Derzeit herrscht Verwirrung, wohin die Verhandlungen der EU mit Griechenland steuern. Hat der griechische Finanzminister Recht, der von Annäherung spricht, oder die – meist auf ungenannten Quellen beruhenden – deutschen Medienberichte, wonach es kracht und kriselt? Was bedeutet dabei Pleite ohne Grexit? Eine kleine Übersetzungshilfe.
In den deutschen Medien macht immer mehr das Szenario die Runde, wonach man Griechenland Pleite gehen lassen und trotzdem im Euro halten könnte. Das klingt zunächst einmal wie eine Bestrafung de Griechen dafür, dass sie diese renitente Regierung gewählt haben, gepaart mit der Vermeidung des Schadens, der den Euro-Ländern bei einem Rauswurf Griechenlands aus der Währungsunion drohte. Dann wäre diese nämlich nicht mehr eine unumkehrbare Sache und die Finanzmärkte könnten immer wenn ein Land in Schwierigkeiten kommt oder eine renitente Regierung wählt darauf spekulieren, dass auch dieses Land rausfliegt. Solche Spekulationen neigen dazu, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass sie sich erfüllen.
Man kann Pleite ohne Austritt aber auch aus einer anderen Perspektive betrachten. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis sagt schon lange, dass sein Land überschuldet, (= Pleite) ist und verlangt deshalb einen Schuldenschnitt oder ein Schuldenrestrukturierung. Nichts anderes ist es, wenn man Griechenland Pleite gehen lässt. Das Land erklärt sich für zahlungsunfähig und es wird darüber verhandelt, wer noch Geld bekommt, und wann und wie viel.
Wenn also die Pleite-Option durch immer häufigeres Nennen hoffähig gemacht wird, heißt das, dass man sich heimlich auf Athen zubewegt, ohne es so aussehen zu lassen?
Das kann so sein, muss aber nicht. Es bedeutet bisher nur, dass die Einräumung der Überschuldung Griechenlands Teil des Verhandlungsergebnisses sein dürfte. Welche Seite mehr von ihren Vorstellungen durchbekommt, lässt sich erst an den Bedingungen eines Verbleibs in der Währungsunion ablesen, die vereinbart oder von Frankfurt und Brüssel durchgesetzt werden.
Das Handelsblatt zitiert heute einen „hochrangigen EU-Diplomaten“ mit der Aussage, ein Zahlungsausfall würde nicht automatisch bedeuten, dass Griechenland die Währungsunion verlässt und mit den Worten: „Wir kommen dann in eine Grauzone. Es gibt ein breites Spektrum von Optionen zwischen Zahlungsunfähigkeit und Grexit.“ Einerseits müsse Griechenland irgendeine Art nationaler Währung drucken, um Gehälter und Renten auszahlen zu können. Andererseits sei damit zu rechnen, dass der Euro als harte Währung im Land präsent bleibe, neben einem von extremer Inflation betroffenen nationalen Zahlungsmittel.
Wenn das Plan B wäre – und von Seiten Berlins, das solche Überlegungen am intensivsten und schon am Längsten streut – ist er das wohl, dann wäre es die Niederlage Athens und der Sieg Brüssels und Berlins. Aus dem Versuchskaninchen Griechenland, an dem getestet wurde, wie viel man einem Volk zumuten kann, bevor es aufbegehrt, würde das abschreckende Beispiel Griechenland, anhand dessen man allen anderen Völkern in Europa zeigen kann, was passiert, wenn man sich dem Umbau Europas in einen neoliberalen Föderalstaat in den Weg stellt.
Einen Weg zurück in die volle Euro-Mitgliedschaft gäbe es für Griechenland in diesem Szenario nur noch mit massiver Unterstützung aus Europa, nie mehr aus eigener Kraft. Diese Unterstützung bekäme das Land, wenn sich zeigte, dass Brüssel und Berlin sich verschätzt haben, wenn sie dachten, dass es keine Ansteckung anderer Länder über die Finanzmärkte geben würde. Insofern ist dieser Plan B ein allmählicher Ausschluss Griechenlands mit Rücknahmeoption. Die nötige Unterstützung gäbe es sicher auch, wenn das griechische Volk sich geschlagen gibt, und wieder eine gegenüber Brüssel und Berlin willfährige Regierung wählt.
Der große Vorteil für Brüssel, dieses langsamen und versteckten Rauswurfs liegt, neben der Rücknahmeoption, darin, dass man einerseits genug politisch-wirtschaftlichen Sachzwang aufbauen kann, um mittels neuer Notstandsmaßnahmen die Kompetenzverlagerung nach Brüssel voranzutreiben und so der Ansteckungsgefahr zu begegnen, andererseits aber diesen Druck so dosieren kann, dass die Krise den Maßnahmen nicht davonläuft.
Das Pfund, mit dem Athen wuchern kann, um das skizzierte Szenario abzuwenden, ist im Wesentlichen nur die Geopolitik. Die griechische Regierung kann in Aussicht stellen, die Entscheidungsfindung in der EU, die oft Einstimmigkeit voraussetzt, zu sabotieren, z.B. in der Frage der Sanktionen gegen Russland. Sie kann auch ihre Mitgliedschaft in der Nato nutzen oder in Frage stellen, um Probleme zu machen. Und sie kann sich diplomatisch und wirtschaftlich in die Arme der Russen und Chinesen begeben, wenn diese finanziell und durch verbesserte Wirtschaftsbeziehungen helfen.
Entscheidend für die Gegenseite ist es, die Griechen auf eine schiefe Bahn zu setzen, auf der sie weit abrutschen, bevor sie ihre Optionen richtig ausspielen können, sodass man ihnen selbst sehr ungünstige Optionen immer noch als Verbesserung gegenüber dem sich rasch verschlechternden Status Quo verkaufen kann.
Die Europäischen Zentralbank (EZB) baut derzeit Zeitdruck auf Athen auf, indem die Führungsspitze davon redet, dass man den griechischen Banken bald nur noch unter restriktiveren Bedingungen (= nicht mehr genug um flüssig zu bleiben) geben wird. Sobald sie diese Drohung richtig umsetzt, ist Plan B der Plan A geworden. Athen muss dann eine Notwährung ausgeben und sitzt auf der schiefen Bahn aus der Währungsunion.