Revisionsbegründung Teil 6: Unerlaubte richterliche Rechtsfortbildung

Unerlaubte richterliche Rechtsfortbildung

Sowohl das Verwaltungsgericht als auch der Verwaltungsgerichtshof haben – insoweit übereinstimmend – erkennbar die Auffassung vertreten, der Wortlaut des § 14 I S. 2 BBankG bedürfe einer Modifikation durch den Rechtsanwender, da er dem von ihnen gefundenen Ergebnis im Wege steht. Im ersten Rechtszug des vorliegenden Rechtsstreites hat das Verwaltungsgericht – wie dargelegt – zur (dort methodologisch nicht weiter begründeten) Technik der teleologischen Reduktion gegriffen, um die Vorgehensweise des Beklagten für legitim halten zu können. Im zweiten Rechtszug hat der Verwaltungsgerichtshof erklärt, einer teleologischen Reduktion nicht zu bedürfen; er eröffnete dem Beklagten stattdessen die Möglichkeit zur Abweichung von dem Normbefehl des § 14 I S. 2 BBankG dadurch, daß er erklärte, jener Normbefehl stehe im „falschen“ Gesetz, weswegen er nicht die Bedeutung habe, die sich aus seinem Wortlaut zu ergeben scheine. Da beide Entscheidungen sich auf eine positivierte Gesetzesnorm zur Begründung ihrer Rechtserkenntnis nicht berufen konnten, gingen sie offenbar von einer Lücke des Gesetzes aus.

Die Normsetzungsfunktion eines Gerichtes im Lückenbereich ist zwar allgemein anerkannt. Der Rechtsanwender findet in einem solchen Falle für den zu entscheidenden Sachverhalt positivierte Rechtsnormen, unter die er subsummieren kann und die nach den allgemeinen Kriterien der Gesetzesauslegung von ihm angewendet werden müssen. Die nach diesen Methoden auszusprechenden Rechtsfolgen erscheinen ihm jedoch aus schwerwiegenden Gründen als unvertretbar. Die Rechtsanwender – im vorliegenden Falle die entscheidenden Richter des ersten und zweiten Rechtszuges – glaubten daher, das in § 14 I S. 2 BBankG enthaltene Gebot nicht befolgen zu dürfen. Die Vorinstanzen folgten ihrem Zweifel und verließen somit ihre Rolle als gesetzesgebundene Richter. Statt „schlicht“ das Recht fortzubilden, bildeten sie das Recht durch Gesetzesablehnung um.

In der Sache erkennt zwar auch die hier mit der Revision angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichtes tatsächlich nicht eine „Lücke“ des Gesetzes, sondern – in der Sicht des Berufungsgerichtes – eher einen „Fehler“ des Gesetzes. Wird ein Gericht indes in solchen Fällen vom gehorsamen Diener des Gesetzes zu seinem kritischen Korrektor, so bleibt seine Bindung an „Gesetz und Recht“ nach Art. 20 III GG erhalten. Rüthers/Fischer/Birk (Rechtstheorie, 9. Auflage, 2016) führen, dies weiter konkretisierend, zutreffend aus:

„„Allerdings ist die Berichtigung gesetzlicher Gebote an besonders strenge Voraussetzungen gebunden, wenn die verfassungsgesetzliche Gewaltentrennung und der Normsetzungsvorrang der Gesetzgebung vor der Justiz erhalten bleiben sollen. Deshalb sind die Gerichte nach Art. 100 I GG verpflichtet, ein nachkonstitutionelles Gesetz dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, wenn sie es für verfassungswidrig halten. Nach dem Vorstehenden sind drei Funktionsbereiche der Rechtsprechung zu unterscheiden:

– Der erste besteht in der Auslegung und Anwendung vorhandener einschlägiger Gesetzesvorschriften auf die anstehenden Rechtsfälle. Die Gerichte handeln hier in ‚denkendem Gehorsam‘.

– Der zweite betrifft die richterliche Annahme von Gesetzeslücken, die Begründung dieser ‚Lückenfeststellung‘ und die richterliche Ausfüllung der Lücken mit rational nachprüfbaren Argumenten. Soweit der Richter für die Lückenausfüllung Anhaltspunkte im positiven Recht findet, geht es dabei um Rechtsfortbildung. Fehlen solche Anhaltspunkte, so ist er zur Rechtsneubildung aufgerufen. Man spricht auch von Rechtsfortbildung ‚praeter legem‘.

– Der dritte, besonders problematische Bereich betrifft richterliche ‚Gehorsamsverweigerung‘ gegenüber bestehenden Gesetzesvorschriften. Die Gerichte verdrängen und ersetzen gesetzliche Wertungen durch richterliche Eigenwertungen. Man spricht von Richterrecht ‚contra legem‘.“

(Rüthers/Fischer/Birk a. a. O. Rn 827 f.)

Die in der angefochtenen Entscheidung zum Ausdruck kommende Eigenwertung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach Gründe allgemeiner Verwaltungspraktikabilität im Massenverkehr dazu nötigten (und normativ legitimierten), einen seinem Wortlaut nach klaren, kategorischen und unbedingten Normbefehl für kraftlos zu erklären, enthalten eine Entfernung des rechtsanwendenden Richters von dem gesetzlichen Befehl.

Je weiter sich ein Rechtsanwender indes von den positivierten Normen eines Gesetzes entfernt, umso mehr ist er verpflichtet, sein Abweichen auch rational zu begründen. Daran fehlt es sowohl der erstinstanzlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes (die ihre teleologische Reduktion – wie dargelegt – methodologisch nicht ansatzweise begründet) als auch – erst recht – der angefochtenen Berufungsentscheidung, die lediglich erklärt, der Normbefehl aus § 14 I S. 2 BBankG stehe in einem „falschen“ Gesetz, ohne zu plausibilisieren, in welchem anderen Gesetz der Gesetzgeber nach Auffassung des Berufungsgerichtes diesen kategorischen Befehl richtigerweise hätte aussprechen müssen, um sicherzustellen, daß er allgemein Beachtung findet.

Wird aber im Rahmen teleologischer Reduktionen zur Lückenfüllung oder gar zu berichtigenden Korrektur eines vermeintlich fehlerhaften Gesetzes rechtsschöpferisch Rechtsfortbildung getrieben, so setzt dies Kenntnis des Rechtsanwenders (vorliegend des Richters) darüber voraus, welches der richtige „Plan“ der Gesetzgebung insgesamt richtigerweise gewesen sei:

„„Ist der Plan der Gesetzgebung maßgebend, dann zielt die Lückenfeststellung und Ausfüllung auf eine Gesetzesergänzung. Je mehr die Definitionskompetenz über die Planwidrigkeit dem Richter zugesprochen wird, umso größer wird dessen Möglichkeit, über den Lückenbegriff das Gesetz zu korrigieren statt zu ergänzen. Die Lückenfeststellung bezeichnet dann den Funktionswandel der Gerichte von der Rechtsanwendung zur richterlichen Gesetzgebung. Die Richter wandeln sich in solchen Fällen von Gehilfen der Gesetzgebung zu Herren der Rechtsordnung durch eigene Normsetzungen.“

(Rüthers/Fischer/Birk a. a. O. Rn 839)

Der Kläger hat nicht nur wiederholt dargelegt, daß Notenbankgeld (Banknoten) und Giralgeld jeweils etwas grundsätzlich anderes darstellen. Er hat auch – wiederholt in der hiesigen Revisionsbegründung – erläutert, aus welchen wohlerwogenen Gründen die einhellige Rechtsmeinung der Fachliteratur ausschließlich Notenbankgeld als das gesetzliche Zahlungsmittel ansieht, nicht aber Zahlungssurrogate oder diverse Leistungen an Erfüllungs statt. Die diesbezüglichen Stimmen der Literatur stehen – wie ebenfalls dargelegt – in Übereinstimmung mit den klaren Wertentscheidungen auch der europäischen Gesetzgebung. Daß das Verwaltungsgericht in der erstinstanzlichen Entscheidung ein Ziel, d. h. ein „télos“ bei der von ihm vorgenommenen teleologischen Reduktion überhaupt nicht definiert hat, ist insoweit bezeichnend. Weder das Verwaltungsgericht, noch auch der Verwaltungsgerichtshof haben argumentativ erwogen, welche geldrechtlichen Konsequenzen sich ergäben, würde man ihrer Auffassung folgen, Giralgeld dem Notenbankgeld simpel gleichzustellen. Daß – beispielsweise – die Zentralbanken Gefahr liefen, die ihnen wesentlich zur Aufgabe gemachte Kontrolle über die Geldmenge zu verlieren, war von dem Kläger bereits ausgeführt worden. Dies gilt insbesondere in Ansehung des Umstandes, daß die ökonomisch besonders gewichtige Frage des Massenzahlungsverkehrs in Ansehung ihrer Volumina besonders geeignet ist, Geldmengenkontrollregularien zu tangieren.

Die angefochtene Berufungsentscheidung hat daher die von ihr thematisierten Wirkzusammenhänge des Geldwesens nicht näherungsweise erfasst und thematisiert. Dies stellt sich als rechtsfehlerhaft dar:

„„Jede Normsetzung, also auch die richterliche Ersatzgesetzgebung im Lückenbereich, hat die vorgegebenen Fakten und Wirkungszusammenhänge des Lebensbereiches zu beachten, die sie regeln will. Tut sie das nicht, so werden die Regelungsziele im Zweifel verfehlt.“

(Rüthers/Fischer/Birk a. a. O. Rn 921)

Alle bislang mit den in Rede stehenden, grundsätzlichen Rechtsfragen befassten Instanzgerichte haben den Gesetzbefehl über den Vorrang des Notenbankrechtes mit mehr oder minder unbestimmten eigenen Erwägungen zur Verwaltungspraktikabilität ausgehebelt. Dies gilt es in dem vorliegenden Rechtsstreit zu berichtigen, andernfalls nur noch der Gesetzgeber das Erodieren der Bedeutung des Bargeldes als dem zentralen Anker der Gesamtrechtsordnung aufhalten könnte:

„„Ein Aufstand gegen das Gesetz findet objektiv auch dort statt, wo ein Gericht eine im geltenden Gesetz nicht vorhandene, vermeintliche ‚verdeckte Regelungslücke‘ erfindet, um in der angeblichen Lücke gesetzeswidrige richterliche Eigenwertungen zur Geltung zu bringen. Die Gesetzgebung muß bisweilen die aus einer solchen Rechtsprechung entstehenden Rechtsunsicherheiten und Fehlsteuerungen durch eine Gesetzesnovelle korrigieren.“

(Rüthers/Fischer/Birk a. a. O. Rn 948)

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