Zwei Mitglieder des Forschungsnetzwerks zur Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Zentralbank haben in der Arbeitspapier-Reihe der EZB eine Studie veröffentlicht, die es in sich hat. Sie zeigt, dass die Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit durch steigende Arbeitskosten nicht Ursache der zunehmenden Defizite der heutigen Euro-Krisenländer im Außenhandel war. Das wollen uns diejenigen glauben machen, die für die europäische Krisenstrategie verantwortlich sind, eine Strategie, die einseitig auf
die „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“ in allen Mitgliedsländern setzt. Hubert Gabrisch vom Wirtschaftsforschungsinstitut IWH und Karsten Staehr von des estischen Zentralbank stellen dagegen fest, dass zwischen 1995 und 2012 die vorangegangenen Änderungen des Außenhandelssaldos die nachfolgende Entwicklung der Arbeitskosten bestimmten, aber nicht umgekehrt. Es gab also keinen systematischen Einfluss der Entwicklung der Arbeitskosten auf die nachfolgende Entwicklung des Handelssaldos.
Das lässt sich auch leicht erklären. Gerade wenn ein Land, wie damals Irland und Spanien als wirtschaftspolitisch sehr erfolgreich gilt, zieht es viel ausländisches Kapital an. Deutsche und französische Banken legten vor der Krise jedes Jahr hohe Milliardensummen dort an oder vergaben Kredite. Das führte dann zu einem Immobilienboom und entsprechend hohe Bautätigkeit, was die Lohnsumme im Baugewerbe nach oben trieb. Bemerkenswerter Weise war die Lohnentwicklung in der spanischen Industrie nicht von starken Lohnzuwächsen geprägt.
Von den Verantwortlichen, darunter in vorderster Front die EZB kümmerte sich niemand um die überbordende Kreditvergabe an Europas Süden. Nun sollen die Arbeitnehmer in den Krisenländern mit sinkenden Löhnenden den Karren aus dem Dreck ziehen. Das Problem nur, wie die Forscher feststellen, und wie jeder mit Blick auf die wirtschaftliche Lage Spaniens leicht sehen kann: es funktioniert nicht. Die Probleme dort sind Kreditklemme und mangelnde Nachfrage.
Zu meinem entsprechenden Hinweis im Handelsblatt schrieb mir ein Leser: „Sie schreiben dass das Problem in Griechenland u.a. mangelnde Nachfrage sei. Gesichert dürfte aber sein, dass Griechenland im Vergleich zu anderen Ländern (zu Türkei 60%) viel zu teure Produkte anbietet. Wer soll diese Produkte zu heutigen Preisen kaufen. Auch wenn die Nachfrage anziehen sollte, greift man doch auf vergleichbare, aber billigere Produkte zurück“
Er hat natürlich Recht. Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit ist ein Problem. Wer Produkte produziert, die zwar teurer sind als andere, aber nicht besser, der hat ein Absatzproblem. Aber das heißt einerseits nicht, dass die Nachfrageseite gänzlich unwichtig würde. Und es heißt vor allem nicht, dass mangelnde Wettbewerbsfähigkeit wegen zu hoher Löhne Ursache der Probleme und der richtige Ansatzpunkt für die Lösung sind. Wenn Kapitalfehllenkung in unproduktive Verwendungen, wie exzessiven Bau, die Löhne in den entsprechenden Wirtschaftsbereichen nach oben getrieben hat, dann ist es keine Lösung, die Löhne in der gesamten Wirtschaft zu senken. Sonst wird der Nachfragerückgang aus dem unvermeidlichen Schrumpfen der aufgeblähten Sektoren nur noch verstärkt und die produktiven Investitionen nur noch weiter gedrückt.
Auch wenn sich ein Wohlstandsrückgang vielleicht nicht vermeiden lässt, so muss eine ursachenadäquate Therapie doch die Investitionen in mehr und bessere Produktionsanlagen im Blick behalten und fördern, anstatt einfach die Verarmung zur Kur zu erklären. Die Kreditklemme in den Krisenstaaten einfach hinzunehmen käme dann nicht in Frage.
Wie absichtsvoll blind die wirtschaftspolitisch Verantwortlichen gerade in Deutschland gegenüber solchen Problemen sind, zeigt eine Rede von Bundesbankpräsident Jens Weidmann von Dienstag in Kiel. „Produktionsfaktoren werden in Wirtschaftszweige mit einer starken Exportorientierung umgeleitet“ versucht er die Schrumpfkur in den Krisenländern schönzufärben. Er beschreibt, wie stark die Baubranche in Irland, Spanien und Portugal geschrumpft sei, während in der Industrie deutlich weniger Stellen gestrichen worden seien. Wenn die Industrie weniger stark schrumpf als der Bau, dann ist das also eine Umlenkung von Produktionsfaktoren in produktivere Verwendungen. Herr Weidmann, das ist unter ihrem intellektuellen Niveau, und hoffentlich auch unter dem ihrer Zuhörer!
Etwas Ähnliches versucht er in Sachen Kreditklemme. Spanische Industrieunternehmen, die sich auf den Export konzentrieren, bekommen noch Kredit, stellt er fest, so als ob es dadurch unwichtig würde, dass die meisten Industriebetriebe auf den schrumpfenden Binnenmarkt angewiesen sind und mangels Absatzperspektiven keinen Kredit bekommen und nicht investieren.
Wenn wirtschaftspolitisch Verantwortliche zu solch absurder Gedankenakrobatik Zuflucht nehmen, dann ist etwas sehr faul mit ihrer Politik.