Allmählich klärt sich das Rätsel um die Vereinbarung mit Griechenland und die anhaltenden Grexit-Andeutungen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Die Griechenland-Politik ist so inkonsistent, weil auf der Gegenseite Athens mächtige Spieler gegeneinander spielen und nicht miteinander. Schäuble, Bundesbank und deutsche Industrie widersetzen sich dem Willen der US-Regierung.
Am Donnerstag kam US-Finanzminister Jack Lew nach Berlin, um mit Finanzminister Wolfgang Schäuble Tacheles zu reden und ließ das die Öffentlichkeit auch wissen. Die Vereinbarung von Montag sei ein wichtiger Schritt zur Vertrauensbildung und zu einem Weg nach vorne für Griechenland innerhalb der Währungsunion, schrieb er Schäuble ins Stammbuch, der vor der Vereinbarung und nachher, ja selbst noch nach Lews Besuch öffentlich davon redete, dass ein Austritt Griechenlands vorzuziehen wäre. Zwei Tage später droht Schäuble im Interview mit dem Spiegel mit Rücktritt, für den Fall, dass ihn jemand zwingen wolle, gegen seine Überzeugungen zu handeln.
„Im Streit mit Kanzlerin Angela Merkel über die Griechenlandrettung ist Finanzminister Wolfgang Schäuble im äußersten Fall zum Rücktritt bereit. „Politiker haben ihre Verantwortung aus ihren Ämtern“, sagte er dem SPIEGEL. Niemand könne sie zwingen, gegen ihre Überzeugungen zu handeln. „Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten“, sagte Schäuble. (Lesen Sie hier das ganze Gespräch im neuen SPIEGEL.) In dem Gespräch räumte er ein, dass Merkel und er in den vergangenen Wochen bei der Rettung Griechenlands unterschiedliche Auffassungen vertreten hätten. „Es gehört zur Demokratie, dass man auch einmal unterschiedliche Meinungen hat“, sagte er.“
Rückblickend schält sich folgender Ablauf heraus:
Die US-Regierung hat natürlich die Lösung der Krise nicht allein den Europäern überlassen. Vielmehr hat sie über Frankreichs Regierung interveniert, die ein Team von Experten nach Athen schickte, um den Antrag auf Finanzhilfe so zu verfassen, dass er durchgeht. Schäuble torpedierte das mit seinem Grexit-Papier. Eine relativ ahnungslose Kanzlerin und ein nicht minder ahnungsloser SPD-Vorsitzender ließen sich überrumpeln oder wurden von Schäuble überzeugt, dass mit der Grexit-Drohung ein besserer Deal für Deutschlands Haushälter herauszuholen sein würde als die Amerikaner ihnen zugedacht hatten; insbesondere die Übereignung von griechischem Staatseigentum an einen Treuhandfonds als Garantien und weitere Garantien, dass man Umschuldungshilfen nicht nur gegen schnell vergessene Versprechen vergibt. Laut Schäubles Papier sollte der Fonds sogar von einer Tochter der deutschen KfW verwaltet werden, in deren Verwaltungsrat er sitzt.
Zu den Ereignissen, Interventionen und Wendungen ab dem griechischen Referendum gibt es einen recht guten Artikel der Welt.
Die Verhandlungen in Brüssel gestalteten sich entsprechend schwierig. Der französische Präsident Hollande und der italienische Regierungschef Renzi,, ja sogar der Österreichische Regierungschef zeigten sich öffentlich erbost über die Deutschen. Tsipras war unter den ganz anderen als avisierten Bedingungen nicht bereit zu unterschreiben.
Was genau in dieser Nacht passierte, weiß man nicht. Man kann sich aber ausmalen, dass die Amerikaner nicht amused waren und über Hollande oder direkt Merkel die Leviten lasen. Letztlich hat vermutlich den Ausschlag gegeben, dass die USA beiden Seiten Garantien gegeben haben, dass sie darauf achten würden, dass Griechenland die versprochene Entschuldung und Deutschland die ersehnte Kasteiung der griechischen Regierung bekommen.
Schäuble träumt zwar wie die Amerikaner von einem europäischen Föderalstaat mit notorisch klammen nationalen Regierungen, die immer mehr Kompetenzen nach Brüssel abgeben. Aber anders als die Amerikaner und vor allem die Franzosen will er eine dominierende Rolle Deutschlands in diesem Gebilde. Die bekommt er, wenn an Griechenland ein Exempel statuiert wird. Denn dann müssen alle anderen Krisenkandidaten sich noch viel mehr als bisher schon des unbedingten Wohlwollens der deutschen Regierung versichern, damit die Finanzmärkte nie Zweifel daran bekommen, dass sie im Fall einer spekulativen Attacke unterstützt werden. Insbesondere wird Frankreich dann wieder auf die Rolle des sklavisch dem deutschen Vorbild folgenden Juniorpartners zurückgeworfen, den es während der Franc-fort-Politik unter Mitterand hatte. Das wurde damals in Kauf genommen, um die Dominanz der Bundesbank mit Eintritt in die Währungsunion endgültig – wie man damals meinte – brechen zu können.
Das erklärt auch schon die Haltung der Bundesbank, deren Führung mit ihren Worten und Taten deutlich näher bei Schäuble als bei der Europäischen Zentralbank liegt, der sie sich im jetzigen System noch zu unterwerfen hat.
Auch die deutsche Industrie und Finanzbranche kann dem Schäuble-Plan einiges abgewinnen. Denn wenn die Währungsunion als nicht mehr unauflöslich markiert wird, haben ihre Konkurrenten in anderen Ländern mit dauerhaft höheren Refinanzierungskosten zu kalkulieren. Das bringt der deutschen Wirtschaft ganz erhebliche Kostenvorteile, mit denen sie die Konkurrenz auf Abstand halten kann. Seit 2010 haben BMW, VW und Daimler ihren Marktanteil in Europa um ein Sechstel auf über 37 Prozent gesteigert. Fiat kann mit seinen hohen Kapitalkosten kaum noch konkurrieren.