2. 08. 2015 | Bankaufseher sind nicht unabhängig. Sie sind in einem Maße mit den Beaufsichtigten verfilzt und können von diesen in einem Maße finanzielle Vorteile erwarten, dass Vertrauen in ihr Handeln im allgemeinen Interesse in hohem Maße naiv wäre. Zugegeben, starker Tobak: begründet aber anhand der jüngsten Empfehlungen der Group of 30 zur Bankaufsicht.
Der Gruppe der 30 (Group of Thirty), gegründet 1978 auf Initaitive der Rockefeller-Foundation, gehören etwas über 30 aktive und ehemalige Topmanager an, von großer internationaler Finanzinstituten und Zentralbanken, außerdem ehemalige und aktive Regierungsmitglieder und ein paar Alibi-Professoren. Die Überschneidung der Funktionen ist enorm. Es gibt darin zehn ehemalige Zentralbanker, die heute ein zumeist sehr hohes Salär als Topmanager einer internationalen Finanzinstitution verdienen. Allein schon durch die Lebensläufe der Mitglieder der Group of Thirty wird offenkundig, dass es die Norm für ein Führungsmitglied einer wichtigen Zentralbank ist, später in der privaten Finanzbranche sehr viel Geld zu verdienen. Aber das klappt natürlich nur, wenn man sich diese nicht vorher als scharfer Aufseher zum Feind gemacht hat.
Neben den zehn Bankern, die früher Zentralbanker waren, gibt es umgekehrt noch drei aktive Zentralbanker, die früher hochkarätige Privatbanker waren, und zwar alle bei der gleichen Firma, Goldman Sachs. Es sind dies die Präsidenten von drei der wichtigsten Zentralbanken der westlichen Welt, nämlich EZB-Chef Mario Draghi, der Chef der Bank von England, Mark Carney, und der Chef der Federal Reserve of New York, William Dudley, der für die Aufsicht über die Wall Street zuständig ist.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass die New York Fed ganz offiziell den Wall-Street-Banken gehört und Ihr Chef Dudley von einem Aufsichtsrat beaufsichtigt wird, in dem die Vertreter eben der großen Banken sitzen, die er beaufsichtigt.
Dann gibt es in der Gruppe der 30 noch einige aktive Zentralbankchefs der weltweit wichtigsten Zentralbanken, einschließlich China, Japan, Indien, ohne Finanzmanagerhistorie und natürlich Top-Banker ohne Zentralbankhistorie.
Das Übergewicht der Wall Street ist erdrückend. 13 Mitglieder der Group of 30 kommen von US-Institutionen. Aus Großbritannien und Japan je drei, aus Deutschland und ein paar anderen Ländern je zwei. Es sind das der Ex-Bundesbankchef und jetzige UBS-Chef Axel Weber, sowie der ehemalige Bundesbanker und IWF-Abgesandter Gerd Häusler.
Von den privaten Banken ist Goldman Sachs mit vier, Morgan Stanley mit drei aktiven und ehemaligen Vertretern am stärksten präsent.
Das also ist die Gruppe, in der die wichtigsten aktiven Zentralbanker der Welt und 18 Topmanager von großen internationalen Finanzinstituten Mitglied sind.
Und was machen sie da?
Sie erarbeiten unter anderem gemeinsam, wie gute Aufsicht über diese großen internationalen Finanzinstitute auszusehen hat und veröffentlichen das Ergebnis, damit die Banker und Aufseher der unteren Ebene wissen, wie sie sich verhalten sollen.
Ein Problem in Sachen Unabhängigkeit der Aufseher? Schließlich üben ja die Zentralbanker die Aufsicht über die Geschäftsbanken aus.
Ja und Nein, meinen die Zentralbanker.
Nein, denn in den G30-Berichten wird die Interessenharmonie zwischen Aufsicht und Beaufsichtigten gebührend betont.
Ja, denn so ganz eng wollen die aktiven Zentralbanker doch nicht mit etwas in Verbindung gebracht werden, was für Außenstehende wie eine krasse Form von Inbeschlagnahme (Capture) der Aufseher durch die Beaufsichtigten aussehen könnte, hart an der Grenze zur Korruption. Keiner der aktiven Zentralbanker ist in den Working Groups der letzten beiden Berichte der G30 zur Aufsicht dabei. Nur die ehemaligen Zentralbanker haben mitgearbeitet. Aber G30-Berichte sind es eben trotzdem, und damit geben auch die aktiven Zentralbanker in dieser Lobby-Gruppe, wie die Chefs der EZB, der New York Fed und der Bank von England ihren Namen und das Renommee ihres Amtes für Aufsichtsempfehlungen her, die im Wesentlichen von Topmanagern der Beaufsichtigten erarbeitet wurden.
Im ersten G30-Bericht von 2012, einer Dreierreihe zur Bankaufsicht, wurde auch noch an unauffälliger Stelle erwähnt, dass die Empfehlungen nur die der Arbeitsgruppe seien. Im Vorwort wurden die Zentralbanker im Gremium nochmal explizit davon freigestellt, die Empfehlungen mittragen zu müssen:
„All G30 members (aside from those with current national official responsibilities) have had the opportunity to review and discuss preliminary drafts. The report does not reflect the official views of those in policy-making positions.“
Zu deutsch: Aktive Zentralbanker und Regierungsmitglieder im Gremium sollen anders als die übrigen G30 Mitglieder nicht ihren Senf zu den Überlegungen der Arbeitsgruppe gegeben haben und es wird ausdrücklich offen gelassen, ob sie deren Empfehlungen mittragen. Beim zweiten Bericht der Reihe von 2013 und beim bisher letzten, der Ende Juli vorgestellt wurde, fehlen jedoch all diese Freistellungen. Sie tragen die Veröffentlichungen, die als G30-Reports verbreitet werden, also mit.
Natürlich sind die Empfehlungen der aus Top-Managern der privaten Finanzbranche bestehenden Arbeitsgruppe an die Aufsicht so, wie man es erwarten würde:
„Der Aufsicht ist es wichtig, dass Finanzinstitute erfolgreich sind, denn das ist die beste Versicherung dafür, dass sie sicher und gesund sind“,
heißt es in dem G30-Bericht „A New Paradigm: Financial Institutions Boards and Supervisors“ von Ende 2013, mit dem wir anfangen wollen, weil der aktuelle, Ende Juli vorgestellte Bericht sich auf diesen bezieht. Gemeint sind damit – wie der Kontext deutlich zeigt – nur die Gewinne der großen, systemisch relevanten Institute. Denn die kleinen Institute kann man leicht abwickeln, wen sie Verluste machen. Je mehr sich die Großen gegen die Kleinen durchsetzen, desto besser für die Finanzstabilität, ist die Logik der Interessenvertreter der Mega-Finanzinstitute in der G30. Und die aktiven und ehemaligen Notenbanker finden es gut. Sie arbeiten ja schon für diese Megabanken oder werden wahrscheinlich später für sie arbeiten. Wenn es ihnen nicht gut geht, wenn die großen Finanzinstitute keine hohen Gewinne machen, dann können sie ehemaligen Bankaufsehern in den Zentralbanken keine zweistelligen Millionengehälter zahlen, so wie die UBS Axel Weber.
Diese Gewinne sollen die Aufseher aktiv sichern helfen, wenn es nach der Gruppe der 30 geht, indem sie „ihre einzigartige Perspektive“ aus ihrer Erfahrung mit Konkurrenzvergleichen und mit Finanzmarktrends einbringen, und die großen Finanzinstitute, um die sie sich kümmern, auf etwaige Schwächen ihrer Strategien oder ihres Geschäftsmodells hinzuweisen.
Moment mal !!!
„Einzigartige Perspektive“ ist eine Umschreibung für die Informationen, die die Aufseher im Zuge ihrer hoheitlichen Aufgaben und Kompetenzen über die Branche und über die Märkte bekommen; Informationen, die die Wettbewerber am Markt allenfalls erahnen können. Eine Organisation in der der Chef der in Europa für die Aufsicht über Großbanken zuständigen EZB sitzt, ruft in einem Bericht die Aufseher dazu auf, ihre hoheitlichen Informationen über Konkurrenten der Beaufsichtigten und über Trends der Finanzmärkte zugunsten dieser beaufsichtigten Institutionen zu nutzen. Das klingt für mich wie ein Aufruf zu kriminellen Aktivitäten. Daran ändert auch nichts, dass die Aufseher die Informationen nicht direkt weitergeben sollen, sondern sie nur nutzen sollen um beim Optimieren der Geschäftsstrategie der Großbanken zu helfen. Wenn etwa der Aufseher aufgrund seiner hoheitlichen Informationen ahnt, dass auf dem Derivatemarkt übles bevorsteht, dann ist es genauso verwerflich, wenn er einer beaufsichtigten Großbank sagt, sie solle ihr Derivategeschäft aus Risikogründen lieber zurückfahren, wie wenn er ihr gleich seine hoheitliche Information weitergibt.
Hier eine der Stellen im Original, wo das steht, zum selbst nachprüfen:
„Assessment of strategies, business model, and risk vulnerabilities: areas where supervisors can bring unique perspectives derived from their experience and analysis of peer situations and emerging trends within financial markets.“
Wenn also eine „nicht systemrelevante“ Regionalbank oder Sparkasse eine schlechte Geschäftsstrategie und ein nicht funktionierendes Geschäftsmodell hat, macht sie halt Verluste und wird irgendwann geschluckt von den Großen oder abgewickelt. Das ist Marktwirtschaft.
Wenn die Führung einer systemrelevanten Großbank nichts taugt und eine falsche Geschäftsstrategie verfolgt, dann helfen ihr die Aufseher, unter Nutzung ihrer hoheitlichen Informationen, das Geschäftsmodell so zu optimieren, dass die Gewinne sprudeln. Das ist dann Systemrelevanz, auch wenn es ein bisschen korrupt wirkt.
Nicht nur ist das rechtlich äußerst fragwürdig. Die Prämisse ist auch noch falsch. Das Finanzsystem wird nicht sicherer dadurch, dass die Aufseher den großen, systemrelevanten Mega-Banken im Wettbewerb mit den kleinen ungefährlichen Banken helfen, und so dazu beitragen, dass sie noch größer werden und die kleinen verdrängen und schlucken.
Ganz zu Anfang dieses Berichts liest man mit gehörigem Entsetzen, dass die „Aufseher-Community“ diese skandalösen Empfehlungen bestellt habe. In Reaktion auf einen früheren Bericht der Großbanken-Lobbygruppe habe nämlich „die Aufsichts- und Finanzstabilitätsrats-Gemeinschaft de G30 gedrängt, mehr Einsichten mitzuteilen.“ Vielleicht hat deshalb die G30 auf die vorher üblichen Verbaltänze um die Freistellung der aktiven Zentralbanker von der Mitautorenschaft verzichtet, weil die Gruppe skandalöser Weise von den Aufsehern selbst aufgefordert wurde, ihre als offiziösen G30-Bericht getarnte Wunschliste an die Aufseher, vorzulegen.
Und da kommt dann bei raus, dass die Aufseher hohe Gewinne der Großbanken fördern sollen, und sei es durch Nutzung von hoheitlichen und sensiblen Informationen. Es kommt auch die Empfehlung dabei raus, dass die Aufseher sich nicht ins Geschäft einmischen sollen, sondern „sich auf die Governance, das Risikomanagement und die Kontrollprozesse der Institutionen verlassen sollen.“
Es stellt sich auch heraus, dass die Aufsichtsräte der Finanzinstitute als Vertreter der Aktionäre deckungsgleich Interessen mit denen der Aufseher haben, denn:
„Aufsichtsräte kümmern sich zu Recht um Aktionärsinteressen. Zwar ist die Verteidigung der Interessen von Aktionären nicht im Mandat der Aufseher, aber sie müssen sich auch dafür interessieren, wie die Aktionäre behandelt werden, denn von ihnen kommt das Kapital um Finanzinstitute zu stützen.“
So viel zum schockierenden Bericht von 2013.
Nun zum aktuellen Bericht. Banking Conduct and Culture: A Call for Sustained and Comprehensive Reform.
Darin geht es um eine gute Unternehmenskultur in Finanzinstituten, darum wie diese das Vertrauen der Kunden und Bevölkerung wieder gewinnen können, denn dieses ist „eine Voraussetzung für langfristig tragfähige Gewinne und – auf mittlere Sicht – einen Wettbewerbsvorteil.“
Da sind sie wieder, die Gewinne und der Wettbewerbsvorteil, die die Aufseher in der G30 ihren Großschäfchen in der privaten Bankbranche wünschen.
Ausgangsfeststellung ist, dass dieses Vertrauen zerstört ist, dass die Reputation der Finanzbranche inzwischen fast genauso schlecht sei, wie die der Medien.
Die Empfehlung an die Aufseher lautet, dass diese die Kultur der Institutionen nicht zu bewerten haben, wohl aber Tipps geben dürfen, wie man sie verbessern könnte.
Aufseher sollen auch „sehr gut die begrenzte Effektivität des Vorschreibens von Regeln“ für das Verhalten bedenken, denn „Verhalten im Allgemeinen ist Gesetzen und Regulierung nicht zugänglich.“ Das Verhalten der Banker in Einklang mit Werten und internen Verhaltensregeln zu bringen, sei Sache der Unternehmen.
Dann heißt es aber auch wieder:
„Vollstreckungsbehörden sollten über die Neigung neu nachdenken, gegen Institutionen vorzugehen, anstatt gegen Individuen, damit die erwünschten Anreizeffekte erzielt werden.“
Die Aufseher sollen es also allein dem Management der Finanzinstitute überlassen, welche Verhaltensregeln für die Händler und Kundenberater es gibt, aber wenn Betrug oder Ähnliches in großem Maßstab stattfindet, dann sollen doch lieber Bauernopfer eingefordert werden, als die armen Aktionäre und damit indirekt auch das mit Aktien bezahlte Top-Management zu bestrafen.
Natürlich wollen die Lobbyisten der Großbanken das Beste aus allen Welten, wenn man sie danach fragt. Aber darf ein Mario Draghi seinen Namen und das Renommee der EZB hergeben, um solche Wunschlisten an die Aufseher zu propagieren und mit einem offiziellen Anschein zu versehen. Ich würde ganz klar sagen: Nein, er darf es nicht.
Und dann sollten die Aufseher die Banker noch öfter als bisher auf „Fehler“ hinweisen, ohne gleich Sanktionen zu verhängen. Dann können „ernste Mängel“ vertrauensvoll im Frühstadium abgestellt werden. Unangenehme Überraschungen sollen die Banker von den Aufsehern möglichst wenig befürchten müssen, fordert die Gruppe der 30.
Ein extremes Beispiel um die Implikation zu verdeutlichen: Angenommen ich bin im Waffenhandel tätig und mache auch noch in verwandten Branchen Geschäfte, wenn es lukrativ erscheint. Dann würde ich mir von der Polizei auch wünschen, dass sie mich mit Überraschungen in Ruhe lässt, dass sie sich lieber um Prävention kümmert und mich erst einmal sanktionsfrei auf ihr Missfallen hinweist, wenn sie feststellt, dass in meinem Unternehmen jemand unerlaubte Waffengeschäfte mit Terroristen plant oder abwickelt, oder Drogengeschäfte oder so was. Da ist es doch wirklich viel besser, wenn frühzeitig und vertrauensvoll ohne Sanktionen eingegriffen und korrigiert wird. Ich würde das dann sofort abstellen. Und ich würde mir auch wünschen, dass, wenn dann doch mal so etwas vorkommt und erst nachträglich entdeckt wird, nicht mein Unternehmen geschlossen oder zur illegalen Organisation erklärt wird, sondern dass die Person, die die Geschäfte getätigt hat, zur Verantwortung gezogen wird. Wenn allerdings der Polizeichef mit mir eine Group of 2 bilden würde und wir gemeinsam derartige Empfehlungen für die Polizeiarbeit herausgeben würden, damit seine Leute und meine Leute wissen, wie sie sich verhalten sollen, dann würde sicher mancher die Vorzüge dieses Ansatzes verkennen und diesen Polizeichef irrtümlich für korrupt halten.