Die deutschen Sparer sind die Hauptleidtragenden der Niedrigzinspolitik der Notenbanken, heißt es immer wieder. Sie bekommen keine Zinsen mehr auf das Ersparte. Das stimmt, ist aber nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Wer Vermögen hat, profitiert massiv von der EZB-Politik. Der Grund für die Kritik aus Deutschland liegt ganz wo anders.
Was man für sein Erspartes bekommt, hängt stark davon ab, wie man es anlegt. Während es für Giro- und Sparguthaben und für Anleihen kaum noch etwas gibt, haben Immobilien, Aktien und Betriebsvermögen in den letzten Jahren kräftig an Wert zugelegt, angetrieben insbesondere von den niedrigen Zinsen. Immerhin drei Viertel des Bruttovermögens der Deutschen, also des Vermögens vor Abzug der Schulden, besteht aus Immobilien und Betriebsvermögen. Im vermögensmäßig mittleren Fünftel der Bevölkerung liegt der Immobilienanteil bei gut der Hälfte, in der gehobenen Mittelschicht und bei den Wohlhabenden bei knapp 70 Prozent. Bei den Reichen beträgt er nur knapp 60 Prozent. Weil diese aber knapp ein Viertel ihres Vermögens in Betriebsvermögen halten, haben sie den höchsten Sachvermögensanteil am Portfolio.
Festverzinsliche Anlagen haben nur bei den unteren 40 Prozent in der Vermögensverteilung einen höheren Anteil als das Sachvermögen.
Im mittleren Fünftel ist der festverzinsliche Anteil mit unter 30 Prozent nur halb so hoch wie der Sachvermögensanteil, bei den Reichen liegt er gar nur bei gut zehn Prozent.
Weil aber Sachvermögen durch die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und ihrer Anleihekäufe stark im Wert gestiegen ist, haben allenfalls die unteren 40 Prozent einen Nachteil. Allerdings ist deren Vermögen so gering, dass dieser Nachteil kaum ins Gewicht fällt.
Das Research-Institut des Vermögensverwalters Flossbach von Storch (FvS) unter Leitung des früheren Chefvolkswirts der Deutschen Bank, Thomas Mayer, berechnet einen Index der Vermögenspreise. Dafür werden Preisänderungen von Immobilien, Aktien, Betriebsvermögen, Bankguthaben, Anleihen und weiteren Vermögenskategorien erfasst und gemäß ihren Anteilen in den Portfolios der Bevölkerung oder einzelner Bevölkerungsgruppen gewichtet. „In Deutschland herrscht weiterhin eine hohe Vermögenspreisinflation“, resümiert FvS-Experte Philipp Immenkötter.
Von 2010 bis Ende 2016 ist der Wert der Portfolios der privaten Haushalte mit durchschnittlich 4,5 Prozent pro Jahr gestiegen. Da die Wertminderung von Gebäuden durch Abnutzung nicht berücksichtigt ist, wird der Reinvermögensgewinn etwas überzeichnet. Aber er übertrifft die Geldentwertung durch Verbraucherpreisinflation von etwa 1,5 Prozent pro Jahr bei weitem. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Im ersten Quartal 2017 stiegen die nominalen Vermögenswerte deutscher Haushalte im Jahresvergleich um 6,5 Prozent.
Auch die Bundesbank stellt in ihrem Monatsbericht April in einem Erklärstück zur Funktionsweise des Bankensystems und zu den Wirkungen der EZB-Anleihekäufe einen direkten Zusammenhang mit den Vermögens- und damit den Immobilienpreisen her. „Korrespondierend zu sinkenden Zinsen und Renditen steigen die Preise von Vermögensgegenständen“, heißt es da. Das wird durch Rückkopplungseffekte verstärkt, wie die Bundesbank beschreibt. Das Nettovermögen der Kreditnehmer erhöhe sich – und damit ihre Kreditsicherheiten. Den Banken fällt es leichter, zusätzliche Immobilienkredite zu geben, was Nachfrage und Preis weiter nach oben treibt.
Geldpolitik für die Reichen
Allerdings verdeckt die Durchschnittsbetrachtung große Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen. „Wenig beachtet wird, dass Geldpolitik immer auf die Verteilung von Einkommen und Vermögen wirkt“, bemerkt Thomas Mayer. Für die untersten 40 Prozent in der Vermögensverteilung ist die Rendite auf ihr bescheidenes Vermögen kaum von Relevanz. Sie haben im Durchschnitt nur Vermögenswerte von gut 15.000 Euro. Ihre Schulden sind etwas höher, so dass sie kein Nettovermögen haben. Das bei Banken und in Anleihen verzinslich angelegte Vermögen beläuft sich auf wenige Tausend Euro. Als Mieter gehören sie zu den Leidtragenden höherer Immobilienpreise.
Die untere Mittelschicht, das mittlere Fünftel der Verteilung und die obere Mittelschicht (60-80 Prozent) profitierten dagegen merklicher von Wertsteigerungen ihrer Vermögenswerte. Um gut drei Prozent pro Jahr ist ihr Portfoliowert seit 2010 gestiegen. Nach Abzug von Inflation und Gebäudeabnutzung dürfte das eine reale Rendite von rund einem Prozent ergeben. Noch stärker profitieren die reichsten zehn Prozent der Haushalte. Sie haben einerseits mit durchschnittlich deutlich über einer Million Euro ein weit größeres Bruttovermögen, das im Wert steigen kann. Andererseits waren die jährlichen Wertsteigerungen dank höherer Anteile von Betriebs- und geringerer Anteile von Geldvermögen im Portfolio mit 5,5 Prozent pro Jahr seit 2010 mit Abstand am höchsten. Wer hat, dem wird gegeben, auch von der EZB.
Habenichtse straft der Immobilienmarkt nochmals
Seit dem ersten Quartal 2010 sind die Preise von Immobilien um 35 Prozent gestiegen. Was Immobilieneigentümer freut, wird für junge Haushalte, die eine dauerhafte Bleibe für sich und ihren Nachwuchs suchen, zum Riesenproblem. Ihnen nützen die rekordniedrigen Zinsen für Hypothekenkredite wenig, weil sie zumeist kaum Vermögen haben. Deshalb fällt es ihnen immer schwerer, die nötigen finanziellen Mittel aufzubringen, um von der Bank einen Kredit zu bekommen und die Kaufnebenkosten zu zahlen. Mindestens 20 Prozent des Kaufpreises verlangt die Bank als Eigenkapital; zehn Prozent gehen für Grunderwerbsteuer, Notarkosten und sonstige Gebühren drauf. Knapp ein Drittel des Preises müssen Hauskäufer also auf der hohen Kante haben. Bei einem Kaufpreis von 500.000 Euro, für die man zum Beispiel in Frankfurt nur mit Mühe eine Wohnung von 100 Quadratmetern in mittlerer Lage und Qualität bekommt, sind also rechnerisch 150.000 Euro nötig.
Im Durchschnitt haben die Haushalte mit einem Hauptverdiener im Alter zwischen 25 und 34 Jahren jedoch nur ein Bruttovermögen von 68.000 Euro. Netto, nach Abzug von Schulden, sind es nur 52.000 Euro. Darin enthalten sind bereits die zwölf Prozent dieser Altersgruppe, die bereits ein Haus oder eine Wohnung ihr Eigen nennen. Deren Immobilienvermögen macht allein schon die Hälfte des Vermögens dieser Altersgruppe aus. Das Finanzvermögen der jungen Haushalte beläuft sich im Durchschnitt auf etwas mehr als 20.000 Euro. Für die 89 Prozent in dieser Altersgruppe ohne Immobilienbesitz sieht es also schlecht aus, wenn sie eine Wohnung finanzieren wollen.
Haushalte ohne eigene Immobilie und größeres sonstiges Vermögen bleiben gänzlich außerhalb des von der Bundesbank beschriebenen positiven Rückkopplungssystems niedriger Zinsen. Ihnen fehlen die Basis für die Aufwertung der Sicherheiten und der Vermögensgewinn. Sie müssen zusehen, wie ihnen die Immobilienpreise immer weiter davonlaufen, und sich auf ein Leben als Mieter einrichten, mit ständig steigenden Mieten, auch relativ zu ihren Einkommen. Es sei denn, sie haben Eltern mit Geld oder weitgehend abgezahlten Immobilien, mit denen sie sich gut verstehen. Nur mit deren Hilfe haben sie eine Chance, die erste Sprosse der Immobilienleiter zu erklimmen.
Es sind also nicht die kleinen Sparer, die unter der Notenbankpolitik leiden. Es sind diejenigen ohne nennenswerte Vermögen und vor allem ohne Immobilienbesitz. Das sind normalerweise nicht diejenigen mit einer effektiven und lautstarken Lobby, was zu der Frage führt:
Warum dann solcher Widerstand?
Geschädigt durch die Niedrigzinspolitik der EZB werden die Banken und Versicherer, vor allem die deutschen. Die Banken können bei den meisten ihrer Kunden keine Negativzinsen durchsetzen und können daher ihre gewohnten Zinsmargen bei Nullzinsen nicht dauerhaft aufrecht erhalten. Die Versicherer, die überwiegend im festverzinslichen Bereich anlegen (müssen), leiden unter niedrigen Renditen auf ihr Anlagekapital.
Deutsche Banken und Versicherer halten in großem Umfang deutsche Staatsanleihen. Diese sind für Wertsteigerungen nicht auf die EZB-Käufe angewiesen. Je weniger Unterstützung die EZB Krisenländern gibt, desto mehr Fluchtkapital geht in Bundesanleihen und treibt deren Preise nach oben.
Auch Untenehmen mit Konkurrenten in Italien, Spanien und zum Teil Frankreich würden profitieren, wenn die EZB die dortigen Zinsen relativ zu den deutschen weniger nach unten drücken würde. Denn dann würde die Differenz in den Finanzierungskosten wieder größer, was den deutschen Unternehmen einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil gäbe. Den könnten sie nutzen, um den Konkurrenten Marktanteile abzunehmen, oder um diese gleich günstig aufzukaufen.
[21.5.2017]