Es ist offenkundig, dass die Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP) trotz des großen Widerstands bei Bevölkerung und Parlamenten noch nicht aufgegeben wurde. Die Meinungskampagne zu ihrer Rettung ist in vollem Gange. Mein Eindruck ist, dass die Kampagne ziemlich gut koordiniert ist. Derzeit lautet die gemeinsame Strategie,
die Gegner als von irrationalen Ängsten und Antiamerikanismus getriebene Narren darzustellen und über den besonders umstrittenen Investitionsschutzteil der Abkommen schweigend hinwegzugehen. Diesem Schema folgen – wie schon die vorangegangenen Gastbeiträge – auch die beiden Gastkommentare, die am 12.8. im Handelsblatt erschienen.
Textilverbandspräsidentin Ingeborg Neumann schreibt von der „German Angst“ und dem Chlorhuhn als angeblichem Kampfsymbol der Gegner. Dabei ist es keine diffuse Angst, sondern es sind von Neumann tunlichst ignorierte präzise Argumente, die die Gegnerschaft gegen das Freihandelsabkommen mit den USA begründen und das Chlorhuhn wird nur als Sollbruchstelle von den Befürwortern des Abkommens aufgebauscht.
Neumann verweist auf die Kosten unterschiedlicher Regulierungen und Standards. Diese sind wirklich ein Problem. Nur braucht man eben kein im Geheimen ausgehandeltes umfassendes Abkommen mit der Etablierung von internationalen Schiedsgerichten für Investoren, um Standards und Regulierungen zu vereinheitlichen. Ich persönlich hätte gar nichts dagegen, wenn man sich in einem offenen Prozess darauf einigen würde, trotz Chlorbad die amerikanischen Standards für Hähnchen zu übernehmen, wenn diese tatsächlich weit geringere Hormon- und Antibiotikagaben erlauben. Die Gremien für solche Vereinbarungen gibt es. Wenn es beiden Seiten wirklich so ernst und wichtig wäre, mit der Harmonisierung er Standards, dann sollte hier eigentlich mehr gehen.
Wenn es aber um eine Blankoanerkennung der gegenseitigen Vorschriften per Freihandelsabkommen geht, so ist das schlicht nicht mehrheitsfähig. Die Menschen wissen, dass das einer Harmonisierung auf dem niedrigsten Nenner gleichkommt. Die deutschen Exporteure haben keinen Anspruch darauf, dass alle Europäer sich ohne Mitspracherecht den Entscheidungen der US-Behörden unterwerfen, nur damit sie etwas an Bürokratiekosten sparen.
Der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Hans-Dieter Heumann, hebt TTIP auf eine geopolitische Ebene. „Bei TTIP geht es um mehr als um Chlorhühnchen. Es ist ein strategisches außenpolitisches Projekt“, so Heumann. Es soll eine „transatlantische Klammer“ schaffen, damit sich der Westen gegenüber den russisch-orthodoxen Wertvorstellungen, gegenüber islamischen Gottesstaaten und gegenüber den wirtschaftlichen Erfolgen der autoritären chinesischen Regierung behaupten kann. „Für Europa ist TIP ein Gelegenheit, seinen Platz in der multipolaren Welt zu bestimmen“, schreibt Heumann. Mit anderen Worten: Mit einer Zustimmung beweist Europa, dass es zum Westen gehört. Im impliziten Umkehrschluss steckt die eigentliche Botschaft: Wenn Europa TTIP scheitern lässt, wendet es sich in schwerer Zeit seinem Bündnisgenossen USA ab und riskiert, dass sich die USA von Europa abwenden, in einer Zeit, in der „die USA über einen Schwenk nach Asien nachdenken.“
Heumann ergänzt, ziemlich kryptisch, dass die USA dabei von Europa zunehmend erwarten, dass es die Lasten teilt, dass aber andererseits die USA ihren Einfluss in Europa behalten wollten. Um den Zusammenhang dieser Aussagen mit dem Freihandelsabkommen herzustellen, muss man interpretieren. Ist TTIP der verlangte Kotau vor der Führungsmacht, der die Lastenteilung bewirkt und den amerikanischen Einfluss in Europa sichert? Tatsächlich ist kaum strittig, dass die US-Wirtschaft stärker profitieren wird als die europäische und auch der Einfluss der USA in Europa wird mit TTIP zweifellos steigen. Aber warum macht sich der Präsident einer Bundesakademie derart unterwürfig die Interessen der US-Regierung zu Eigen? Fürchtet er, dass die Amerikaner Europa schutzlos den Russen und den Islamiten zum Fraß vorwirft? Das insinuiert er mit seinem Text. Man ist geneigt zu fragen: Geht es vielleicht auch eine Nummer kleiner?