Die Ökonomenvereinigung VfS als Werbeplattform der FDP und der Arbeitgeberverbände

Der Verein für Socialpolitik (VfS) ist die wichtigste Ökonomenvereinigung im deutschsprachigen Raum. Sie hat einen Ethik-Kodex. Sie hat auch eine Vereinszeitschrift für Wirtschaftspolitik. Und diese hat (noch) einen Herausgeber, dem dieser Ethikkodex erklärtenmaßen schnuppe ist. Seit Jahren missbraucht der Politiker die Vereinszeitschrift zur Werbung für seine Partei und für wirtschaftspolitische Forderungen der Arbeitgeber.

In den aktuellen „Perspektiven der Wirtschaftspolitik“ (PWP), der Vereinszeitschrift des traditionsreichen Ökonomenverbands, findet sich ein extralanger Beitrag über 70 Jahre soziale Marktwirtschaft. Er stammt vom federführenden Herausgeber Karl-Heinz Paqué. Dieser ist daneben unter anderem Mitglied im Bundesvorstand der FDP und Vorsitzender der FDP-nahen Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er kandidierte bei den Bundestagswahlen 2017 für die FDP und war früher Minister in Sachsen-Anhalt. Er ist auch Kurator der Arbeitgeber-PR-Organisation Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM).

In seinem Beitrag bringt er jede Menge wirtschaftspolitische Positionen und Forderungen seiner Partei unter, die sich mit denen der Unternehmensverbände decken, darunter:

  1. Die Lebensarbeitszeit sollte verlängert und flexibilisiert werden.
  2. Das Rentenniveau sollte abgesenkt werden.
  3. Keine, bzw. geringere Steuerfinanzierung der Renten.
  4. Es sollte stärker auf kapitalgedeckte private Rentenvorsorge gesetzt werden.
  5. Förderung der Immigration, vor allem für Hochqualifizierte.
  6. Unternehmensgründungen sind vordringlich zu fördern.
  7. Nieder mit der Bürokratie.
  8. Universitäten stärker mit der kommerziellen Wirtschaft verzahnen.
  9. Digitalisierung der Schulbildung.
  10. Mehr Freihandel, unter anderem durch Abschluss weiterer Freihandelsabkommen. Hier lässt sich der PWP-Herausgeber zu einer expliziten Kritik an Grünen, Linken und AfD und der mangelnden Entschlossenheit von Union und SPD hinreißen. Nur die FDP wird nicht kritisiert (alle bisherigen Beispiele S. 298f).
  11. Die Wirtschaft soll nicht mit strikten Umweltauflagen belastet werden, weil das der Wettbewerbsfähigkeit schadet (S. 291).
  12. „Die Hartz-Gesetze waren die größte Reform der Arbeitsmarkt- und Sozialversicherung, die es in Deutschland seit 1948 gegeben hat … Sie gelten in der Wissenschaft, zumindest unter Volkswirten, als beeindruckende Erfolge“  (S. 293). Gegenstimmen aus der Wissenschaft, wie vom früheren Sachverständigenratsmitglied Peter Bofinger oder vom jetzigen Mitglied Achim Truger, um nur zwei von vielen zu nennen, werden damit geleugnet. Möglicherweise gelten sie für Paqué nicht als wissenschaftlich, weil diese Ökonomen nicht wie er dem Arbeitgeberlager, sondern dem Gewerkschaftslager nahestehen.

All diese Forderungen, die aus einer Wahlkampfbroschüre der FDP stammen könnten, erhebt PWP-Herausgeber Karl-Heinz Paqué ausdrücklich nur als Wissenschaftler in einem als wissenschaftlichen Aufsatz deklarierten Text in der Vereinszeitschrift, nicht als der Politiker und Arbeitgeberlobbyist Karl-Heinz Paqué. Denn in der Autorenvorstellung als erster Fußnote des Aufsatzes heißt es nur: „Karl-Heinz Paqué, Universität Magdeburg, Lehrstuhl für Internationale Wirtschaft.“

Dem sei der erste Satz der Präambel des Ethikkodex des VfS von 2012 gegenübergestellt:

„Die hohe gesellschaftliche Relevanz ökonomischer Fragestellungen gebietet es, an das professionelle Verhalten der Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler besonders hohe Anforderungen zu stellen.“

Die Forderungen an professionelles Verhalten sind unter anderem:

„In wissenschaftlichen Arbeiten sind Sachverhalte zu benennen, die auch nur potentiell zu Interessenskonflikten oder Befangenheit des Autors/der Autorin führen könnten.

Wirtschaftspolitische Beratung soll nach professionellen Standards erfolgen. Dabei ist auf den Unterschied zwischen Meinung, Werturteil und Tatsachenbeschreibung zu achten. 

Die Herausgeber und Gutachter der vereinseigenen Zeitschriften sind diesem Kodex besonders verpflichtet. Veröffentlichungen müssen den in diesem Kodex genannten Bedingungen genügen.“

Entgegen dieser Vorschriften mischt Paqué munter und in den allermeisten Fällen ohne jegliche Kennzeichnung wissenschaftliche Analyse, persönliche Meinung und parteipolitische Position, ja nimmt sogar kritisch zu Positionen anderer Parteien außer seiner Partei, der FDP, Stellung. Das alles ohne seine parteipolitisches Engagement und seine Verbindung zu einer Industriellen-PR-Organisation zu erwähnen.

Steuersenkungswerbung für Unternehmen

Passend zu den wirtschaftspolitischen Forderungen seiner Partei findet sich im gleichen Heft auch noch ein Beitrag dazu, welch schädliche Wirkungen es hat, dass der Solidaritätszuschlag immer noch nicht abgeschafft wurde. Die Autoren firmieren in der Fußnote als Wissenschaftler von EcoAustria. Mehr erfährt man nicht, auch nicht folgendes zur Finanzierung des Instituts, das gegründet wurde, weil den österreichischen Industriellen die Ausrichtung des bis dahin von ihnen geförderten Forschungsinstituts nicht mehr passte:

„Knapp 40 Prozent des Jahresbudgets stellt die Basisfinanzierung dar, die sich aus Mitteln des Bundesministeriums für Finanzen in Form eines Rahmenvertrags, der Industriellenvereinigung und von Unternehmen zusammensetzt.“

Vizepräsident von EcoAustria ist der „wirtschaftspolitische Koordinator der Industriellenvereinigung“, Präsident ist der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Raiffeisen Bank International und Multi-Aufsichtsrat Karl Sevelda.

Trotz dieser finanziellen und personellen Verflechtungen mit einem Lager, das ein starkes finanzielles Interesse an Steuersenkungen hat und dies auch lautstark kundtut, sahen Paqué und sein Gremium von Mitherausgebern keinen Grund, diese als Sachverhalt mitzuteilen, der „auch nur potentiell zu Interessenskonflikten oder Befangenheit der Autoren führen könnte.“

Das ist ein weiterer klarer Bruch der Ethikregeln des Vereins.

Den VfS-Vorstand juckt das nicht

Den Vereinsvorstand hat die Missachtung seiner erkennbar nur pro forma erlassenen Ethik-Regeln durch die Herausgeber der Vereinszeitschrift auch früher schon nicht erkennbar gestört. Ich habe diesmal auf eine Bitte um Stellungnahme bei Professor Paqué verzichtet, weil er mir bei meiner letzten Anfrage vor einigen Monaten bestätigte, die Stellungnahme von 2016 gelte noch. Erkennbar ist das auch heute noch der Fall. Damals schrieb Paqué unter anderem:

„Ich habe viele Funktionen, die bei böswilliger Betrachtung zur Schlussfolgerung verleiten könnten, ich sei nicht unabhängig. Ich hielte es für abwegig, all diese Funktionen, die allgemein bekannt sind, immer ausdrücklich zu nennen.

Abstrakte Diskussionen über das, was man darf und was nicht, halte ich für wenig produktiv. Sie sorgen im Ergebnis dafür, dass versucht wird, einen argumentativen Kontrahenten durch Moralisieren mundtot zu machen. Mein Prinzip ist: Es zählen Sachargumente, und nur diese – übrigens völlig egal, wer sie formuliert.“

Der Herausgeber der VfS-Vereinszeitschrift sagt öffentlich, dass ihm der Verein mit seinen Ethikregeln den Buckel runterrutschen kann und darf trotzdem drei Jahre weiter frei schalten und walten. Auch seine Mitherausgeberinnen und -herausgeber machen brav weiter mit und lassen ihn in Ruhe. Das wirft kein gutes Licht auf das Lager der etablierten deutschsprachigen Ökonominnen und Ökonomen.

Schlussnummer

Liest man auch noch das zweiseitge Editorial der aktuellen PWP von Paqué bis zum Schluss, dann erfährt man, dass dies seine Abschiedsvorstellung nach sechs Jahren federführender Herausgeberschaft war. Grund für sein Ausscheiden sei auch ein möglicher Interessenkonflikt. Aber nicht etwa der hier monierte, aufgrund seiner Tätigkeiten als Politiker und Arbeitgeberlobbyist, sondern lediglich ein „editorischer“. Denn als Vorstandsvorsitzender der FDP-nahen Naumann-Stiftung sei er auch Herausgeber von deren Zeitschrift „Liberal“, in der es auch um Wirtschaftspolitik gehe. Offenbar besteht das Problem für ihn nur darin, dass er sich für und gegen eine seiner beiden Zeitschriften entscheiden müsste, wenn er einen guten Beitrag eingereicht bekommt oder bestellt.

Nun könnte man hoffen (oder befürchten), damit gehe die Ära des wirtschaftspolitischen Magazins des VfS als Werbeplattform der FDP und der Arbeitgeberverbände zu Ende. Diese Hoffnung (oder Befürchtung) könnte jedoch trügen, denn Paqué hat sich um einen würdigen Nachfolger gekümmert. Der Vereinsvorstand hat Justus Haucap zu seinem Nachfolger gewählt. Das Mitglied des Wirtschaftsforums der FDP  ist Direktor des Düsseldorfer wettbewerbspolitischen Forschungsinstituts DICE, dessen Gründung laut Website auf die Initiative und Großspende der Unternehmerfamilie Schwarz-Schütte zurückgeht. Er ist Präsident des wirtschaftsliberalen Vereins ECONWATCH, der mit der INSM kooperiert. Der Leiter des Forschungsbereichs Politische Ökonomie von Haucaps DICE, Tobias Thomas, ist gleichzeitig Direktor und Forschungsvorstand von EcoAustria (und ebenfalls Gründungsmitglied von ECONWATCH). Das aktuelle Heft der Vereinszeitschrift dürfte also durchaus die Präferenzen des künftigen federführenden Herausgebers treffen.

Haucap ist auch Mitglied der Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen (Strukturgesellschaft), die Interessenverbände der Unternehmen zum Zwecke der Einflussnahme mit Abgeordneten zusammenbringt.

Für Kontinuität bei der PWP steht auch Chefredakteurin Karen Horn, Gründerin des (inzwischen offenbar entschlafenen) von der arbeitgebernahen Schleyer-Stiftung  finanzierten NOUS-Netzwerk zur Förderung des freiheitlichen Geistes. Sie ist Mitglied in der marktradikalen Mont Pelerin Society und war Leiterin des Berliner Büros des Arbeitgeberinstituts IW. Sie ist häufige Autorin auf dem INSM-Ökonomenblog.

Chancen auf mehr Transparenz

Dass sich die Ausrichtung der PWP durch den Herausgeberwechsel ändern könnte, steht also nicht zu erwarten.  Gute Aussichten gibt es jedoch dafür, dass die Werbung für FDP-Positionen und Arbeitgeberinteressen künftig weniger heimlich stattfindet. Justus Haucap scheint nicht der Ethikkodex-mir-doch-egal-Philosophie seines Vorgängers zu folgen. Auf das Versäumnis angesprochen, bei der Präsentation der schmeichelhaften Ergebnisse einer Auftragsstudie für den Fahrdienstleister Uber den Auftraggeber zu nennen, bezeichnete er das immerhin als einen Fehler, anstatt die Frage als böswillig zurückzuweisen. Es steht also zu hoffen, dass die Autoren im PWP künftig effektiv gehalten werden, ihre „auch nur potenziellen“ Befangenheiten und Interessenkonflikte offenzulegen, und vielleicht sogar der federführende Herausgeber selbst. [14.4.2019]

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