationen des andern als Tatsachenbeleg für die eigene Propaganda hernimmt. Im Gegensatz zu den Vorgängerregierungen, die die Kanäle mit billigen „Krediten“ durch die grossen Banken versorgten, die nie zurückgezahlt wurden, hat Syriza erstmals (!) die Zahlung von Gebühren für die Sendelizenzen verlangt und eine neue Steuer auf die Werbeeinnahmen angekündigt.
Die Bewertung des Premierministers ist nach wie vor überwiegend positiv. Auf die Frage „Sind sie damit zufrieden, wie Alexis Tsipras die kritischen Fragen des Landes angeht?“, sind insgesamt 53% zufrieden, darunter 83,5% der Syriza Wähler aber auch Mehrheiten der Wähler von ANEL und etwas ueberaschend der KKE.
Mit der Verhandlungsführung der Regierung sind nur noch 45,4% der Befragten einverstanden. Erstmals ueberwiegen die negativen Urteile mit 53,3%. Hinter dieser Zahl stecken sowohl diejenigen, die ein härteres Verhandeln fordern als auch die, die mehr Kompromissbereitschaft wollen. Hier zeigen sich sehr interessante Ergebnisse.
„Was wuenschen sie sich von der Regierung in den laufenden Verhandlungen?“, lautete ie Frage des Instituts, „Mehr Realismus oder mehr Beharren auf den Forderungen des Wahlkampfs?“ In der Summe wollen 56% „mehr Realismus“ 39,2% „mehr Beharren auf den Wahlversprechen“. Das beruht auf satten Mehrheiten von über 75% bei ND, POTAMI und PASOK-Anhaengern für den Realismus. Bei SYRIZA und ANEL sind 53,5 bzw 54,5% der Wähler für eine härtere Verhandlungsführung um mehr Wahlforderungen durchzusetzen. Die Stimmung im Land polarisiert sich also.
Was soll die Regierung aber tun wenn es nicht klappt? Die Frage lautet: „Für den Fall, dass die europaeischen Partner auf ihren Vorschlaegen beharren, was glauben sie sollte die Regierung tun, diese Einigung akzeptieren, um die Finanzierung des Landes zu sichern oder bis zum endgueltigen Bruch gehen, auch wenn das die sofortige Insolvenz bedeutet?“ Hier gibt es eine Mehrheit für die Akzeptanz der Forderungen von 50,2% gegenüber 37,7% die bis zum Bruch gehen würden. Auch hier kommt die defensive Mehrheit von den Anhängern der Parteien POTAMI, PASOK und ND. Ein Kniefall der Syriza würde immerhin beweisen, dass auch die neue linke Regierung nicht mehr für das leidende Volk rausholen kann, als diese Parteien es mit ihrer jahrelangen Demutshaltung geschafft haben.
Wie sieht es aber bei den Regierungsparteien aus? Hier zeigt sich eine deutliche Radikalisierung! 52,7 der befragten Syriza Anhänger und 56,8% der Unabhaengigen Griechen erklären bis zum Bruch gehen zu wollen. Allerdings glauben auch sie in der Mehrheit nicht, dass es soweit kommt.
Die unmittelbare Gefahr einer Insolvenz Griechenland sehen 56,8% der Befragten. 80,3% glauben jedoch an eine wie auch immer geartete Einigung eine Erwartung, die erstaunlicherweise mit aehnlich hohen Prozentsaetzen durch alle Parteien geht und sich trotz der quälend langsam vorangehenden Verhandlungen auch seit der letzten Befragung im März nicht wesentlich geändert hat. Auch auf die Frage was sich die Befragten selber wünschten, gibt es eine vergleichbar hohe Mehrheit von 77,1% für eine Einigung, über 90% bei den Oppositionsparteien aber auch 73,1 bei Syriza und 61,4% bei ANEL. Nur die KKE-Waehler wuenschen in der Mehrheit den Bruch aber das hier ist ja auch das Programm der Partei.
Der Wunsch letztlich zu einer Einigung zu kommen hängt offenkundig mit der Angst vor dem Ausschluss aus dem Euro-Raum zusammen. Auch diese Umfrage zeigt wieder eine klare Präferenz von 77,4% beim Euro zu bleiben. Nur 16% wollen, so wie es z.B. der Syriza-Oekonom Lapavitsas fordert zur Drachme zurückkehren. (Anmerkung: Die Diskussion innerhalb von Syriza hat An Schärfe gewonnen. Ein Mandat den Grexit zu akzeptieren hat Tsipras aber sicher nicht. Wahlaussage war „weg von der Austeritaetspolitik aber innerhalb des Euro.) Auch der Wunsch im Euro-Raum zu bleiben geht durch alle Parteien (70,1% bei Syriza, 93-100% bei ND,Potami und Pasok, sogar noch 39,5% bei KKE-Waehlern).
Für den Verbleib in der EU ist eine grosse Mehrheit von 75,7%. Auch hier ist nur die KKE seit 40 Jahren die Ausnahme. (Anmerkung: Am 12.6.1975 also heute vor genau 40 Jahren hatte der damalige Ministerpräsident Konstantinos Karamanlis dem Beitragsantrag zur EU gestellt, der 1981 zur auch damals nicht unumstrittenen Aufnahme führte , ein interessanter Artikel zum Thema hier. Es ging um geostrategische nicht um wirtschaftliche Gesichtspunkte!)
Neuwahlen im Falle einer ausweglosen Situation bei den Verhandlungen wollen im Uebrigen lediglich 13,8% der Befragten.
Fazit: Die Umfrage zeigt ein realistisches Bild der Stimmungslage der griechischen Bevölkerung, die sich auch mit meinen persönlichen Erfahrungen deckt. Die Menschen sind die unertraegliche Unsicherheit und die Drohkulissen der Troika und ihrer politischen Auftraggeber leid. Das Scheitern der Austeritaetspolitik erleben sie schmerzhaft jeden Tag und fühlen eine tiefe Verbitterung und Machtlosigkeit, wenn sie erleben müssen, das die Kreditgeber trotzdem auf weiteren Rentenkürzungen, Steuererhoehungen und der weiteren Beschraenkung von Arbeitnehmerrechten bestehen. Das gestrige Gefühl der Erleichterung nach den positiven Aeusserungen einiger Akteure war deutlich spürbar und hat unmittelbar auch zu einem eindrucksvollen Aufwärtstrend an der Boerse geführt. Die kalte Dusche kam leider schon am Abend durch die Nachricht von der Abreise der IWF-Vertreter als weitere Drohgeste. Das was sich die Mehrzahl der Griechen wünscht ist eine Einigung, die es Tsipras erlaubt sein Gesicht zu wahren und weitere Abenteuer durch innerparteiliche Konflikte zu vermeiden. Hoffnung auf die abgehalfterten Altparteien hat nur ein harter Kern von langjaehrigen Nutzniessern von deren Klientelismus.
Was die Griechen sich wuenschen ist ziemlich klar. Leider haben die Vertreter der Troika keinerlei Ähnlichkeit mit dem Weihnachtsmann. Die Ungewissheit, die wie jeder Volkswirt weiss, das schlimmste für eine Wirtschaft ist wird also erst einmal weitergehen.
P.S. Nach Anfertigung meines Artikels hab ich gesehen, dass auch die BILDZeitung auf ihre besondere Weise und mit groesseren Buchstaben über die gleiche Umfrage berichtet….die typische Überschrift: „So sauer sind die Griechen auf Tsipras“.