Die Bürgerbeauftragte der EU hat angekündigt, die Mitgliedschaft des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, in der Group of Thirty zu untersuchen. Die G30 sind eine zwielichtige Gruppe, die Top-Manager großer internationaler Banken und wichtiger Zentralbanken zusammenführt. Sie treffen sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Einige der Teilnehmerbanken werden von der EZB beaufsichtigt. Wenn die EU-Bürgerbeauftragte in Draghi’s Treffen mit den G30-Bankern ein Problem sieht, könnte die Gruppe ihre skandalöse Existenz bald beenden.
Die G30 wurde 1978 auf Initiative der Rockefeller-Stiftung gegründet. Sie hat etwas mehr als 30 Mitglieder. Es sind überwiegend aktive oder frühere Zentralbanker und Spitzenmanager von großen internationalen Finanzhäusern. Knapp ein Drittel der Mitglieder vertreten US-Institutionen. Hauptzweck ist das Zusammenbringen von Zentralbankern und Geschäftsbankern. Die Zentralbanker haben für Treffen untereinander ihre Gremien in Basel. Die Geschäftsbanker haben Gremien wie das Institute of International Finance, wo sie wichtige Themen besprechen und Berichte erstellen. Die Group of Thirty ist die einzige gemischte Gruppe, und die Zentralbanker, die dort hingehen, lassen ihre üblichen Regeln zu Transparenz und Korruptionsvermeidung zuhause, die ansonsten für den Umgang mit Vertretern der privaten Finanzbranche gelten.
Die These, dass die G30 wegen einer Untersuchung der EU-Bürgerbeauftragten von Mario Draghis Mitgliedschaft in ihrer Kernfunktion gefährdet ist, verlangt nach einer Begründung. Immerhin kann Emily O’Reilly Draghi nicht einmal den Austritt befehlen und ist Draghi nur eines von über 30 Mitgliedern. Aber: Es gibt schon den Präzedenzfall des Federal Reserve Board, dessen Mitglieder aufgrund strenger US-Vorschriften für öffentliche Bedienstete zur Transparenz und Korruptionsvermeidung nicht Mitglied in der G30 sind. Das fällt nicht so auf, weil der Präsident der mächtigen New York Fed Mitglied ist. Die New York Fed fühlt sich nicht an die Regeln für öffentliche Institutionen gebunden, weil sie den Banken gehört, die sie beaufsichtigt. Wenn allerdings auch der Präsident des EZB öffentlichkeitswirksam die G30 verlassen müsste, würde es für die übrigen Zentralbanker sehr schwer, ihre Mitgliedschaft in der zwielichtigen Gruppe zu rechtfertigen. Wenn die meisten großen Zentralbanken nicht mehr vertreten sind, verliert die Gruppe ihren Hauptzweck, Verständnis zwischen Zentralbanker und Geschäftsbankern über so wichtige Themen herzustellen, wie den globalen Krieg gegen das Bargeld oder die Vorzugswürdigkeit zurückhaltender Regulierung.
Draghi könnte zwar rein rechtlich Mitglied bleiben, auch wenn die Bürgerbeauftragte das nicht gutheißt. Aber das ohnehin angeschlagene Renommee der EZB würde das nicht verkraften.
Warum Draghis Mitgliedschaft ein Skandal ist
Es gibt eine Reihe von Gründen, warum der Präsident der Europäischen Zentralbank nicht mit den Lenkern großer internationaler Banken hinter geschlossenen Türen konferieren sollte. Hier sind die wichtigsten:
- Mitglieder der G30, die zu den wichtigsten Spielern an den Finanzmärkten gehören, bekommen direkte Einsichten in das Denken des Chefs einer die Märkte bewegenden öffentlichen Institution, die andere Marktteilnehmer und die Öffentlichkeit nicht bekommen. Das lädt zu unsauberen Insidergeschäften ein.
- Die EZB ist die Aufseherin über einige der in den G30 vertretenen Banken und von deren direkten Wettbewerbern. Es ist sehr unsauber, wenn der Chef einer solchen Institution sich ohne wenigstens hausinterne Zeugen hinter geschlossenen Türen mit den Vertretern der Institutionen trifft, die er im Auftrag der Öffentlichkeit überwachen soll.
- Die G30 veröffentlicht immer wieder Berichte über Bankaufsicht, das Zentralbankgeschäft und verwandte Themen. Diese Berichte enthalten fast ausnahmslos Empfehlungen, die günstig für die Geschäftsinteressen der großen internationalen Banken sind, und befürworten zurückhaltende Regulierung. Zum Skandal gehört, dass die G30 diese Berichte der Öffentlichkeit präsentiert als würden sie von der Gesamtheit der G30-Mitglieder getragen, einschließlich von Mario Draghi und seinen Zentralbankkollegen. Die EZB bestreitet das, aber ich denke, ich habe in einem Blogbeitrag vor gut einem Jahr hinreichend Beispiele und Belege beigebracht.
- Die G30 verschicken regelmäßig Zusammenstellungen mit dem Titel „Mitglieder in der Presse“, die es den Geschäftsbankern erlauben sich im Ruhm der engen Assoziation mit wichtigen Notenbankern zu sonnen. Das gibt ihnen einen Wettbewerbsvorteil vor Konkurrenten.
- In Reaktion auf verschiedene Skandale, bei denen EZB-Offizielle hinter verschlossenen Türen Insiderinformationen weitergaben, hat die EZB ihrer Führungsriege „Richtlinien der Kommunikation“ gegeben, um Probleme wie die oben genannten zu vermeiden. Draghis Treffen mit Geschäftsbankern im Rahmen der G30 widersprechen zwar klar dem Geist dieser Richtlinien, aber die Richtlinien sind so eng formuliert, dass sie dem Wortlaut nach auf die G30-Treffen nicht passen, weil es sich weder um Reden handelt, noch um „bilaterale Treffen“ mit Bankern (mehr dazu hier).
Warum die Bürgerbeauftragte nochmals untersucht
Die Untersuchung der EU-Bürgerbeauftragten Emily O’Reilly geht auf eine Beschwerde von Corporate Europe Observatory (CEO) zurück, eine Organisation, die über Lobbyismus aufklärt. CEO hatte schon 2012 eine ähnliche Beschwerde eingebracht, die O’Reillys Vorgänger Nikoforos Diamandouros 2013 abgelehnt hat. Die frühere Beschwerde basierte auf zwei Argumenten, nämlich dass,
- die G30 eine Lobbyorganisation sei, bei der der EZB-Präsident nichts zu suchen habe, und
- die G30 immer wieder Berichte erstellt zu Themen wie Bankenregulierung, Zentralbankgeschäft und ähnlichem, und dabei in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, als trage der EZB-Präsident die darin enthaltenen Empfehlungen mit.
Der damalige Bürgerbeauftragte Nikiforos Diamandouros befand zu 1., dass die G30 keine Lobbyorganisation sein könne, weil – kein Witz – Draghi dort Mitglied ist und verschiedene Zentralbanken die Gruppe mitfinanzieren. Zu 2. befand er, dass es einen Hinweis in den G30-Berichten gebe, dass deren Inhalt nicht notwendigerweise die Meinung aller Mitglieder widerspiegelt.
Die aktuelle Beschwerde basiert nicht auf dem Charakter der G30, sondern auf dem Charakter der Interaktion Draghis mit den Mitgliedern. Seit 2013 gab es einige wichtige Entwicklungen, die die Bürgerbeauftragte davon überzeugten, dass eine neue Untersuchung angebracht ist. Die wichtigste: Die EZB hat nun die alleinige Verantwortung für die Aufsicht über die größten Banken des Euroraums. O‘Reilllys Untersuchung betrifft in diesem Zusammenhang nicht nur Draghi, sondern auch die „Beteiligung von leitenden EZB-Mitarbeitern an der Arbeit der G30“. Das bezieht sich sehr wahrscheinlich auf etwas, was ich im August 2015 u.a. in diesem Blogbeitrag „Der Skandal um Draghi und die Group of Thirty wird größer“ veröffentlichte.
Damals hatte die G30 einen Bericht über Bankaufsicht veröffentlicht. Im Vorwort war zu lesen, dass Julie Dickson als Beobachterin an den Sitzungen der Arbeitsgruppe teilnahm und „ihren Intellekt und ihre Erfahrung beisteuerte“. Julie Dickson ist Mitglied des Supervisory Boards des Bankenaufsichts-Arms der EZB. Die Empfehlungen, die unter dieser illustren Mitarbeit erstellt wurden, wurden als Bericht der G30 veröffentlicht, einer Gruppe, zu der der EZB-Chef gehört. Unter diesen Umständen könnte man es keinem Mitarbeiter der EZB-Bankaufsicht verdenken, wenn er meinen würde, er solle sich an diese großbankenfreundlichen Empfehlungen halten.
Die andere Entwicklung seit 2013 ist die im genannten Blogbeitrag beschriebene Tatsache, dass die G30 gerade die Hinweise aus ihren Berichten entfernte, auf deren Basis der Bürgerbeauftragte damals zu seinem für die G30 positiven Urteil gekommen war. Erst als ich darüber berichtet hatte, wurden die Hinweise in neueren Berichten wieder eingefügt. Doch auch nach Wiedereinfügung dieser recht versteckten Hinweise präsentieren die Medien der Öffentlichkeit die G30-Berichte fast ausnahmslos so, als würden diese von der Gesamtheit der Mitglieder getragen (siehe hier, mit Beispielen).
Es gibt also genug Gründe, die Mitgliedschaft Draghis in der G30 für problematisch zu halten. Wenn O’Reilly das auch so sieht, dann könnte ein lange andauernder Skandal mit Namen Group of Thirty bald zu Ende gehen. [22.1.2017]