Die zunehmende Ungleichheit in den Industrieländern lässt sich auch in der Lohnquote wiederfinden. In den letzten Jahrzehnten ist der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen gefallen. Dementsprechend stieg der Anteil der Kapitalerträge. Bekannte US-Ökonomen haben einen bisher vernachlässigten Grund hierfür ausgemacht.
Auch millionenschwere CEO-Gehälter sind Teil der gesunkenen Lohnquote. Die Kapitaleinkünfte sind aber trotzdem deutlich stärker bei den oberen zehn Prozent und dem oberen Prozent konzentriert als die Lohneinkommen. Das bedeutet: Eine niedrige Lohnquote verschärft die Ungleichheit. Es gibt verschiedene Erklärungsversuche, für die gesunkene Lohnquote. Da sind die Liberalisierung der Arbeitsmarktregeln und die Entmachtung der Gewerkschaften in vielen Ländern. Auch zunehmende Konkurrenz durch Importe aus China und anderen Schwellenländern sowie zunehmendes Outsourcing von Produktion wurden als Gründe ins Feld geführt. Konsens darüber, wie durchschlagend diese Erklärungen im Einzelnen sind, gibt es bisher nicht.
Ein prominent besetztes Forscherteam aus den USA und der Schweiz hat nun starke empirische Belege für eine weitere These vorgelegt. Sie lautet: Die zunehmende Marktmacht weniger Superstarunternehmen führt zu steigenden monopolistischen Gewinnen und lässt im Gegenzug den Anteil der Arbeitnehmer an der Wertschöpfung sinken. Die Ökonomen David Autor, Christina Patterson und John Van Reenen vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), Lawrence Katz von der Harvard-Universität und David Dorn von der Universität Zürich stellen fest, dass es in den meisten Wirtschaftszweigen zu einer Konzentration der Umsatzanteile an der Spitze gekommen ist. Ihre Studie „The Fall of the Labor Share and the Rise of Superstar Firms“ erschien in aktuellster Fassung im Juni als MIT-Arbeitspapier. Wenige große Unternehmen ziehen danach immer größere Marktanteile auf sich. Je größer die Marktkonzentration, desto stärker ist der Rückgang der Lohnquoten in den betreffenden Wirtschaftszweigen, stellen sie fest. Dabei geht dieser Rückgang nicht so sehr darauf zurück, dass die einzelnen Unternehmen in der Breite relativ zu den Lohnzahlungen mehr Gewinn machen, sondern vor allem darauf, dass die Unternehmen mit ohnehin geringen Lohnquoten wachsen und diejenigen mit höherer Lohnquote an Bedeutung verlieren.
Bei den Ordoliberalen wie Walter Eucken hieß dieser Prozess Vermachtung. Ihm war vom Staat unbedingt zu begegnen, um einen funktionsfähigen Wettbewerb aufrecht zu erhalten. Auch in den USA sah man das, inspiriert von Wettbewerbsökonomen der Harvard Universität, lange so. So lange, bis irgendwann die marktradikale „Chicago Schule“ die Oberhand gewann, die Marktmacht tendenziell für unproblematisch hält, weil sie auf größere Effizienz der Sieger zurückgehe und angeblich durch potentielle Konkurrenz von potentiellen Newcomern in Schach gehalten wird. Inzwischen hat die „Chicago Schule“ auch in Deutschland obsiegt. Dazu in einigen Wochen wahrscheinlich mehr.
Digitalisierung verstärkt den Trend zur Marktdominanz
Die Entwicklung zu einer digitalen Wirtschaft bewirkt, dass die Chancen zur Errichtung einer globalen Marktdominanz immer besser werden, was Gewinne in vorher nie da gewesenem Ausmaß ermöglicht“, bestätigt der Schweizer Ökonom Matthias Binswanger diese Analyse in einem Gastbeitrag in Die Zeit. Exorbitante 335 000 Dollar je Mitarbeiter betrage der Gewinn von Google. Es trete damit auf Dauer das Gegenteil dessen ein, was man in naiver Betrachtung vermuten könnte, dass nämlich zunehmende Markttransparenz durch das Internet den Wettbewerb intensivieren würde. Das mag zwar am Anfang so sein, aber wenn es einmal einen oder wenige führende Anbieter in einem Markt gibt, dann ändert es sich. Netzwerkeffekte und ausgeprägte Effizienzvorteile der Massenproduktion lassen den Wettbewerbsdruck für den führenden Anbieter immer schwächer werden.
Der Begriff Netzwerkeffekte beschreibt, dass ein Produkt für die Nutzer umso wertvoller wird, je mehr Abnehmer es hat. Das ist zum Beispiel bei vielen Softwareprodukten der Fall, bei denen die Nutzer Austausch mit anderen Nutzern pflegen. Je mehr die gleiche Software nutzen, desto einfacher ist dieser Austausch. Wenn ein Anbieter eine führende Position errungen hat, dann kann er seine Position weiter ausbauen und gleichzeitig seine Gewinnspanne erhöhen, weil die Kunden das dominierende Produkt auch zu höheren Preisen denen der Konkurrenz vorziehen.
Oft kommen Vorteile der Massenproduktion, sogenannte Economies of Scale, hinzu. Wenn eine Software erst einmal entwickelt ist, kann man sie fast kostenlos vervielfältigen. Der Marktführer kann also bei steigendem Marktanteil Umsatz und Gewinn kräftig steigern, ohne in größerem Umfang zusätzliche Löhne zahlen zu müssen.
Beide Phänomene werden in der heutigen zunehmend digitalisierten und globalisierten Wirtschaft immer wichtiger. So erklären sich die exorbitanten Gewinnspannen von Firmen wie Microsoft, Apple, Facebook und Google.
Hoher Gewinn = niedrige Lohnquote
Die hohen Gewinne je Arbeitsplatz bedeuten eine niedrige Lohnquote. Das gilt zunächst für das betreffende Unternehmen. Wenn dieses das Feld dominiert, gilt das auch für die ganze Branche. David Autor und seine Koautoren drücken das so aus:
Wenn Superstar-Firmen in vielen verschiedenen Branchen Marktanteile gewinnen, dann sinkt die gesamtwirtschaftliche Lohnquote.
Sie halten in diesem Zusammenhang auch die Erklärungshypothese mit dem zunehmenden Outsourcing und der abnehmenden Gewerkschaftsmacht für einschlägig, ohne dem allerdings eine eigene empirische Untersuchung gewidmet zu haben.
Traditionell ist es so, dass Branchen und Unternehmen mit hohen Gewinnen je Arbeitnehmer auch besonders hohe Löhne zahlen. Das wirkt dem Absinken der Lohnquote in diesen Branchen und Unternehmen entgegen. Weil die Unternehmen aber zunehmend die eher arbeitsintensiven Tätigkeiten an Zulieferer auslagerten, Zeitarbeitsfirmen nutzten oder Werkverträge mit Selbstständigen abschlössen, schafften sie es, den früher üblichen Lohnauftrieb auf eine relativ kleine Kernbelegschaft zu begrenzen.
Dass es vor allem erfolgreiches Lobbying der Branchenführer ist, mit dem sie ihre marktbeherrschende Stellung bewahren und ausbauen, kann das Ökonomenteam weitgehend ausschließen. Denn anhand der Patente stellen sie fest, dass die Branchen mit den stärksten Konzentrationstendenzen auch die innovationsstärksten zu sein scheinen. Uneingeschränkt positiv wollen sie das allerdings auch nicht werten: „Man könnte auch die Sorge haben, dass diese Patente dazu dienen, Innovation zu hemmen und Monopole abzusichern“, geben sie zu bedenken.
Die Diskussion um die zunehmende Einkommenskonzentration wird durch diese Studie um eine wichtige Facette reicher. Sie wirft die Frage auf, welche Rolle die Marktstruktur spielt und auf welche Weise der Staat in diese lenkend eingreifen kann und sollte, um eine weniger ungleiche Verteilung zu erreichen.
[27.7.2017]