Der Poker Athen vs. Brüssel (Stand 5.2.)

Ich habe die Artikelfolge in „Poker“ umgetauft, weil die Verhandlungssituation inzwischen zu komplex wird, um sie weiterhin in allen wichtigen Aspekten unter das Game of Chicken zu fassen. Beim „Game of Chicken“ rasen zwei Autos aufeinander zu. Wer zuerst ausweicht, hat verloren. Im Folgenden will ich auflisten und kurz kommentieren, was die Parteien bisher getan haben, um der anderen Seite deutlich zu machen, dass man selbst auf keinen Fall ausweichen wird (Selbstfestlegung), den Schaden der Gegenseite bei einem Crash zu steigern (Drohung), den

eigenen Schaden  bei einem Crash zu reduzieren (Abwehr) oder der anderen Seite zu signalisieren, dass man  sich erkenntlich zeigen werde, wenn sie zuerst ausweicht (Versprechen). Was für die beiden Seiten auf dem Spiel steht, habe ich hier beschrieben.

 Was bisher geschah (Stand 31.1.2014):

 Protest Athens gegen EU-Resolution zu RusslandSanktionen ohne Beteiligung Griechenlands.
Drohung: Wenn ihr auf Konfliktkurs bleibt können wir die Außenpolitik der EU sabotieren.
Abwehr: Signalisiert Moskau, das es sich lohnen könnte, einem von der EU schlecht behandelten Griechenland im Crash-Fall zu helfen.

 Treffen von Tsipras mit russischem Botschafter, gleich nach Tsipras Vereidigung
Drohung: Sabotage der Außenpolitik
Abwehr: Ausloten oder Vorbereiten der Möglichkeit finanzieller Hilfe durch Moskau, Falls Europäische Zentralbank und/oder EU den Geldhahn zudrehen.

  Griechenland stimmt Verlängerung der EU-Sanktionen zu, blockiert aber Androhung der Verschärfung.
Versprechen: Wenn ihr nachgebt  bekommt ihr außenpolitisch euren Willen.
Drohung: Wir können auch anders
Abwehr: Signal an Russland, dass man nicht festgelegt ist und sich in die eine oder andere Richtung ziehen lassen könnte, z.B. gegen Unterstützung, wenn s hart auf hart kommt. Der russische Finanzminister Siluanow sagte öffentlich, er werde ein etwaiges griechisches Hilfsersuchen definitiv prüfen.

  Finanzminister Schäuble erklärt, man werde Athen Hilfen nicht aufdrängen und EU-Parlamentspräsident Schulz droht nach einem Gespräch mit der Regierung (unklar in wessen Auftrag er nach Athen reiste), es werde „kein Geld mehr fließen“, wenn die neue Regierung in Athen die Reformzusagen der alten nicht einhalte. .
Drohung: Hilfszahlungen werden eingestellt, wenn Athen nicht weiter mitspielt.

  Finanzminister Varoufakis erklärt dem Eurogruppenchef und der Öffentlichkeit, man werde mit den Abgesandten der Troika nicht mehr zusammenarbeiten und wolle nicht um die Verlängerung des laufenden Hilfsprogramms nachsuchen.
Selbstfestlegung: Durch die öffentliche Ankündigung macht er es sich fast unmöglich einen Rückzieher zu machen.
Neutralisierung der Drohungen von Schäuble und Schulz: Wir wollen ohnehin keine neuen Hilfskredite mehr.
Drohung: Ohne weitere Hilfskredite ist klar, dass das Geld bald knapp wird. Dann kommt der Offenbarungseid und Schäuble und Co. müssten, wensie keine Zugeständnisse machen um den Bankrott abzuwenden, das Gefürchtete tun und ihren Steuerzahlern und Wählern gestehen, dass die schon gegebenen Kredite zum großen Teil abzuschreiben sind.

  Beurteilung des bisherigen Spielverlaufs:

Die neue Regierung in Athen ist gut vorbereitet gestartet und hat schnell ein Feuerwerk von Selbstfestlegungen, Drohungen und Abwehrmaßnahmen abgebrannt um sich einen Startvorteil zu verschaffen und die eigene Entschlossenheit zu demonstrieren. Das ist gelungen. Die Gegenseite hat bisher nichts entgegensetzt. Das könnte daran liegen, dass sie sich am viel längeren Hebel wähnt, oder daran dass die vielen Beteiligten erst noch eine gemeinsame Strategie finden müssen. Ihren dicksten Knüppel hat sie noch nicht ausgepackt. Die Drohung damit, den griechischen Banken den Zugang zur Refinanzierung bei der EZB zu sperren.

 Fortsetzung 

noch Freitag 30.1.

 Nach einer griechischen Nachrichtenagenturmeldung von Freitag hat EU-Finanzkommissar Moscovici auf eine kritische Anfrage des Syriza-Abgeordneten und Vizepräsidenten des EU-Parlaments Papadimoulis zur Rolle der Troika geantwortet, dass die  EU-Kommission die Möglichkeit eines Ersatzes für die Troika in der Zukunft prüfen wird.

Analyse: Klingt nach Ausweichen.

Angela Merkel sagt, sie setzt sich auf die Rückbank und lässt erst mal die anderen machen. Behält sich vor später erst zu entscheiden, ob sie gegebenenfalls für Ausweichen ist oder für draufhalten.

Analyse: Gar keine gute Idee in einem Game of Chicken, bei dem das Ziel sein muss, der Gegenseite den Eindruck zu vermitteln, dass man auf keinen Fall ausweichen wird.  

Sonntag, 1.2.

 Kommissionspräsiden Juncker lässt die FAZ im Hintergrund wissen: „Mit ihm werde es keinen „Grexit“ geben“, heißt es aus seiner Umgebung. „ Und weiter, so die FAZ: „Die Kommission hat sogar schon einen Notfallplan entwickelt, um Griechenland bis zum Sommer mit Geld zu versorgen.“

 während gleichzeitig:

 EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) ist der Ansicht, dass Griechenlands neuer Regierungschef mit dem Ende der Sparpolitik den Verbleib des Landes in der Eurozone gefährdet. „Natürlich spielen wir Worst-case-Szenarien durch“, sagt Oettinger, „aber niemand strebt einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone an.“

 Analyse: Das neutralisiert sich gegenseitig und ist somit wenig geeignet, dem Gegner Angst zu machen.

 

 Update vom 4.2.

 So langsam wird deutlich, wer mitspielt, also im Auto sitzt, und wer von außen das eigene Team versucht auf der Spur zu halten. Auf der griechischen Seite ist schon länger klar, dass ein eingespieltes Zweierteam mit Alexis Tsipras am Steuer und Yanis Varoufakis als Beifahrer den Cinquecento lenkt. Auf der Gegenseite


machen zwar die Beifahrer und Zuschauer viel Lärm, am Steuer sitzt aber der, der sich bisher gar nicht in die Karten schauen lässt, Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB). Angela Merkel hat sich auf den Rücksitz gesetzt, hatte ich geschrieben, aber das stimmt nicht wirklich. Sie hat ihren Platz auf dem Rücksitz ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble abgetreten und gibt sich mit der Zuschauerrolle zufrieden. Komissionspräsident Juncker hat den deutschen EU-Parlamentspräsidenten Schulz, der sich ohne legitimen Auftrag nach Athen begab um dort „Tacheles“ zu reden, aus dem Auto geworfen, indem er die Verhandlungen zur Chefsache erklärte, ebenso den glücklosen holländischen Eurogruppenchef Dijsselbloem, den Tsipras nach einem treffen in Athen wie einen Schuljungen dastehen ließ, der eine schlechte Note bekommen hat. Unklar ist, ob Juncker den deutschen EU-Digitalkommissar Oettinger überhaupt wahrnahm, der auf einer CDU-Veranstaltung poterte: „Es kann nicht sein, dass eine Regierung von Brüssel besser behandelt wird, weil sie frech und unverschämt auftritt. Wir dürfen Athen deshalb jetzt nicht abstrafen, aber es hat keine Verbesserung zu erwarten.“ Klar ist auf jeden Fall, dass Oettinger nur Kullisse abgibt.

  Am Wochenende meldete sich noch US-Präsident Obama zu Wort und sagte wer seiner Meinung nach vernünftig sein und nachgeben solle. Man könne ein Land in einer solch schlechten Wirtschaftslage nicht weiter ausquetschen, sagte er in einem Interview mit dem Nachrichtensender CNN. Die deutschen Fernsehzuschauer und Zeitungsleser wurden von solcher Häresie von ganz oben zwar weitgehend verschont (Die FAZ brachte selbst am Dienstag noch nichts davon, andere Zeitungen fügten immerhin ans Ende von Stücken über Griechenland eine kurze Passage ein),  aber das war auch nicht nötig. Bei Juncker auf dem Beifahrersitz kam die Botschaft an. Er reagierte prompt mit der sehr konzilianten Ankündigung der Abschaffung der Troika auf den Affront von Finanzminister Varoufakis, deren Abgesandte zu unerwünschten Personen zu erklären, was so manches Medium als einen weiteren Erfolg von Tsipras interpretierte.

  Zusammenfassend sitzen also, bevor die Autos losfahren,  im keinen Fiat 500 Tsipras und Varoufakis mit ein paar Stangen Dynamit im Kofferraum, in Form der Drohung, dass im Fall eines Crashs die Währungsunion auseinanderfalle), während im von Draghi gesteuerten Kleinlaster als Beifahrer Jean-Claude Juncker Platz genommen hat, mit dem Auftrag aus Übersee, Unfälle zu vermeiden, während im Fonds Wolfgang Schäuble Platz genommen hat, und lautstark mäkelt, dass ihm von Kurven und Ausweichmanövern immer so schlecht wird.

 Ausblick: Am Mittwoch (heute) hat Varoufakis Audienz bei Draghi, am Donnerstag bei Schäuble. Am Freitag und Samstag stellt Tsipras vor, welche Prioritäten er bei der Umsetzung seines Wahlprogramms setzen wird. Langsam wird es spannend. Ich vermute allerdings es wird Überraschung herrschen darüber, wie konsensfähig dieses Programm ist. 

Ergänzung am 4.2. 13 Uhr

Im Interview mit der Zeit sagt Varoufakis die griechische Regierung werde auf keinen Fall um Geld von Russland bitten.

Schlussfolgerung: Das Tsipras mit seinem scnellen Besuch beim russsischen Botschafter diei russische Karte sicherlich nich versehentlich hochgehoben hat, deutet die dezidierte Absage für mich darauf hin, dass Griechenland substanzielle Zugeständnisse in Aussicht gestellt wurden und eine Einigung näher rückt. 

 

 Update vom 5.2.

Mittwochabend und Donnerstag waren ereignisreich. Noch am Abend nach dem Besuch von Finanzminister Varoufakis bei EZB-Chef Draghi hat die EZB beschlossen, griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit zu akzeptieren und schreibt damit ein großes weithin leuchtendes Fragezeichen hinter die weitere Versorgung der griechischen Banken mit Euro, und damit den Verbleib Griechenland in der Währungsunion.

Der Syriza-Wirtschaftsstratege Jannis Milliós hat mir in einem Interview gesagt, dass er das für einen Bluff hält, weil die EZB die eigene Existenz gefährden würde, wenn sie Griechenland aus der Währungsunion würfe.

Finanzminister Varoufakis war bei seinem Kollegen Schäuble, offenbar ohne dass es eine größere Annäherung der Positionen gab.

Putin hat Tsipras nach Moskau eingeladen.

Bleiben wir solange es geht, noch im Modus des Game of Chicken. Wir stellen uns vor, die Gegenspieler stehen noch rum bei ihren nebeneinander geparkten Autos und versuchen sich gegenseitig Angst zu machen und die eigene Angstfreiheit darzustellen. Die Einladung nach Moskau lässt sich als Gegendrohung zur Drohung der EZB deuten, den griechischen Banken die Euros abzudrehen. „Ihr könnt uns aus der Währungsunion treiben, aber dann wenden wir uns in unserer Not an Russland.“ Varoufakis hatte zwar gerade erst am Tag vorher gesagt, Griechenland werde nie Russland um Hilfe bitten, aber Putin hat ja Tsipras von sich aus eigeladen und erweckt damit den Eindruck, diesem die Hilfe aufdrängen zu wollen.

Miliós hat mir gegenüber recht überzeugend begründet, warum er die Drohung der EZB nicht allzu ernst nimmt. Wenn ein Land aus der Währungsunion fliegt, kann die EZB zwar versuchen, mit ihren Programmen zum Kauf von Staatsanleihen Turbulenzen an den Anleihemärkten anderer Krisenländer zu verhindern. Aber, so Miliós, die Märkte würden Instrumente finden, um auf den Austritt des nächsten Landes zu spekulieren und ihn zum eigenen Vorteil auch zu erzwingen. Und es gäbe noch ein Riesenproblem für die EZB: Wenn Griechenland ausgetreten wäre, könnte sie keiner unbotmäßigen Regierung mehr mit Rauswurf drohen. Denn sie kann den Märkten unmöglich erzählen: Okay, das zweite Land fliegt jetzt auch noch raus, aber dann sicher keines mehr. Deshalb ist die Rauswurfdrohung nicht glaubwürdig.

Jetzt aber müssen wir den Analyserahmen des Game of Chicken langsam verlassen, das die Situation zu komplex ist. Es gibt nicht nur die drei Möglichkeiten Crash oder A weicht zuerst aus oder B weicht zuerst aus. Es gibt auch vieles dazwischen. Man kann sich dem im Game of Chicken noch so annähern, dass vielleicht A ein bisschen von der Mittellinie abweicht und schaut, ob B das erwidert. Wenn er es tut, wicht A noch ein bisschen weiter ab und B auch, bis sie im Idealfall aneinander vorbeifahren, ohne dass zu sehen gewesen wäre, wer „zuerst“ ausgewichen ist.

Das hat in dem letzten Tagen schon stattgefunden, unter anderem mit einem Tsipras und einem Varoufakis, die Kreide gefressen haben und dafür von Juncker ein Eingehen auf ihre Forderung nach Abschaffung der Troika bekamen. Das Problem ist nur: wer mehr als nur ein kleines bisschen ausweicht, vermittelt der Gegenseite vielleicht den Eindruck der Schwäche und verleitet diese dazu, erst recht unbeirrt in der Mitte draufzuhalten. Das scheint passiert zu sein, denn im Moment geht es eher rückwärts bei der Konsensfindung. Darauf deutet auch hin, dass Schäuble schon am Vortag seines Treffens mit Varoufakis am Donnerstag eine Liste mit recht unverschämten Forderungen an Athen in Umlauf brachte.

Es gibt aber in der Realität mehr Dimensionen, als nur das Ausweichen in eine Richtung. In der Realität kann man der Gegenseite in den Verhandlungen auch die ganz großen Waffen zeigen und die kleinen schon Mal spüren lassen. Das macht die EZB. Sie hat die griechischen Banken von der normalen Euro-Geldversorgung abgeschnitten und sie auf die Notkredite von der griechischen Zentralbank verwiesen, die weniger strengen Regeln folgen. Aber diese hat sie Insiderberichten zufolge est einmal bei 60 Mrd. Euro gedeckelt. Aus der Ja-Nein-Entscheidung hat sie damit eine graduelle Willkürentscheidung gemacht. Sie kann entscheiden, wenn den griechischen Banken wegen Kapitalflucht das Geld knapp wird, ob und um wie viel sie die Grenze anheben will.

Aber wenn Athen nicht klein bei gibt, dann wird die EZB doch nicht um die ja-nein-Entscheidung herumkommen. Denn dann wird wegen der großen Unsicherheit so viel Geld von den griechischen Banken abgezogen, dass die EZB sich entscheiden muss: Gibt sie den griechischen Banken so viel Geld wie diese brauchen um Auszahlungsbegehren erfüllen zu können, oder nimmt sie in Kauf, dass die Banken schließen müssen und Griechenland eine neue Währung braucht.

Diese Aktion ist Teil eines vieldimensionalen Spiels mit gegenseitigen Zugeständnissen und Drohungen, um herauszufinden, wie stark und wie kompromissfähig der Gegner insgesamt ist.

Wohin soll das führen? Das Ziel muss es sein, ein Paket aus ganz vielen Elementen zu schnüren, bei dem beide Seiten etwas bekommen und das es beiden Seiten ermöglicht, ihr Gesicht zu wahren: Syriza gegenüber seinen Wählern, Brüssel und Frankfurt gegenüber anderen Krisenländern, Schäuble, Merkel und Gabriel gegenüber den euroskeptischen (potentiellen) Anhängern von AfD und Pegida. Je komplexer das Paket und je mehr Raum es bietet, dass die einen es so, die anderen es so interpretieren, desto leichter fällt das. Aber weil beide Seiten erst während der Verhandlungen lernen, wie stark und wie einig die Gegenseite ist und jede Seite nur kleine Zugeständnisse machen und nur taktische Waffen einsetzen kann, dauert das Finden einer Lösung seine Zeit.

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