17. 02. 2022 | Update 18.2. | Update 8.3. | Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht Woche für Woche einflussreiche Daten zur Impfeffektivität gegen schwere Verläufe. Ein Vergleich der verwendeten Grunddaten zu Intensivpatienten nach Impfstatus mit einer mutmaßlich verlässlicheren, auch vom RKI berichteten Statistik legt jedoch den Schluss nahe, dass die Behörde Zahlen verwendet, die nichts taugen und zu massiv überhöhten Impfeffektivitäten führen.
Im RKI-Wochenbericht vom 10.2. sind in Tabelle 3 auf Seite 26 die im Tagesdurchschnitt im Krankenhaus und auf Intensivstationen behandelten Covid-Patienten der Kalenderwochen 2 bis 5 aufgeführt, soweit sie „entweder ungeimpft waren, eine abgeschlossene Grundimmunisierung oder eine Auffrischimpfung erhalten haben.“
Die Daten zu den Intensivpatienten nach Impfstatus kann man vergleichen mit den von der Intensivmedizinervereinigung DIVI zusammen mit dem RKI erhobenen Daten für die Neuaufnahmen auf die Intensivstationen im gleichen Zeitraum (Seite 17/18). Dabei fällt zweierlei auf:
- Die Größenordnungen sind sehr unterschiedlich.
- Der Anteil der nicht Geimpften ist in der DIVI-Statistik viel geringer.
Aufgenommen wurden laut DIVI von Kalenderwoche 2 bis 5 insgesamt 1772 nicht geimpfte Patienten und 1933 vollständig Geimpfte. Zusammen sind das 3705 neu aufgenommene Intensivpatienten.
In Tabelle 3 sind dagegen nur 330 auf Intensivstationen durchschnittlich behandelte Fälle mit diesen Impfstatus aufgeführt, ein Elftel der Neuaufnahmen. Das würde bedeuten, dass jeder Patient im Durchschnitt nur zweieinhalb Tage auf Intensivstation bliebe, was völlig unplausibel ist.
Auch der Anteil der nicht Geimpften ist in der Statistik von Tabelle 3 ganz anders als in der DIVI-Statistik von Seite 17/18. Nur 101 sind vollständig geimpft, 229 sind nicht geimpft. Das macht einen Anteil der nicht Geimpften von 69%. In der DIVI-Statistik der Neuaufnahmen sind es dagegen nur 48%.
Auch im Wochenbericht der Vorwache war die Diskrepanz groß bei damals jeweils höheren Anteilen der nicht Geimpften. Der Anteil bei den Behandelten betrug laut Tabelle 3 des RKI damals noch 76%, der Anteil bei den Neuaufnahmen laut DIVI 56%.(Änderungshinweis: Verwechslung der beiden Zahlen am 18.2. korrigiert.)
Nachtrag 18.2. zu den neuen Daten und zur Impfeffektivität
Der steile Rückgang des Anteils der nicht Geimpften an den Intensivpatienten setzt sich fort. Im Wochenbericht vom 17.2. lässt sich aus den auf Seite 18 angegebenen DIVI-Zahlen ein Anteil der nicht Geimpften (bezogen auf die nicht Geimpften plus die Geimpften, ohne unvollständig Geimpfte) von nur noch 44% errechnen nochmal vier Prozentpunkte weniger als in der Vorwoche. 56% waren geimpft.
Dagegen ergibt sich aus den nur 289 von den Gesundheitsämtern mit allen Daten gemeldeten Fällen eine Quote der nicht Geimpften von 66% (nochmal 3% weniger als in der Vorwoche) , der Geimpften von nur 34%.
Die Impfeffektivitäten gegen (sehr) schwere Verläufe, die sich aus diesen Anteilen der nicht Geimpften Intensivpatienten errechnen, liegen Welten auseinander. In einem Fall (Tabelle 3) sind sie einigermaßen hoch, im zweiten Fall (DIVI) sind sie zwar positiv aber sehr gering.
Olaf Garber hat die Problematik auf Twitter vertieft und Impfeffektivitäten im Zeitverlauf aus den DIVI-Intensivdaten errechnet. Kein schönes Bild. Danach ist die aus den DIVI-Daten errechnete Impfeffizienz zwischen 20.1. und 10.2. von 80% auf 61% gefallen.
Das RKI nutzt die weitaus schlechteren Daten
Das wirft die entscheidende Frage auf, welche Daten näher an der Wirklichkeit liegen. Das RKI stellt diese Frage in seinem Wochenbericht nicht einmal ausdrücklich. Vielmehr verkündet es als Fazit:
„Auch aktuell bei Dominanz der Omikron-Variante kann für vollständig geimpfte Personen aller Altersgruppen – und insbesondere für Personen mit Auffrischimpfung – weiterhin von einem sehr guten Impfschutz gegenüber einer schweren COVID-19-Erkrankung ausgegangen werden und weiterhin zeigt sich für ungeimpfte Personen aller Altersgruppen ein deutlich höheres Risiko für eine COVID-19-Erkrankung, insbesondere für eine schwere Verlaufsform.“
Erst hier lässt die Behörde, versteckt in einer Fußnote, wissen, wo Schwächen der Daten liegen. Sie lassen sich zusammenfassen als: Die Daten taugen nichts. Es handelt sich um die nach Infektionsschutzgesetz von den Gesundheitsämtern übermittelten Daten. Diese haben naturgemäß erheblich weniger zuverlässige Informationen darüber, wer auf eine Intensivstation verlegt wird, als die Intensivstationen der Krankenhäuser. Auch Angaben zum Impfstatus liegen den überlasteten Ämtern oft nicht (gleich) vor. Wenn man keine besseren Daten hätte, könnte man die Nutzung dieser Zahlen ja rechtfertigen, soweit plausibel ist, dass sie halbwegs unverzerrt sind.
Das RKI versucht, wenig überzeugend, das darzulegen:
„Da für einen Teil der COVID-19-Fälle die Angaben zum Impfstatus fehlen oder unvollständig sind, können damit nicht alle COVID-19-Fälle in die Analysen einbezogen werden. (,..) Auf Berechnungen der Impfeffektivität hätte diese Unvollständigkeit der Daten nur dann einen Einfluss, wenn der Anteil der Geimpften unter den Fällen mit unbekanntem Impfstatus höher oder niedriger wäre als unter den Fällen mit bekanntem Impfstatus. (…) Für einen Teil der Fälle fehlen zudem Angaben zu Symptomen, Hospitalisierung und Betreuung auf Intensivstation (dies verstärkt aktuell bei hohen Fallzahlen deutschlandweit), ebenso wird nicht nach Grund für Hospitalisierung und Tod differenziert.“
Aber: Der Vergleich mit den aller Plausibilität nach zuverlässigeren, aber vom RKI ignorierten Daten zu den Neuaufnahmen auf Intensivstationen zeigt, dass die Zahlen eben doch massiv verzerrt sind. Für 85% der Fälle liegen in der DIV-Statistik die Impfsttatus vor. Vor allem das und die fehlenden Informationen der Gesundheitsämter über die Verlegung vieler Patienten auf Intensivstationen dürften die sehr viel niedrigeren Zahlen in Tabelle 3 des RKI erklären.
Warum das zu so starken Verzerrungen in Richtung eines hohen Anteils nicht Geimpfter führt, ist unklar. Eine plausible Hypothese könnte lauten, dass immer noch manchmal geschieht, was lange Zeit die Norm war: dass Menschen mit unbekanntem Impfstatus als nicht geimpft klassifiziert werden.
Impfeffektivitäten werden viel zu hoch ausgewiesen
Das RKI weist zwar keine Impfeffektivitäten gegen Einweisung auf Intensivstationen aus, sondern nur „beispielhaft“ gegen Hospitalisierung, also gegen Krankenhauseinweisung generell. Sie liegen für Grundimmunisierung für Erwachsene unter 60 Jahren bei 66% und für Ältere bei 80%, sowie für Auffrischungsimpfung bei 88% und 93%, Tendenz sinkend. (Dass die höheren Effektivitäten in der höchsten Altersgruppe durch gebrechliche Personen, die nicht geimpft werden können, verzerrt sein dürfen, habe ich jüngst erläutert.)
Wenn jedoch die in der gleichen Tabelle auf gleichem Meldeweg dargestellten und ermittelten Zahlen zu Intensivpatienten nach Impfstatus massiv verzerrt sind, dann muss man davon ausgehen, dass dies auch bei den Hospitalisierungen in ähnlicher Weise und in gleicher Richtung der Fall ist.
Die Impfeffektivitäten, die das RKI prominent ausweist und an versteckter Stelle mit einem vagen Warnhinweis versieht, grenzen an wissenschaftlichen Betrug. Dabei sind diese Berechnungen sehr wichtig, werden sie doch als Hauptargument dafür verwendet, Älteren Boosterimpfungen und zweite Boosterimpfungen zu empfehlen.
Keine vernünftige Erklärung von der Behörde
Ich habe die heldenhaft bis tief in die Nacht arbeitende Presseabteilung des RKI mit den großen Diskrepanzen in den verschiedenen vom RKI referierten Datensätzen konfrontiert und um Erklärung gebeten. Die Antwort kam schnell, war aber unbefriedigend. Es wurde nur in einem vorgefertigten Text auf die unterschiedliche Herkunft und Nichtvergleichbarkeit der Daten hingewiesen. (Antwortdokumentation siehe unten)
Auf meine Nachfrage, dass die großen Diskrepanzen bei Daten, die den gleichen Sachverhalt abbilden sollen, erklärungsbedürftig seien, und man sich in diesem Fall die Frage stellen müsse, welcher der beiden Datensätze die Wirklichkeit besser abbilde, und welcher nichts tauge, kam nur noch eine sehr kurze Antwort, die nicht auf die Frage einging.
Ich schließe aus dem Vorhandensein einer vorgefertigten Antwort, dass das Thema dem RKI nicht neu ist. Das spricht dagegen, dass die Behörde in gutem Glauben irrtümlich handelt, weil das Problem noch nicht aufgefallen ist. Aus meiner Sicht gibt es dann nur noch die Erklärungsmöglichkeiten völlige Inkompetenz oder absichtliche Irreführung der Öffentlichkeit. Ich neige angesichts des langen Sündenregisters der Behörde zu Letzterem.
2. Update (8.3.): MDR rechnet nach und bestätigt Kritik am RKI
Der MDR hat anhand der viel repräsentativeren und weniger verzerrten Daten des DIVI-Intensivregisters aus den RKI-Wochenberichten selbst Impfeffektivitäten für Booster-Impfungen (Schutz vor Intensivstation) berechnet. Sie sind tatsächlich viel niedriger als die vom RKI auf Basis der wenigen Gesundheitsamtsmeldungen berechnet, und sie sinken schnell. In nur sieben Wochen sank die Effektivität von 89,3% auf 62,3%. Dagegen sieht das RKI laut Wochenbericht „keine starken Hinweise, dass die Booster-Effektivität deutlich nachlässt“. Die Rechtfertigung des RKI für deren eigene Berechnungsweise wird auch vom MDR zerpflückt. Auch der MDR bekommt nur eine Wischi-Waschi-Stellungnahme vom RKI.
Schon am frühen Abend des 8.3. wurde der MDR-Beitrag überarbeitet und das Ergebnis relativiert. Hauptargument wie üblich in solchen Fällen, die vom RKI zu verantwortende Unzulänglichkeit der Daten, die regelmäßig gegen jede Untersuchung oder Berechnung ins Feld geführt wird, die den Zahlenhokuspokus und das Narrativ des RKI angreifen.
Anhang: Dokumentation meiner Anfragen und der Antworten
Sehr geehrte Damen und Herren,
Im RKI-Wochenbericht vom 10.2. sind in Tabelle 3 die behandelten Covid-Intensivpatienten von KW 2 bis 5 im Durchschnitt aufgeführt, soweit sie „entweder ungeimpft waren, eine abgeschlossene Grundimmunisierung oder eine Auffrischimpfung erhalten haben.“ Das sind zusammen 330 Fälle.
Auf Seite 17/18 sind die in Kw 2 bis 5 aufgenommenen Intensivpatienten aufgeführt. Für die Impfstatus ungeimpft, und vollst. Geimpft (einschließlich Booster), sind hier 1772 + 1.933 = 3705 Fälle genannt.
Das ist 11 mal so viel wie die durchschnittlich behandelten. Das würde bedeuten, dass jeder Patient im Durchschnitt nur zweieinhalb Tage auf der Intensivstation behandelt würde, was sehr wenig scheint.
Im Bericht der Vorwoche war die Diskrepanz mit 397 durchschnittlich behandelten zu etwa 3600 aufgenommenen Patienten ebenfalls groß aber doch deutlich geringer.
Deshalb bitte die Fragen:
Wie lange, etwa, ist die durchschnittliche Verweildauer von Covid-Patienten auf den Intensivstationen? bzw.
Was erklärt ggf. sonst die hohe Diskrepanz in den Zahlen von Tabelle 3 und Seite 17/18?
Was erklärt die starke Veränderung in der Relation der beiden Zahlen von Wochenbericht zu Wochenbericht.
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Sehr geehrter Herr Dr. Häring
bei den IfSG-Meldedaten und den Daten aus dem Intensivregister handelt es sich um unterschiedliche Datenquellen und Erfassungsmethoden, daher lassen sich die Daten nicht direkt miteinander vergleichen.
Die IfSG-Meldedaten zur Hospitalisierung werden im Wochenbericht dem Meldedatum zugeordnet, das ist der Tag, an dem das Gesundheitsamt einen laborbestätigten Fall erstmals erfasst; zwischen Meldedatum, Hospitalisierung und Übermittlung kann unterschiedlich viel Zeit vergehen, insbesondere für die jüngste Meldewoche ist auch mit Nachübermittlungen zu rechnen (in den Diagrammen erkennbar am grau unterlegten Bereich; siehe auch die Erläuterungen zur Hospitalisierungsinzidenz sowie zu Fallzahlen und Meldeweg unter www.rki.de/covid-19-faq).
Das Intensivregister erfasst dagegen in Echtzeit die Fallzahlen intensivmedizinisch behandelter COVID-19-Patientinnen und -Patienten sowie intensivmedizinische Behandlungs- und Bettenkapazitäten von etwa 1.300 Akut-Krankenhäusern Deutschlands. Es gilt zu unterscheiden, dass im Intensivregister erstens die aktuelle Belegungszahl durch COVID-Patienten auf ITS erfasst wird. Zweitens wird die Anzahl der Neuaufnahmen innerhalb des gestrigen Kalendertages abgefragt. Im Tagesreport werden beide Zahlen berichtet: „COVID-Fälle aktuell in intensivmedizinischer Behandlung“ sowie „Neuaufnahmen (Erstaufnahmen auf ITS)“. Ein Vergleich der Belegungszahlen des Intensivregisters mit den IfSG-Meldedaten aus dem Wochenbericht ist daher nicht möglich.
Bei der Analyse der IfSG-Meldedaten zu Impfdurchbrüchen schließen wir zudem NUR nach IfSG übermittelte COVID-19-Fälle ein, für welche zu „Klinische Information vorhanden“ ein „Ja“ UND zu „Intensivstation“ ein „Ja“ angegeben wurde UND bei denen der Impfstatus bekannt ist. Wir schließen NICHT alle ITS-Fälle ein. Es geht in der Impfdurchbrüche-Tabelle vor allem darum, die Wirksamkeit der Impfungen zu schätzen und nicht darum, die Fallzahlen zu berichten (das tun wir im Wochenbericht ja an anderer Stelle und unter www.rki.de/covid-19 > Daten zum Download).
Im Wochenbericht vom 10.2.2022 heißt es: „Für den in Abbildung 19 dargestellten Zeitraum lagen für 1866.612 der 2.315.886 (81 %) übermittelten symptomatischen COVID-19-Fälle bzw. für 83.491 der 133.966 (62 %) übermittelten hospitalisierten COVID-19-Fälle ausreichende Angaben zum Impfstatus vor.“ Dem RKI soll der Impfstatus grundsätzlich bei jeder Infektion mitgeteilt werden. Wenn der Impfstatus nicht bekannt ist, kann das daran liegen, dass die Klinik den Impfstatus nicht klären konnte (z.B. wenn jemand nicht mehr ansprechbar ist und keine Angehörigen hat), oder der Impfstatus konnte wegen Überlastung nicht ans Gesundheitsamt gemeldet bzw. vom Gesundheitsamt ans RKI übermittelt werden.
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Sehr geehrte Frau …,
herzlichen Dank für die schnelle Antwort. Leider beantwortet Sie meine Frage nicht.
Wie in meiner Anfrage erläutert, stelle ich die Zahlen gegenüber, die nach Benennung durch das RKI im Wochenbericht das Gleiche bezeichnen (Impfstatus bekannt und entweder vollständig geimpft oder ungeimpft, und Intensivpatient). Auch wenn die Datenquellen unterschiedlich sind, sollte doch die Größenordnung übereinstimmen. Andernfalls wäre anzunehmen, dass eine der beiden Datenquellen nichts taugt, und damit auch die daraus abgeleitete Schlussfolgerungen, z.B. Impfeffektivität, nichts taugen.
Deshalb würde ich gerne die Frage wiederholen, was konkret bei diesen gegenübergestellten Zahlen die Diskrepanz erklärt.
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Sehr geehrter Herr Dr. Häring,
Ihre Schlussfolgerung ist nicht zutreffend und Ihre Frage haben wir bereits umfassend beantwortet.