Das EU-Verbindungsbüro des Bundestags hat Ende Januar in seinem Bericht aus Brüssel Nr. 1/2025 den Stand der Beratungen zur Einführung des digitalen Euro zusammengefasst. Es ist ein eher in Moll gehaltener Sachstandsbericht, den ich hier kurz zusammenfassen und kommentieren will.
Auffällig ist, dass an keiner Stelle ein (Haupt-)Ziel der Einführung eines digitalen Euro genannt wird. Der digitale Euro scheint entweder eine Lösung auf der Suche nach einem Problem zu sein, oder ein Projekt, dessen Ziel nicht öffentlich kommuniziert wird. Das sind keine guten Voraussetzungen um Meinungsverschiedenheiten und Kompetenzgerangel zu überwinden.
Dem Bericht zufolge hat sich wenig getan, seit die EU-Kommission im Juni 2023 ihren Verordnungsvorschlag zum digitalen Euro vorgelegt hat. Daran werde sich unter der derzeitigen polnischen Ratspräsidentschaft wohl auch wenig ändern. Erst in der zweiten Jahreshälfte, unter dänischer Präsidentschaft, werde es mit den Verhandlungen wieder vorangehen. Die Beratungen im EU-Parlament würden sogar wieder ganz von vorne beginnen. Denn der Berichterstatter des Parlaments hat nach den Parlamentswahlen gewechselt und der Bericht des vorherigen Berichterstatters wurde vor den Wahlen im Parlament nicht behandelt. Der neue Berichterstatter, der spanische Konservative Fernando Navarrete Rojas, findet seinen öffentlichen Äußerungen zufolge die Einführung eines digitalen Euros für alle Bürger keine gute Idee.
Vom Treffen der Finanzminister der Euro-Länder (Euro-Gruppe) heißt es, dass es „grundlegende Differenzen“ zwischen den Mitgliedstaaten gebe. Außerdem stritten sich EZB und Mitgliedstaaten über die jeweiligen Kompetenzen. So will die EZB sich bei der technischen und strukturellen Ausgestaltung des digitalen Euro nicht reinreden lassen. Einige Mitgliedstaaten wollen das aber nicht akzeptieren, da sie Sorge haben, dass die EZB auf diese Weise Fakten schafft, und die Regierungen das Ergebnis nur noch abnicken können.
Auch bei der Obergrenze für das Halten von digitalen Euro gibt es Kompetenzstreit. Es ist beabsichtigt, eine solche Obergrenze einzuziehen, damit die Bürger und Unternehmen nicht zu viel Geld auf einmal aus dem Privatbankensektor abziehen können. Die EZB will darüber allein entscheiden, Regierungen wollen mitreden.
Besonders pikant ist der Streit um den Schutz der finanziellen Privatsphäre. Auf der einen Seite stehen einige Regierungen, die ihre Bürger besonders eng überwachen wollen, auf der anderen die EZB und die übrigen Regierungen. Letztere Gruppe will sicherstellen, dass persönliche Daten aus Transaktionen in digitalen Euro für die EZB und die nationalen Zentralbanken nicht nachvollziehbar sind. Die erstere will einen Zugang zu den Daten, mit dem Argument der Bekämpfung von Geldwäsche. Die EZB versichert der Öffentlichkeit seit geraumer Zeit, sie werde keinen Zugang zu den persönlichen Daten haben. Dass sie das tatsächlich sicherstellen kann, scheint aber mindestens fraglich.
Sogar in der Frage, wer über die Einführung des digitalen Euro entscheiden darf, streiten sich EZB und Regierungen. Die EZB meint, sie könne das allein entscheiden. Die Regierungen meinen dagegen, die EZB brauche ihre Zustimmung.
Dass die neue US-Regierung und die US-Notenbank eigene Pläne zur Einführung eines digitalen Euro begraben haben, und „dem Vernehmen nach“ die Einführung eines vom Dollar gedeckten, internationalen Zahlungsmittels (Stablecoin) erwägen, nennt der Bericht als möglichen Impuls um beim digitalen Euro in die Gänge zu kommen. Denn mit dem digitalen Euro könne eventuell verhindert werden, dass das europäische Zahlungssystem (noch stärker; N.H.) unter US-Kontrolle gerät. „Ob dies realistisch ist, bleibt jedoch abzuwarten“, äußern die Autoren ihre Skepsis.
Stablecoins sind Kryptowährungen, deren Ausgabevolumen durch das Versprechen begrenzt ist, dass die ausgebende Stelle sie zu einem festen Kurs in Dollar umtauscht. Die dafür nötige Menge an Dollars muss die ausgebende Stelle besitzen. Wenn die ausgebende Stelle kein privates Unternehmen ist sondern die US-Regierung oder -Notenbank stellt das kein Problem und keine wirkliche Begrenzung dar. Der Unterschied einer von der US-Regierung oder -Notenbank ausgegebenen Stablecoin und einem digitalen Dollar liegt vor allem darin, dass letztere eine digitale Erscheinungsform des Dollars ist, gleichwertig zum Bargeld. Eine Stablecoin ist dagegen nur ein Zahlungsmittel, das einen festgelegten, aber grundsätzlich doch änderbaren Wechselkurs zum Dollar hat. Das ist vergleichbar, mit dem festen Wechselkurs zwischen Gold und Dollar im Währungssystem von Bretton Woods. Dieses Festkurs-Versprechen brachen die USA 1972, als sie aufhörten, Gold für Dollar herauszugeben, worauf der Dollar gegenüber Gold stark abwertete.
Bemerkenswert ist, von welchem in der Öffentlichkeit sehr strittigen Aspekt in dem Bericht gar nicht die Rede ist: vom Verhältnis des digitalen Euro zum Euro-Bargeld. Hier steht die Sorge im Raum, dass der digitale Euro – absichtlich oder unabsichtlich – die Verdrängung und letzlich Abschaffung des Bargelds beschleunigen oder erst ermöglichen könnte. Genährt wird der Verdacht dadurch, dass die Richtlinie der EU-Kommission zum digitalen Euro eine sehr weitgehende Annahmeverpflichtung für den Handel vorsieht, während die parallele Bargeld-Vorordnung hierauf für das Bargeld verzichtet. Dem Vernehmen nach ist die Bundesregierung eine treibende Kraft hinter dieser bargeldfeindlichen Festlegung.
Auch die skeptische Haltung der Bevölkerung gegenüber dem digitalen Euro, die mit dem Verhältnis zum Bargeld zusammenhängt, wird nur für die Niederlande referiert, nicht jedoch für Deutschland (und Österreich), wo sie nach meiner Wahrnehmung ebenso gegeben ist. Möglicherweise erklärt sich die Auslassung dadurch, dass der Auswärtige Dienst die Bundestagsabgeordneten nur über Brüsseler und internationale Aspekte informieren will, nicht über das, was in der Heimat vorgeht.
Wie bereits verschiedentlich dargelegt, gehe ich davon aus, dass der Hauptzweck des digitalen Euro wäre, die Abschaffung des Bargelds zu begleiten und zu befördern. Damit zusammenhängend sollen die Digitalwährungen eine radikale Digitalisierung und Automatisierung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens ermöglichen, so wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) das dargelegt hat. Das würde bedeuten, dass die Bürger immer mehr zum Rädchen einer automatisch ablaufenden Maschinerie würde, das jederzeit umfassend automatisiert überwacht und gesteuert werden kann. Als Spitzeninstitut der Zentralbanken, das weniger im Fokus der Öffentlichkeit steht, kommuniziert die BIZ bei sensiblen Sachverhalten offener als die EZB und die anderen Zentralbanken.
Fazit
Eine unklare Zielsetzung, Kompetenzgerangel und Interessengegensätze zwischen privater Finanzbranche, Regierungen und EZB hemmen die Einführung des digitalen Euro. Hinzu kommt seit kurzem, dass sich die USA gegen das Projekt der digitalen Währungen wenden und stattdessen auf Kryptowährungen setzen. Dies macht es eher unwahrscheinlich, dass es gelingt, ein funktionierendes internationales Zahlungssystem auf Basis von digitalen Währungen einzurichten. Die Zukunft des digitalen Euro ist sehr unsicher geworden. Das ist gut.