Welche Agenda der frühere mexikanische Notenbankchef und heutige Generalsekretär der BIZ, Augustin Carstens, verfolgt, sieht man am besten an folgendem Zitat aus dem Jahr 2020:
„Wir wissen beim Bargeld nicht, wer heute eine 100-Dollar-Note nutzt, oder einen 1000-Peso-Schein. Ein entscheidender Unterschied zum CBDC [digitalen Zentralbankgeld, N.H.] ist, dass die Zentralbanken absolute Kontrolle über die Regeln und Regulierungen haben werden, die die Nutzung [des digitalen Zentralbankgelds] regeln. Und wir werden auch die Technologie haben, das durchzusetzen. Diese beiden Aspekte sind sehr wichtig und machen einen riesigen Unterschied gegenüber dem Bargeld aus.“
Er sagte im weiteren Verlauf auch noch, dass niemand das digitale Zentralbankgeld nutzen könne, dem die Zentralbank das nicht gestatten möchte. Es gibt auch eine Rede von Carstens aus dem Jahr 2019, in der er sagt, dass man in seinem Szenario mit digitalem Zentralbankgeld die Option des Barzahlens nicht mehr haben würde. Man kann vieles gegen ihn sagen oder haben, aber er ist offener und ehrlicher als andere.
Im Jahr 2020 hatte er auch ein Papier in Auftrag gegeben, basierend auf Gesprächen mit Nandan Nilekani, dem Internet-Unternehmer und Architekten der biometrischen Mega-Regierungsdatenbank aller Indischen Bürger, Aadhaar. Darin wurde dieser Horror aller ernthaften Datenschützer wärmstens zur Nachahmung empfohlen.
Nun hat die BIZ wieder so eine Studie veröffentlicht, in der sich die Verfasser als erstes für „das Prägen unseres Denkens“ (imprint on our thinking) bei Carstens und Nilekani bedanken, daneben für den Input der Schwedischen Reichsbank, der Notenbank, die mit der Bargeldbeseitigung schon am weitesten gediehen ist. Die Studie heißt: „Virtual banking and beyond“ (Virtuelles Bankgeschäft und was danach kommt).
Gläserne Bürger bekommen leichter Kredit
In der Studie wird als vorbildlich beschrieben, wie neue Marktteilnehmer am Kreditmarkt in Asien Social-Media-Plattformen nutzen und „fortschrittliche Datenanalysen“ anwenden. Der große Vorteil sei die finanzielle Inklusion, die darin besteht, dass (meistens ärmere) Menschen und kleine Unternehmen Kredit erhalten, die ihn vorher nicht so leicht bekamen. Hauptgrund für die bisherige Kreditzurückhaltung ist, dass diese Gruppen wenige oder keine Sicherheiten bieten können.
Die fehlenden Sicherheiten können dadurch ersetzt werden, dass die potentiellen Kreditgeber möglichst viel Informationen über die potentiellen Kreditkunden bekommen – indem letztere also möglichst gläsern werden. Die Beispiele, die die BIZ wählt, sind in dieser Hinsicht mehr als verräterisch.
Es ist einerseits WeBank, eine sehr große Online-Bank mit dem Internet-Giganten Tencent als größtem Anteilseigner und der Sozialen Medienplattform WeChat von Tencent als Kooperationspartner. Übertragen auf den Westen kann man sich das etwa so vorstellen, wie wenn Google und Facebook fusionieren und über die Google-Facebook-Plattform massenhaft Daten über fast alle Menschen und Unternehmen sammeln würden, die sie dann einer eigenen Online-Bank zur Verfügung stellen, damit diese damit Kreditentscheidungen treffen kann.
Tencent und WeChat sind intensiv in die Bemühungen der chinesischen Regierung eingebunden, ein Sozialkreditsystem zu schaffen, bei dem Bürger anhand einer Vielzahl von über sie gesammelten Informationen nach ihrer Vertrauenswürdigkeit und (ideologischen) Verlässlichkeit bewertet werden, wobei eine hohe Einstufung mit vielerlei Vorteilen und eine niedrige mit teils erheblichen Nachteilen verbunden ist.
Fast unnötig zu erwähnen, dass das Sozialkreditsystem von der BIZ nicht erwähnt wird. Auch WeChat und Tencent werden nur sehr kurz bzw. in einer Fußnote erwähnt.
Das zweite Beispiel ist Hongkong, eine chinesische Sonderverwaltungszone mit rapide abnehmender politischer Eigenständigkeit und starkem Überwachungsdruck auf Unbequeme. Hongkong biete ein Beispiel für einen integrierten Rechtsrahmen für virtuelle Banken.
Lippenbekenntnisse zum Datenschutz
Die BIZ vergisst nicht, hier und da mit einem kurzen Absatz zu erwähnen, dass der Datenschutz ein Problem (pardon: eine Herausforderung) sein könnte. Aber Konsequenzen für die fast euphorische Einschätzung des virtuellen Bankings mit den gläsernen Bürgern hat das nirgends – auch nicht bei den Musterbeispielen WeBank und Hongkong.
Zu dem gepriesenen Rechtsrahmen in Hongkong heißt es in der Zusammenfassung schlicht:
„Wie der Rahmen mit Daten umgeht, befindet sich noch im Anfangsstadium der Entwicklung.“
Die zuständige Hong Kong Monetary Authority (HKMA) habe aber Maßnahmen in Kraft gesetzt, um den Konsumentenschutz bei dieser Form des Banking zu verbessern. Folgt man allerdings den angebotenen Fußnoten zu den verlinkten Dokumenten, findet man dort nichts als völlig unverbindliche Floskeln. Das hat für die BIZ auch seine Richtigkeit, denn:
„Die Prinzipien [der Regulierung in Hongkong; N.H.] sind absichtsvoll auf hoher Ebene angesiedelt, denn die HKMA ist sich bewusst, dass übermäßig konkrete oder rigide Vorschriften die weitere Entwicklung der auf künstliche Intelligenz setzenden Technolgien behinder könnte.“
Viel deutlicher kann man nicht sagen, dass Datenschutz und Schutz der Konsumenten vor diskriminierender künstlicher Intelligenz nur Lippenbekenntnisse sind, die nur gelten, solange sie problemlos umzusetzen sind – was so gut wie nie der Fall ist.
Was das Diskriminierungspotential von künstlicher Intelligenz angeht, wird das sogar ziemlich offen zugegeben.
Um klar zu machen, worum es geht: Wenn aus irgendwelchen Gründen Frauen oder dunkelhäutige Menschen häufiger ihre Kredite nicht zurückzahlen können, wird die künstliche Intelligenz das als Faktor berücksichtigen und dafür sorgen, dass diese Gruppen weniger leicht und zu höheren Zinsen an Kredit kommen.
Es hilft nichts, zu verbieten, solche Kriterien einfließen zu lassen. Dann berücksichtigt die künstliche Intelligenz zwar nicht mehr Geschlecht und Hautfarbe, aber ein paar Dutzend Kriterien, die Geschlecht und Hautfarbe zu über 90 Prozent prognostizieren.
Da diese Programme selbstlernend sind, kann nach einer Weile kein Mensch mehr kontrollieren, wie sie zu ihren Ergebnissen kommen, nur noch ob die Ergebnisse finanziell gesehen gut sind. Lukrative Diskriminierung lässt sich also nicht vermeiden und soll wohl auch nicht ernsthaft vermieden werden.
Dateneigentum als billige Ausflucht
Das Wenige, was die BIZ zum Datenschutz zu sagen hat, der angeblich wichtig aber noch in den Anfängen sei – aber hei, deswegen kann man so etwas Wichtiges wie viertuelles Banking nicht aufhalten – verheißt die Rettung irgendwann durch das Konzept des Dateneigentums, auch wenn es nicht explizit so genannt wird. Dabei wird sichergestellt, dass alle von Fall zu Fall entscheiden dürfen, welche Daten sie wem gegenüber offenbaren.
Irgendwie wird dann auch von irgendwem hoffentlich sichergestellt werden, dass all diese im Lauf der Jahrzehnte freigegebenen Daten wieder gelöscht werden, sobald sie nicht mehr gebraucht werden, und dass sie für nichts anderes genutzt werden, als für den Zweck der Freigabe.
Ein O-Ton gibt ein Gefühl dafür, wie treudoof-naiv die BIZ argumentiert:
„Selbst bei den am besten konzipierten Systemen ist die Gewährleistung der Nutzungsbeschränkung eine Herausforderung, da sie mit der derzeit verfügbaren Technologie nur schwer durchzusetzen ist. Die Fortschritte in der Technologie bieten jedoch Möglichkeiten für eine Lösung zur Gewährleistung der Nutzungsbeschränkung. Die Verwendung einer vertraulichen Datenverarbeitungsumgebung wird es dem Datennutzer ermöglichen, die Daten zu verarbeiten und die Ergebnisse der Analyse zu extrahieren, aber nicht auf die Daten mit personenbezogenen Informationen zuzugreifen.“
Es wäre etwas ganz Neues, wenn die Mächtigen Technologien entwickeln und einsetzen würden, um die eigene Macht zu begrenzen, und nicht, um sie zu mehren.
Überhaupt ist das mit Händen zu greifende Machtgefälle zwischen den angeblichen Datenbesitzern und denen, die ihre Daten haben wollen, für die BIZ ein Tabuthema, wie für alle Propagandisten des Dateneigentums.
Wie hart werden Sie wohl die Datenfreigabe auf das Wesentliche begrenzen können, wenn der Einreisebeamte gerne alles über Sie wissen möchte, oder wenn das Finanzamt Sie um Ihre Kooperation bittet (und im anderen Fall eine Steuerprüfung droht), oder wenn Sie nur einen Mobiltelefonvertrag abschließen wollen und alle Anbieter sehr viele (Finanz-)Daten von Ihnen haben wollen? Von den Banken und Fintechs ganz zu schweigen. Deren von der BIZ beworbenes Virtual-Banking-Konzept beruht ja darauf, möglichst viel über die Kunden zu wissen. Werden Sie notfalls lieber auf ein Bankkonto verzichten, als dem Begehren der Banken und Fintechs auf umfangreiche Datenfreigabe nachzugeben?
Mit Schufa-Daten zum datengetriebenen Banking
Das Ergebnis eines Bieterkampfs um die Schufa, des führenden deutschen Anbieters von Kreditwürdigkeitsdaten, wird mitentscheiden darüber, wie bald die dort gesammelten Milliarden Daten von rund 70 Mio. Deutschen Teil des datengetriebenen virtuellen Banking werden, für das die BIZ unter Carstens so engagiert wirbt.
Bisher gehören die Anteile der Schufa unter anderem Handelsunternehmen, Banken wie der Deutschen Bank und der Société Générale sowie Sparkassen und mehreren Genossenschaftsbanken. Die Société Générale hat ihren zehnprozentigen Anteil zum Kauf angeboten. Der schwedische Finanzinvestor EQT Private Equity will kaufen und hat beim Bundeskartellamt seine Absicht angemeldet, die Schufa komplett übernehmen zu wollen. Sparkassen und Genossenschaftsbanken wollen das verhindern und bieten mit.
Die Süddeutsche berichtet von teils vertraulichen Unterlagen, in denen EQT davon spricht, die Schufa zu einem „deutsch-europäischen Champion“ machen zu wollen, der die angelsächsische Dominanz im Bereich der Datenwirtschaft aushebeln soll. Im Vordergrund stehen Rendite, Wertsteigerungsstrategien, höhere Gewinnmargen. Es geht um datengetriebene Geschäftsmodelle.
Forschungsministerium denkt über Sozialkreditsystem nach
Im Auftrag der damaligen Bundesforschungsministerin Anja Karliczek hat sich 2021 eine Arbeitsgruppe im Ministerium mit möglichen Zukunftsszenarien befasst. Eines davon ist ein Sozialkredit- bzw. Bonussystem, wie es in China in der Anwendung und Weiterentwicklung ist. Was wäre, wenn ein solches System auch in der Bundesrepublik eingesetzt würde?
Zukunftskreis-Mitglied Karim Fathi erläuterte laut Heise.online, im „Plattform-Punkte-Kapitalismus“ würde die Punktevergabe nicht nur durch den Staat erfolgen, sondern in Freizeit oder Betrieb durch Vermieter oder Vorgesetzte. Folge des Szenarios sei „eine transparent einsehbare und unternehmensübergreifend vereinheitlichende Bewertungsgrundlage“. In der Arbeitswelt könne so Künstliche Intelligenz „immer komplexere Auswertungs- und Entscheidungsfunktionen, auch auf Grundlage des Punktesystems“ übernehmen. Mit Personalbewertung befasste Technik könne für Unternehmen sämtliche Daten in einer Art „Reputationsscore“ zusammenführen. Das System solle auf Freiwilligkeit beruhen, so Fathi, was natürlich albern ist. Bestenfalls wird das eine Scheinfreiwilligkeit nach dem Cookie-Banner-Prinzip: Willige ein oder Du bekommst nichts (zu sehen).
Übersteigerte Inklusionsversprechen
Wenn das Versprechen der finanziellen Inklusion wenigstens ehrlich gemeint und kraftvoll wäre, könnte man ja immerhin darüber diskutieren, welche Risiken in Sachen gläserne Bürger man dafür in Kauf nehmen mag. Aber so ist es leider nicht, wie man an der Beschreibung des Hongkonger Vorbilds gut sehen kann.
Die per virtuellem Banking ausgereichten Kredite sind sehr klein und haben kurze Laufzeiten. Das hat wenig mit der Vorstellung zu tun, dass durch virtuelles Banking der Zugang zu Kapital demokratisiert wird und dadurch auch Newcomer-Unternehmen stark wachsen und Privatleute in ihre eigene Zukunft investieren und dadurch erfolgreich werden können. Bei allem Nutzen, den Konsumentenkredite und Betriebsmittelkredite für Privatleute und Kleinunternehmen im Einzelfall stiften können, transformative Qualität haben sie nicht.
Vollends fragwürdig wird das Ganze, wenn – zum Wohlgefallen der BIZ – die Virtual-Banking-Unternehmen die sozialen Medien intensiv nutzen, um ihre Kredite in den Konsumentenmarkt zu drücken. Dass dabei viele Leute verleitet werden, Kredite aufzunehmen, die sie sich nicht leisten können, und dadurch weiter verarmen, ist jedem mit etwas Skepsis ausgestatteten Menschen offensichtlich
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