Unwörter des Jahres: NGO und Zivilgesellschaft

In den letzten Jahren und insbesondere den letzten Monaten wurde das Orwellsche Neusprech-Wort „Zivilgesellschaft“ im deutschen Sprachgebrauch so allgegenwärtig, dass es die meisten besseren Begriffe verdrängt hat. Mit dem schon länger heimischen Unwort „Nichtregierungs-organisation“ gelingt es den beiden Begriffen, immer mehr Leuten den Geist zu verwirren.

Nichtregierungsorganisationen ist ein Term, der traditionell für organisierte Gruppen hellhäutiger Menschen verwendet wird, die in meist von dunkelhäutigeren Menschen bewohnte Länder gehen, und dort mit dem Geld der Regierungen ihrer Heimatländer oder mit dem Geld von regierungsnahen oder geheimdienstnahen Stiftungen ihrer Heimatländer sogenannte Entwicklungsarbeit im weitesten Sinne betreiben. Weil das Beobachter zu der Überlegung verführen könnte, dass bei der Arbeit mancher dieser Organisationen vielleicht wirtschaftliche oder politische Interessen der Regierungen der Absenderländer mit im Spiel sein könnten, verfiel man darauf, das propagandistische Problem direkt bei den Hörnern zu packen und nannte sie einfach NICHT-Regierungsorganisationen. George Orwell wäre stolz auf den Einfall, insbesondere weil hier so geschickt Hilfsorganisationen aller Schattierungen in einen sprachlichen Topf geworfen und verrührt werden. In dieser Suppe kann man alles mögliche verstecken.

Der Ausdruck Zivilgesellschaft treibt die heimliche Konnotation auf die Spitze, die in Nongovernmental Organization oder NGO schon mit enthalten ist. Es geht darum, die Rolle ausgewählter Regierungen weniger bedeutsam erscheinen zu lassen und sie dadurch zu schwächen, dass man ihr eine Zivilgesellschaft gegenüberstellt, die irgendwie legitimer sei, obwohl mit dem Begriff oft nicht viel mehr gemeint ist, als ein Amalgam von mit (ausländischen) Regierungsgeldern finanzierten „Nicht“-Regierungsorganisationen . Eine unliebsame oder zu starke gewählte Regierung kann so schlecht gemacht werden, indem der demokratischen Wahl eine andere, mindestens gleichwertige Form der Willensbekundung der „Zivilgesellschaft“ gegenübergestellt wird. Gouvernement wird durch eine diffuse, und daher mit beliebigen Konnotationen zu belegende, Governance ersetzt.

Was früher Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes oder gar eine illegitime Manipulation der demokratischen Willensbildung dort gewesen wäre, und daher verheimlicht wurde, wird heute offen propagiert und praktiziert und als Förderung der Zivilgesellschaft von demokratietechnisch entwicklungsbedürftigen Ländern verkauft. Als Victoria Nuland, die Europabeauftrage der USA, Ende 2013 prahlte, dass die USA in den Jahren vor dem Regierungswechsel in der Ukraine dort fünf Milliarden Dollar in „demokratische Institutionen“ investiert hätten, ging es genau darum, um die Förderung der Zivilgesellschaft, einschließlich der ziemlich unappetitlich braunen Ausprägungen von Zivilgesellschaft, die dort heute mit die Regierung stellen.

Das funktioniert auch bei Ländern mit weniger demokratisch oder gar nicht gewählten Regierungen. Mischt man sich dort ein, um Machtwechsel langfristig vorzubereiten, so heißt auch das Förderung der Zivilgesellschaft, und wenn die jeweiligen Autokraten etwas dagegen unternehmen, dann zeigen sie damit der Weltöffentlichkeit nur, wie böse sie sind. Zivilgesellschaft gab es in der Ukraine und gibt es in Russland und Syrien und natürlich in Afrika. Es gibt sie nicht in Ländern wie Saudi Arabien, Katar oder Ägypten. Denn die werden nicht von Regimes regiert, sondern von alliierten Regierungen. Die brauchen keine Zivilgesellschaft als Gegenpart.

 Ein schönes Beispiel für diese verbrämende Funktion des Begriffs Zivilgesellschaft lieferte jüngst die frühere spanische Außenministerin Ana Palacio in einem von der „Nichtregierungsorganisation“ Project Syndicate verbreiteten Beitrag mit dem Titel „The Despotic Temptation“. Sie beklagt, dass Nichtregimechefinnen wie Angela Merkel und David Cameron dafür werben, mit dem syrischen Regimevorsteher Assad zu sprechen, um den Bürgerkrieg dort zu beenden. Doch das sei verderblich, denn ein „Tyrann“ werde nicht dauerhaft Ruhe bringen können, weil das Volk ihn ablehnt. (Das seit langem sehr ruhige Saudi Arabien, wo die Herrscherclique Leute köpfen lässt, wenn sie vom Glauben abfallen oder eigene Gedanken zu Papier bringen, scheint sie übersehen zu haben.)

Und dann kommt ihre Lösung:

„Das heißt nicht, dass der Westen nichts tun kann. Im Gegenteil, indem er hilft eine starke Zivilgesellschaft auf lokaler und nationaler Ebene zu kultivieren, können ausländische Kräfte eine wichtige Rolle dabei spielen, eine starke Basis für gute Governance in krisengeschüttelten Ländern spielen.“

Es gibt viele Wörter, mit denen man NGO und Zivilgesellschaft ersetzen kann und sollte. Weil man damit den jeweiligen Charakter des gemeinten viel genauer ausdrücken kann und muss, verlangt das etwas Mühe und Übung, aber wenn man die Dinge nicht bei ihrem richtigen Namen nennt, kann man auch nicht aufrichtig über sie sprechen, mahnte schon Konfuzius. Beispiele sind: Bürgerschaftliches Engagement, Bürgerinitiative(n), Hilfsorganisation(en), Gemeinnützige Organisation(en), Tarnorganisation(en) usw. Wenn nämlich diejenigen, die nichts Unanständiges zu verbergen haben, präzisere Begriffe wählen, dann fallen Leute wie Frau Palacio wieder leichter auf mit ihren „Zivilgesellschaften“. Denn sie kann präzise Ausdrücke nicht gebrauchen, ohne Dinge auszusprechen, die sie nicht aussprechen will.

Print Friendly, PDF & Email

Antworten auf

  1. Pingback: cz guns sale

Dieser Kommentarbereich ist geschlossen.