Über den in Corona-Neusprech formulierten Impfpflicht-light-Vorschlag der sechs grüngelben Abgeordneten

26. 01. 2022 | Am Beispiel des Vorschlags für eine Impfpflicht-light ab 50 von sechs Abgeordneten der Grünen und der FDP lässt sich schön zeigen, woran die Argumente der Impfpflichtbefürworter kranken: An schlampigen Begriffen und Formulierungen, mit denen die Debatte ein falsches Framing bekommt und mit denen sich die Abgeordneten darum drücken, wichtige Fragen zu beantworten.

Heute debattiert der Bundestag über Vorschläge zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht.

Ich habe den Vorschlag von Andrew Ullmann, Gyde Jensen und Konstantin Kuhle (FDP), sowie Dieter Janecek, Paula Piechotta und Kordula Schulz-Asche (Grüne), bisher nur in einem Tweet des Journalisten Tim Röhn gefunden. Auf der Webseite des Federführers Andrew Ullmann ist er nicht zu finden. Deshalb kann ich nicht darauf verlinken. Mag an mir liegen.

Tendenziöses Framing

Die sechs Abgeordneten benutzen folgende tendenziösen bis irreführenden Begriffe und Formulierungen (wo einschlägig, verlinke ich auf das Corona-Neusprech-Kompendium):

„Die Gesellschaft teilt sich nicht nur in Impfgegner und Geimpfte.“

Impfgegner“ ist ein unangemessener politischer Kampfbegriff, der alles über einen Kamm schert, diejenigen, die jede Impfung ablehnen, diejenigen, die die neuartigen, im Schnellverfahren getesteten Covid-19-Impfstoffe generell ablehnen, oder nur für sich selbst, weil sie in ihrem persönlichen Fall die Risiko-Nutzen-Abwägung zu ungünstig finden.

Statt „Geimpfte“ und „Impfgegner“ müsste es heißen „gegen Covid-19 Geimpfte“ und „Menschen, die sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen wollen“. Das ist zugegeben viel länger, aber die Kurzform verzerrt stark in eine Richtung. Mindestens einmal am Anfang müsste daher die richtige Formulierung benutzt werden. Die allermeisten Menschen, die sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen wollen, sind gegen verschiedene Krankheiten wie Masern, Mumps, Windpocken und Röteln geimpft und lassen ihre Kinder dagegen impfen. Das zeigt, dass sie eben keine „Impfgegner“ sind.

„Es gibt eine große Anzahl Menschen, die nicht geimpft sind, obwohl sie überzeugt werden könnten.“

Wie gesagt, die allermeisten der nicht gegen Covid-19-Geimpften sind „geimpft“ . Wichtiger aber:

Das ist der einzige Aspekt, den die Abgeordneten zwischen „Impfgegner“ und „Geimpften“ ausmachen. Nichts zu all den tatsächlichen Graustufen zwischen den beiden falsch bezeichneten Extremen.

Nichts zu den Geimpften, die sich mit dem zugelassenen und angeblich hochwirksamen Janssen-Impfstoff haben impfen lassen und seit kurzem plötzlich als nicht mehr geimpft gelten. Impfgegner?

Nichts zu den Genesenen, die bereits eine Covid-Infektion durchgemacht haben und aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse guten Grund haben, anzunehmen, dass ihre Immunität mindestens so gut und langanhaltend ist, wie die der „Geimpften“. Genesenen, denen aber aufgrund einer kürzlich ergangenen willkürlichen Entscheidung des RKI, und entgegen dem, worauf man sich mit Zustimmung der Bundesregierung in der EU erst am 25.1. geeinigt hat, ihr offizieller Genesenenstatus auf effektiv etwas über zwei Monate reduziert wurde. Sind das ungeimpfte Impfgegner?

Nichts dazu, mit wie vielen Dosen intus man kein Impfgegner mehr, sonder vollständig geimpft ist. Es gibt momentan je nach Zählweise nebeneinander drei oder mehr offizielle Definitionen, wann man als vollständig geimpft gilt.

Nichts zu denen, die entweder von vorneherein nicht geimpft werden dürfen, oder die nach einer ersten Impfung ernsthafte Nebenwirkungen erlitten haben.

„Wir schlagen ein verpflichtendes, professionelles Beratungsgespräch für alle volljährigen Ungeimpften in Deutschland vor.“

Also auch für Genesene? Spätestens sobald die verkürzte Laufzeit ihres Status abläuft? Oder die Laufzeit laut EU-Vereinbarung? Für alle „Geimpften“, sobald sie durch Zeitablauf in den Status des nicht mehr vollständig gegen Covid-19 Geimpften absinken? Auch für Ärzte und andere Fachleute, die sich die neuartigen Impfstoffe nicht (regelmäßig) spritzen lassen wollen?

„Im Anschluss der Beratung besteht die Möglichkeit, sich freiwillig impfen zu lassen.“

Im Anschluss an die verpflichtende „Beratung“ darf man sich „freiwillig“ Impfen lassen. Das ist zwar ein bisschen freiwilliger als das die Freiwilligkeit, die laut Karl Lauterbach auch bei einer Impfpflicht noch gegeben ist, aber nicht viel.

Menschen über 50 sollen ja zur Duldung der Impfung verpflichtet werden. Ist es dann wirklich freiwillig, wenn sie es nach einen „Beratungs“-Gespräch, in dem ihnen diese absehbare oder bis dahin schon bestehende Pflicht nahegebracht wird, hinter sich bringen wollen und sich spritzen lassen – unter frischem Eindruck der oft mit hoher Intensität und Einseitigkeit vorgebrachten Argumente. Mein impfwütiger Hausarzt, schreckte nicht einmal davor zurück, meine „Vorerkrankungen“ und mein Alter als Argumente anzuführen. Ich habe keinerlei relevante Vorerkrankungen und bin noch keine 60.

„So können wir viele Fehlinformationen entkräften und die Impfquote steigern.“

Ein Beratungsgespräch mit klar definiertem Ergebnis dieser Art ist keine Beratungsgespräch, sondern ein Überredungsgespräch, oder, im Fall derer, die mit Impfpflicht bedroht werden, ein Druckausübungsgespräch. Und alle Beteiligten wissen das. Argumente gegen die Impfung mit den neuartigen Impfstoffen werden von vorne herein alle als „Fehlinformationen“ und (irrationale) Ängste diskreditiert.

Das ist anders als etwas beim verpflichtenden Beratungsgespräch vor einem Schwangerschaftsabbruch, das man Beratungsgespräch nennen darf. Dort besteht das Ziel zwar auch darin, manche Abbrüche zu verhindern. Aber es gibt nicht diese Grundannahme, dass alle Argumente und Motive dafür abzulehnen sind.

Impfpflicht ab 50

Das war Teil 1 des Vorschlags. Teil 2 beginnt mit der Überschrift:

„Im zweiten Schritt eine Impfnachweispflicht ab 50.“

Statt des hässlichen Wortes „Impfpflicht“ wird der Begriff „Impfnachweispflicht“ gewählt. Es ist aber dasselbe.

„Ziel der Pandemiebekämpfung ist es, das Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen.

Seit kurzem ist das erste Ziel der Pandemiepolitik laut Corona-Krisenstab der Schutz der kritischen Infrastruktur vor zu vielen krankheitsbedingten Ausfällen. Aber man muss den Abgeordneten mildernde Umstände einräumen. Es ist tatsächlich schwer, auf dem Laufenden zu bleiben, was die Ziele und Erfolgskriterien der Pandemiepolitik angeht. Sie ändern sich ständig. Erst war es der Schutz der Krankenhäuser vor Überlastung, dann speziell der Intensivabteilungen und noch spezieller der Beatmungskapazitäten, dann wieder die Krankenhäuser (Hospitalisierungsinzidenz), aber das wurde dann wieder aufgegeben, bevor es richtig eingeführt wurde.

Derzeit allerdings gibt es keinerlei Indizien, dass eine Überlastung der Beatmungskapazitäten drohen könnte, kaum welche, dass eine Überlastung der Intensivabteilungen drohen könnte (die Belegung mit Covid-Patienten hat sich trotz steilem Anstieg der Fallzahlen halbiert) und nur schwache Indizien, dass eine (in den Folgen weniger dramatische) Überlastung der Krankenhäuser drohen könnte.

„Dazu bedarf es einer höheren Impfquote. Sollte sich nach einer vorgegebenen Zeit nach Einführung der verpflichtenden Impfaufklärung die erforderliche Impfquote nicht einstellen, so muss in einem zweiten Schritt eine Impfnachweispflicht ab 50 Jahren folgen.“

Auch die erforderliche Impfquote ist ein bewegliches Ziel. Die anfangs genannten Quoten sind inzwischen erreicht. Dann wurde laufend nach oben angepasst, oder ganz darauf verzichtet, konkrete Zahlen zu nennen, so wie es diese schlauen Abgeordneten tun. Eine bestimmte Impfquote ist nötig, aber wir verraten nicht, wie hoch sie ist. Wenn die Quote, von der wir nicht sagen,wie hoch sie ist, nicht erreicht wird, dann kommt die Impfpflicht, pardon: Impfnachweispflicht.

Implizit wird die gewagte Behauptung aufgestellt, dass eine höhere Impfquote zuverlässig bewirkt, dass eine Überlastung des Gesundheitssystems nicht mehr auftreten kann. Skeptiker dürfen fragen: Warum hat die schon recht hohe Impfquote denn so gar nicht geholfen? Warum müssen wir diese Diskussion jetzt trotzdem führen? Welches Land mit deutlich höherer Impfquote als Deutschland hat es damit geschafft, die Pandemie im Sinne von hohen Infektionszahlen wirksam einzudämmen? Die Antworten auf diese, von den schlauen Abgeordneten umschifften Fragen fallen unvorteilhaft bis ernüchternd aus.

Das „COVID-19 Impfquoten-Monitoring in Deutschland“, die COVIMO-Studie, hat festgestellt, dass die Impfquote in der relevanten Altersgruppe ab 60 Jahren sehr hoch ist. Bereits Mitte Oktober lag sie für die Altersgruppe von 60 bis 69 Jahren bei 93,5 Prozent, zwischen 70 und 79 Jahren bei 95,5 Prozent und bei den über 80-Jährigen bei 96,6 Prozent. Was soll bei diesen Impfquoten eine Impfpflicht ab 50 Jahren im Hinblick auf die Abwendung einer Überlastung des Gesundheitssystems bewirken?

„Wir möchten bei der Impfpflichtdebatte für den Mittelweg werben und diesen Mehrheitsfähig machen.“

Welche Gefahr gerade in Impfpflicht-light-Versionen schlummert, habe ich im folgenden Beitrag aufgeschrieben:

Warum eine Impfpflicht light besonders großen Schaden anrichten kann

Kurz zum Inhaltlichen

Ich bezweifle stark, dass es noch viele Menschen gibt, die sich aus Bequemlichkeit noch nicht haben impfen lassen. Dafür sind die Schikanen gegen nicht Geimpfte viel zu umfassend.

Bleiben diejenigen, die die Risiko-Nutzen-Abwägung für sich oder generell zu ungünstig finden und diejenigen, die Impfungen generell ablehnen, etwa, weil sie (nur) auf körpereigene Abwehrkräfte vertrauen.

Letztere wird man mit keinem Überredungsgespräch in nennenswerter Zahl umstimmen können. Erstere haben inzwischen mehrheitlich so viele Erklär- und Thesen-Videos und -Papiere gesichtet, dass ebenfalls fraglich ist, ob sich viele von ihnen durch ein viertel- oder halbstündiges Gespräch mit einer Person, von der sie wissen, dass sie den Auftrag hat, sie umzustimmen, tatsächlich umstimmen lassen (sieht man einmal vom Schwingen der Peitsche Impfpflicht ab).

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