Die ARD verbündet sich mit AKK gegen die lästige Youtuber-Konkurrenz

29. 05. 2019 | Wer am Dienstagabend die Tagesthemen nicht gesehen hat und sich einen Rest Respekt vor der ARD bewahren möchte, der sollte es dabei belassen. Andernfalls lohnt es sich, in der Mediathek nachzusehen, auf welche raffinierte Weise der angeblich staatsferne Sender der CDU-Vorsitzenden AKK gegen Zensurkritiker beispringt. Die Kritik hatte sie mit ihrer Forderung auf sich gezogen, das was Youtuber vor Wahlen sagen dürfen, zu regulieren.

Die Technik, die die ARD dabei anwendet, heißt maximale Verwirrung stiften. Um das zu erreichen, gibt der Sender Expertenaussagen durch Schnitt und Einkleidung eine Bedeutung, die sie objektiv nicht haben. Unsinn und Halbwahrheiten werden aneinandergereiht. Am Kern des Disputs wird hartnäckig vorbeigesendet, harte Worte für Zensur gibt es nicht, auch nicht von den handverlesenen Kritikern.

Vor der Europawahl hatten zunächst der Youtuber Rezo und danach über 70 Youtuber ihr Millionenpublikum dazu aufgerufen, die CDU, die SPD und die AfD nicht zu wählen, offenbar mit gewissem Erfolg, vor allem bei Jungwählern. Annegret Kramp-Karrenbauer hatte nach dem für die CDU schlechten Wahlausgang gefordert, man müsse über Regeln für Youtuber nachdenken und dabei impliziert, dass Zeitungen solche „Meinungsmache“ verboten wäre. Man müsse überlegen, ob man Regeln wie sie für die analoge Welt (Zeitungen) angeblich gelten, nicht auch für die digitale Welt gelten sollten. Von den schlimmen Verrenkungen, die sie danach vollführte, war in dem langen Beitrag der Tagesthemen wenig zu hören. Sie hatte unter anderem versucht sich herauszureden, indem sie sagte, es gehe ihr nicht um Regulierung, sondern um Regeln. Ihr digitalpolitischer Sprecher verwies zur Rechtfertigung ihres Vorstoßes auf das Rundfunkrecht, obwohl sie ausdrücklich Youtuber mit Zeitungen verglichen hatte, für die das Rundfunkrecht nicht gilt.

Was sind eigentlich die Regeln für den analogen Bereich und welche gelten für den digitalen Bereich?

Und was machen die Tagesthemen daraus? Moderatorin Pinar Atalay übernimmt als Einstiegsfrage die untaugliche Gegenüberstellung von AKK und fragt: „Was sind eigentlich die Regeln für den analogen Bereich und welche gelten für den digitalen Bereich?“

Die Antwort würde korrekt lauten: Es gibt keine Regeln für den analogen Bereich (Zeitungen), die sie hindern würden, Kommentare für oder gegen eine Partei oder (Nicht-)Wahlempfehlungen abzugeben, und das gleiche gilt für den digitalen Bereich. Das ist ja genau das, was AKK nicht verstanden hat und warum sie sich mit ihren Zensurwünschen so verheddert hat. Also wird die eigene Frage von den Tagesthemen erst einmal still beiseitegelegt.

Stattdessen darf der gewohnt staatstragende Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands, Frank Überall, sagen, er könne sich gar nicht vorstellen, dass AKK das gemeint hat, was sie gesagt hat. Es könne nur missverständlich formuliert gewesen sein. (Überall ist der, der meint, Medien mit russischer Provenienz sollten keine Rundfunklizenz bekommen und es sei ein Skandal, wenn ein Gericht von der Kanzlerin verlangt, die Teilnehmer ihrer bisher geheimen Kungelrunden mit Chefredakteuren öffentlich zu machen.) Dann fügt er noch hinzu, wenn viele Zeitungen objektiv (!) feststellten, dass eine „schlechte Politik“ gemacht wird, dann wäre es vorstellbar, dass alle diese Zeitungen die entsprechende Partei als unwählbar bezeichnen. Chefredakteure von Zeitungen als oberste, neutrale Instanz darüber, was eine objektiv gute Politik ist. So stellt der DJV-Vorsitzende sich das offenbar vor. Ich hatte bisher immer gedacht, es gehöre zum Kommentar, dass er eine (subjektive) Meinung ausdrückt, keine objektive Wahrheit.

Dann sagt der Tagesthemen-Sprecher, in der Regel hielten sich die Zeitungen (mit expliziten Wahlempfehlungen) zurück. Nur die Financial Times habe 2009 einmal direkt zur Wahl der Grünen aufgerufen. Der erste Satz ist in Ordnung, der zweite stiftet unnötig Verwirrung. Die FT ist keine deutsche Zeitung. Das Interessante, das nicht gesagt wird, ist ja, dass die angelsächsischen Zeitungen eine Tradition haben, Wahlempfehlungen auszusprechen, die deutschen nicht. Grund dürfte vor allem sein, dass deutsche Leser das als Bevormundung empfinden. (Verleger Alfred Neven DuMont machte Leservorlieben, sowie Kleinkariertheit und geringere wirtschaftliche Stärke für die größere deutsche Zurückhaltung verantwortlich.) Der deutsche FT-Ableger Financial Times Deutschland sprach 2002 eine Wahlempfehlung  für die Union aus und erntete dafür viele erboste Kommentare von Lesern und Leserinnen. (Ich war dabei.)

Dann kommt ein verwirrender Einspieler von Medienrechtler Karl Nikolaus Pfeifer, der sagt: „Zeitungen haben keine gesetzlichen Verbote, aber sie haben eine Selbstverpflichtung. Das heißt, historisch gesehen halten sie sich an professionelle Standards und das (?!?) gehört dazu.“

Man weiß nicht, was er über diese zwei Sätze hinaus gesagt hat, aber so wie es hier eingeführt und geschnitten ist, ist es irreführend. Es gibt keine Selbstverpflichtung der Zeitungen, die Relevanz für die aufgeworfenen Fragen hätte. So zu tun, als würfe der Experte den Youtubern Unprofessionalität vor, ist perfide (von der ARD). Sie haben einen scharfen Kommentar abgesondert. Zeitungen machen das dauernd, wenn sie das auch meist nicht mit einer direkten Wahlempfehlung verbinden. Nichts ist unprofessionell an einem scharfen Kommentar.

„Für den Rundfunk, insbesondere den öffentlich-rechtlichen, gelten strengere Regeln“, kommt dann endlich einmal eine 100% korrekte Information vom Sprecher. Tobias Schmid, Direktor der Landesmedienanstalt NRW, darf das näher erläutern. Er spricht von Ausgewogenheit und erkennbaren Kommentaren, und dass das überprüft wird.

Die Landesmedienanstalten schauen inzwischen aber auch immer mehr auf die Angebote im Internet.

Dann kommt wieder der Sprecher und sagt das, was man dem Rundfunkaufseher offenbar nicht zu entlocken geschafft hat : „Die Landesmedienanstalten schauen inzwischen aber auch immer mehr auf die Angebote im Internet. Denn viele Youtuber erreichen ähnlich viele Zuschauer wie Fernsehsender.In der Tat gibt es Diskussionen, Youtuber ähnlich zu behandeln wie einen Rundfunksender.“

Haben Sie gemerkt, an welcher Stelle wir unauffällig von AKKs untauglichem Vergleich Youtuber-Zeitung auf den Vergleich Youtuber-Rundfunksender umgelenkt worden sind.

Statt einer Erläuterung was gemeint ist mit der „Behandlung wie einen Rundfunksender“ kommt ein weiterer Einspieler von Medienanstaltschef Schmid, der sagt:

„Was die Youtuber lernen müssen, ist , dass ihre enorme Reichweite auch mit einer enormen Verantwortung einhergeht. Wenn man Youtuber ernst nimmt, muss man sie (…) auch bei dem ernst nehmen, was man von ihnen fordert, nämlich, dass sie ihrer Verantwortung  gerecht werden.“

Lediglich angedeutet wird hier, was in dem ganzen langen Beitrag nicht ausdrücklich angesprochen wird. Youtuber haben sich an allgemeine Regeln für öffentliche Äußerungen zu halten, wie das Verbot von Beleidigung und Schmähkritik. Weder Rezo mit seinem Video „Die Zerstörung der CDU“, noch die 70 Youtuber mit ihrem Unterstützungsvideo haben eine dieser Regeln gebrochen. Deshalb ist es auch wiederum perfide von der ARD, durch diesen Einspieler den Eindruck zu erwecken, als wären die Youtuber ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden.

Was die Youtuber lernen müssen, ist , dass ihre enorme Reichweite auch mit einer enormen Verantwortung einhergeht.

Dann kommen die Kritiker und Unterstützer zu Wort. Die ARD hat zwei Sprecher für die Jungen und digitalaffinen gefunden, einen Youtuber der Spiele-rezensiert, und die CDU sehr zahm dafür kritisiert, dass sie nicht den richtigen Ton gegenüber der Jugend und dem Netz finde, und natürlich den „jüngsten CDU-Abgeordneten“ Philipp Amthor, der  AKK mit „demokratietheoretischen Überlegungen“ stützt und uns mitteilt, die Diskussion führe nicht weiter.

Die Kritik Seehofers an AKK wird in ein harmloses „er versteht die Aufregung nicht“ umgedeutet und der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl wird völlig unkommentiert mit der in diesem Zusammenhang unsinnigen Aussage zur Unterstützung von AKK eingespielt: „Wer glaubt, er sei im Internet im rechtsfreien Raum, der unterliegt einem Irrtum.“ Abwesenheit von Zensur hat nichts mit rechtsfreiem Raum zu tun und niemand wirft den Youtubern Rechtsverstöße vor.

Wer glaubt, er sei im Internet im rechtsfreien Raum, der unterliegt einem Irrtum.

Wer bis hierhin noch nicht gemerkt hat, auf welche Seite sich die ARD geschlagen hat, dem macht es Hanni Hüsch mit ihrem abschließenden Kommentar klar. Seehofer macht sie als Verteidiger der Meinungsfreiheit lächerlich, parteiinterne Kritiker des Fehltritts der CDU-Vorsitzenden charakterisiert sie als feige Heckenschützen, die der Vorsitzenden die Schuld am schlechten Wahlausgang zuschieben wollen. Außerdem – wie kann es anders sein – sagt sie noch, dieses Thema sei „ganz schön aufgeblasen“. Sie sagt es zum Abschluss eines Themensblocks, der einen sehr großen Teil einer Tagesthemen-Sendung einnehmen durfte.

Man muss vielleicht von der ARD nicht verlangen, dass sie sich mit voller Wucht für ihre Internet-Konkurrenten um die Meinungs- und Informationshoheit in die Bresche wirft. Aber diese Sendung zeigte so wenig Respekt für die Meinungsfreiheit, dass es für Journalisten eine große Schande ist, so etwas produziert zu haben.

Zur Ehrenrettung der öffentlich-rechtlichen sei auf das ZDF Heute Journal verwiesen. Dort war von Hilflosigkeit und Zensur die Rede und es kamen echte Kritiker zu Wort, mit Kritik, die auf den Kern des Disputs zielte. [29.5.2019]

Änderungs-/Korrekturhinweis (30.5.): In einem Punkt war ich mit meiner Kritik über das Ziel hinausgeschossen und habe deshalb die folgenden Passagen entfernt:

Dass die Anstalten sich Angebote im Internet anschauen, ist richtig. Dass das damit zu tun hat, dass Youtuber hohe Reichweiten erzielen, ist eine Falschbehauptung zu Lesertäuschung. Die Landesmedienanstalten schauen sich die Internetangebote der  Rundfunk- und Fernsehsender an. Das ist ihr Job. Aber nicht das Angebot der Youtuber, jedenfalls nicht „anschauen“ im Sinne von regulieren.

Es gibt keinen Beleg für die steile Behauptung des Sprechers, es gebe abseits der jüngsten AKK-Debatte eine ernsthafte Diskussion, Youtuber wie Rundfunkseder zu behandeln. Wenn dem so wäre, hätte man es den Chef der Medienanstalt sagen lassen können. Es wird auch nicht erläutert, was damit gemeint ist. Im Kontext kann es eigentlich nur heißen, sie zur politischen Ausgewogenheit zu verpflichten. Das wäre genau die drastische Einschränkung der Meinungsfreiheit, die AKK gefordert hat, aber dann angeblich nicht gemeint haben will.

Tatsächlich scheint es Ambitionen der Landesmedienanstalten in Richtung Beaufsichtigung kommerzieller Youtuber schon zu geben, wie heute im Handelsblatt zu lesen:

„Wenn etwa Youtube-Stars im Netz nahezu professionell Meinungen produzierten und einem Millionenpublikum mitteilten, sei das Teil medialer Macht und dazu gehörten auch bestimmte Regeln, sagte der Präsident der Bayerischen Landesmedienanstalt, Siegfried Schneider, im Deutschlandfunk. Bislang könne – anders als etwa die Bereiche Jugendschutz, Sponsoring und Werbung – die Sorgfaltspflicht kommerzieller Influencer nicht ausreichend überwacht werden, weil dies der Rundfunkstaatsvertrag nicht vorsehe. Eine entsprechende Forderung, das zu ändern, liege seitens der Landesmedienanstalten seit 2017 vor, betonte Schneider. Im neuen Medienstaatsvertrag müsse dieses Problem angegangen werden.“

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