Gestern zitierte ich einen Absatz aus einem Text, der auf Welt.de erschienen ist. Unter dem Titel „Welt.de moniert, dass Griechen die falsche Rasse für die EU haben„, nannte ich die Passage rassistisch. Der Autor nimmt nun Stellung.
Sehr geehrter Herr Häring, da ich gestern auf einer Klausurtagung in der Uckermark war, komme ich erst jetzt dazu, Ihre Anfrage zu beantworten.
Zunächst einmal zur Form: Sie zitieren zwei Sätze aus einem Text, der 170 Zeilen lang ist und die Auflösung der Heiligen Allianz des 19. Jahrhunderts zum Thema hat. Den Artikel „rassistisch“ zu nennen, geht dann doch wohl zu weit. Es handelt sich um eine kurze Passage, die aus dem Zusammenhang gerissen ist.
Wie Sie auch in anderen Beiträgen, die ich zum Thema Griechenland geschrieben bzw. verantwortet habe, lesen können, ist mir die „Rasse“ der Griechen oder ihrer Nachbarn völlig egal. Es geht mir nicht um völkische Zugehörigkeit, sondern um kulturelle Prägungen. Darunter sind Einstellungen und Normen zu verstehen, die das Handeln von Gesellschaften ausmachen. In diesem Fall geht es darum, dass das Griechentum des frühen 19. Jahrhunderts von Byzanz, der Orthodoxie und der jahrhundertelangen osmanischen Fremdherrschaft geprägt wurde und nicht von der Erinnerung an die antiken Hellenen und ihre Geschichte.
Dass die Griechen der Neuzeit aber genau dies seien, nämlich die Nachfahren eines Perikles, trieb die europäische Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert um. Dabei übersahen die Philhellenen nicht nur die byzantinische Wirkung auf die griechische Kultur, sondern auch die Einflüsse, die Einwanderer und Invasoren durch die Jahrhunderte nach Griechenland brachten. Slawen und Albaner sind nur einige davon. Auch die Venezianer und Engländer (auf den Ionischen Inseln) haben deutliche Spuren in der politischen Kultur des neuzeitlichen Griechentums hinterlassen. Und natürlich die Türken. Dass die politische Kultur des neugriechischen Nationalstaats nachhaltig von den Mentalitäten und sozialen Strukturen der Fremdherrschaft beeinflusst wurde, werden Sie kaum bezweifeln.
Da mein Beitrag das Scheitern der Heiligen Allianz und nicht die Fehldeutungen des Philhellenismus und seiner Gefolgsleute in der Gegenwart zum Thema hatte, habe ich diesen Zusammenhang nicht weiter vertieft, sondern auf frühere Ausführungen verlinkt (https://www.welt.de/geschichte/article140470041/Griechenlands-mittelalterlicher-Systemfehler.html). Gleichwohl zeigt mir Ihre Anfrage, dass ich das künftig wohl machen sollte.
Mit freundlichen Grüßen, Berthold Seewald