Das Robert-Koch-Institut (RKI) nutzt die Farrington-Formel, um die Impfeffektivität zu berechnen. Das ist, wie ich beschrieben habe, problematisch, wenn die behandelten und nicht behandelten Gruppen unterschiedlich groß sind. Ist die geimpfte Gruppe deutlich größer, wird die Effektivität tendenziell zu hoch ausgewiesen.
Aber tun wir mal die Verzerrung beiseite und schauen genauer darauf, was die Impfeffektivität eigentlich aussagt. Mit der Formel von Farrington wird die durch Impfung bewirkte relative Risikoreduktion (RRR) einer Erkrankung, einer Krankenhaus- oder Intensivbehandlung, oder des Sterbens gemessen.
Uns wird ganz überwiegend nur diese relative Risikoreduktion präsentiert, weil sie oft so schön hoch ist. Um die 95 Prozent waren es angeblich bei den ersten Wirksamkeitsstudien, auf deren Basis die Impfstoffe zugelassen wurden.
Was meistens weggelassen wird, ist die sehr viel weniger eindrucksvolle absolute Risikominderung. Sie berücksichtigt, dass auch von den nicht Geimpften nur eine Minderheit krank wird und nur eine kleine Minderheit ins Krankenhaus oder auf die Intensivstation muss oder stirbt. Lose gesprochen: Falls ohnehin sehr wenige Menschen von einer Infektionskrankheit erfasst werden, lohnt sich das Impfen eventuell nicht, auch wenn die Impfung gut wirkt.
Dazu ein hypothetisches Beispiel: Wenn von den nicht Geimpften einer von Hundert, von den Geimpften nur einer von Tausend erkranken, ist die Impfeffektivität gemessen an der relativen Risikoreduktion 90%. Von 1000 erkranken 10 nicht Geimpfte aber nur ein Geimpfter. Die absolute Risikoreduktion beträgt dagegen nur knapp 1%. Für 99% der Geimpften gilt: sie haben keinen (erwarteten) Nutzen durch die Impfung. Wenn in nennenswertem Maße Impfschäden zu befürchten sind, ist die Impfung sehr schnell grob ineffektiv.
Deshalb ist bei klinischen Wirksamkeitsstudien zwingend vorgeschrieben, auch die absolute Risikoreduktion anzugeben, sowie deren Kehrwert, die Mindestanzahl der zu impfenden Personen, um (statistisch) einen Fall zu vermeiden. Im obigen Beispiel wären das etwa 100.
Korrekturhinweis zum Folgenden (23.12.): In der nachfolgenden Gegenüberstellung von relativer und absoluter Risikoreduktion ist uns ein Denkfehler unterlaufen. Die relative Risikoreduktion ist im Prinzip unabhängig von der Länge des untersuchten Zeitraums. Verlängert man den Zeitraum, stecken sich mehr Geimpfte und mehr nicht Geimpfte an. Das gleicht sich bei stabilem Infektionsgeschehen aus. Bei der absoluten Risikoreduktion ist das anders. Denn der absolute Abstand zwischen den beiden Raten wird immer größer. Die Berechnung der absoluten Risikoreduktion mit Daten aus dem RKI-Wochenbericht ist zwar korrekt. Nicht sachgerecht ist es allerdings, diese absolute Risikoreduktion einem möglichen Impfrisiko gegenüberzustellen. Dafür müsste die absolute Risikoreduktion über den gesamten Zeitraum der Wirksamkeit einer Impfung berechnet werden. Die Daten dafür stehen uns nicht zur Verfügung. Der Wert wird allerdings um ein Vielfaches größer sein als die im Folgenden ausgewiesene absolute Risikoreduktion.
Das Beispiel der über 60-Jährigen
Manfred Neumüller hat dankenswerter Weise die absolute und relative Risikoreduktion mit den offiziellen Daten errechnet und gegenübergestellt.
Für die über 60-Jährigen beträgt die relative Reduktion des Risikos, auf der Intensivstation zu landen, durch die Impfung eindrucksvolle 90,5%. Das resultiert daraus, dass von den Geimpften nur 2 von 100.000 auf die Intensivstation kommen (0.002%), bei den nicht Geimpften 24 von 100.000.
Nun zur absoluten Risikoreduktion. Sie beträgt bescheidene 0,022 Prozentpunkte. Anders herum ausgedrückt: Um einen Intensivpatienten aufgrund von Corona zu vermeiden, muss man etwa 4600 Menschen impfen.
Um einen Krankenhausfall aufgrund von Corona in dieser Altersgruppe zu vermeiden, muss man etwas über 1000 Menschen impfen.
Die Altersgruppe der 18–59-Jährigen
Für die 18–59-Jährigen beträgt die relative Reduktion des Risikos, auf der Intensivstation zu landen, durch die Impfung 93,6%.
Die absolute Risikoreduktion beträgt fast homöopathische 0.004 Prozentpunkte. Anders herum ausgedrückt: Um einen Intensivpatienten aufgrund von Corona zu vermeiden, muss man etwa 22.000 Menschen impfen.
Um einen Krankenhausfall zu vermeiden, muss man knapp 4100 Menschen impfen.
Die Altersgruppe der 12–17-Jährigen
Für die 12–17-Jährigen lässt sich eine Impfeffektivität in Bezug auf Intensiv-Fälle nicht einmal sinnvoll berechnen, weil nur ein halbes Dutzend Jugendliche auf Intensivstationen liegt.
In Bezug auf Hospitalisierungen beträgt die relative Risikoreduktion 83,7%.
Die absolute Risikoreduktion beträgt schmächtige 0,006 Prozentpunkte. Um einen Krankenhausfall aufgrund von Corona zu vermeiden, muss man etwa 17.400 Jugendliche impfen,
Die Gegenseite ist das Impfrisiko
Ich will mich hier nicht tiefer in das sehr weite Feld des tatsächlichen Impfrisikos begeben. Es fehlt an einer systematischen Erfassung und immer wieder gibt es Indizien, dass die regierungsseitige Kommunikation zumindest einseitig ist.
Was die 12–17-Jährigen angeht, so müsste man für eine Massenimpfung zuversichtlich sein, dass bei 17.400 Geimpften kein einziger Impfschaden auftritt, der in seiner Schwere einem durchschnittlichen Krankenhausaufenthalt wegen Corona plus etwaiger Folgeschäden entspricht. Das erscheint in Anbetracht der eingeschränkten Datenlage mindestens sehr optimistisch.
In der Altersgruppe der 18–59-Jährigen müsste man zuversichtlich sein, dass bei 20.000 Impfungen weniger als ein Impfschaden auftritt, der einer Intensivbehandlung wegen Corona (plus etwaiger Nachwirkungen) entspricht und weniger als vier Impfschäden auftreten, die einem Krankenhausaufenthalt wegen Corona entsprechen.
Bei den über 60-Jährigen ist das Verhältnis deutlich günstiger.
Datenquellen: Statista 2020 (Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland zum 31. Dezember 2020)
RKI Wochenbericht vom 9.12.2021 (Inwieweit die Zahlen valide sind, wissen wir nicht)