Warum der DGB Recht hat und Flassbeck-Spiecker irren

Der DGB hat in einem Brandbrief an die Bundeskanzlerin die von der EU-Kommission geplanten nationalen Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit strikt abgelehnt. Flassbeck-Spiecker haben den DGB dafür kritisiert, weil Sie der Kommission Willen zur Lohnkoordination unterstellen. Zu Unrecht, wie ich hier schrieb und nun genauer belegen möchte.

Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker lesen der Erklärung der Kommission die Erkenntnis heraus, dass Koordinierung der Lohnpolitik nötig sei und unterstellen ihr den Willen, diese durchzusetzen.

Immerhin hat die Kommission jetzt klar erkannt, was wir seit Jahren wie einsame Rufer in der Wüste predigen: Die Währungsunion kann nicht ohne Lohnkoordination funktionieren.“

Folgende Passagen in der Kommissionserklärung machen ihnen diesen Mut:

Gleichzeitig sollte das Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten auch angemessene Reformen in Ländern fördern, die hohe und anhaltende Leistungsbilanzüberschüsse angehäuft haben, falls diese beispielsweise auf eine unzureichende Binnennachfrage und/oder ein niedriges Wachstumspotenzial zurückzuführen sind, da dies auch von Bedeutung ist, um innerhalb der Währungsunion eine wirksame Beseitigung von Ungleichgewichten zu gewährleisten.

Die Ausschüsse sollten Wettbewerbsfähigkeit als umfassendes Konzept sehen und sich mit der Dynamik der Löhne und Gehälter genauso beschäftigen wie mit Lohnnebenkosten, Faktoren, die die Produktivität ankurbeln, Innovation und der Attraktivität der Wirtschaft als Unternehmensstandort“

Ein Blick auf die jüngsten Stellungnahmen des EU-Rats zum deutschen Stabilitätsprogramm und zum deutschen Reformprogramm zeigt, dass die Kommission dabei nur neoliberale Lohndrückerei im Sinne hat. Die Ratsentschließung geht auf eine weitgehend gleichlautende Kommissionsempfehlung zurück. Sie deckt sich zeitlich mit der Fertigstellung des Fünfpräsidentenberichts, auf den sich die Kommission bei ihrer Planung für nationale Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit beruft. Aus den Empfehlungen, welche Kommission und Rat in Sachen Abbau des sehr hohen deutschen Leistungsbilanzüberschusses geben, lässt sich also schließen, ob die Kommission bei ihren Formulierung wirklich an Lohnkoordinierung denkt, wie Flassbeck und Spiecker meinen. Ihre Empfehlungen laufen aber auf Drücken der Lohnkosten in Deutschland hinaus, nicht auf Erhöhung.

Zunächst: Das Wort „Löhne“ oder gleichbedeutende Wörter kommen nicht vor.

Das viel zu hohe und andauernde Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands wird durchaus als großes Problem erkannt. Die Empfehlungen: Deutschland soll mehr für öffentliche Investitionen ausgeben. Immerhin, aber das hat noch nichts mit Lohnkoordinierung zu tun.

Aber jetzt kommt es: Deutschland soll das Arbeitsangebot erhöhen und damit direkt über niedrigere Sozialbeiträge und indirekt über Lohnkonkurrenz nach unten die Lohnkosten senken, indem es das Rentenalter erhöht, Sozialbeiträge senkt, kalte Progression reduziert und Arbeitsanreize für Minijobber und Frauen erhöht. Außerdem soll es die Kosten von Dienstleistungen durch Liberalisierung drücken.

Das alles ist das genaue Gegenteil von der Intention, die Flassbeck und Spiecker der Kommission unterstellen. Reines Wunschdenken also.

Hier zum Beleg die einschlägigen Passagen aus der Ratsentschließung von Juli 2015 zu Deutschland:

Am 26. Februar 2015 veröffentlichte die Kommission ihren Länderbericht Deutschland 2015. …Die Kommission gelangt aufgrund ihrer Analyse zu dem Schluss, dass in Deutschland makroökonomische Ungleichgewichte bestehen, die entschlossene politische Maßnahmen und eine Überwachung erfordern. Angesichts nach wie vor unzureichender privater und öffentlicher Investitionen, die das Wachstum bremsen und zu dem sehr hohen und weiterhin genau im Auge zu behaltenden Leistungsbilanzüberschuss beitragen, sind die Risiken gewachsen. Der Handlungsbedarf, um die Gefahr nachteiliger Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft und — angesichts deren Größe — darüber hinaus auch auf die Wirtschafts- und Währungsunion zu verringern, ist besonders groß.

Am 28. April 2015 übermittelte Deutschland sein nationales Reformprogramm 2015 und am 16. April 2015 sein Stabilitätsprogramm für 2015. Um wechselseitigen Zusammenhängen Rechnung zu tragen, wurden beide Programme gleichzeitig bewertet.

Im Rahmen des Europäischen Semesters hat die Kommission die Wirtschaftspolitik Deutschlands umfassend analysiert und diese Analyse im Länderbericht 2015 veröffentlicht. Sie hat auch das Stabilitätsprogramm und das Nationale Reformprogramm sowie die Maßnahmen zur Umsetzung der an Deutschland gerichteten Empfehlungen der Vorjahre bewertet. … Ihre Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters spiegeln sich in den nachstehenden Empfehlungen 1 bis 3 wider… 
EMPFIEHLT, dass Deutschland 2015 und 2016

1. die öffentlichen Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Forschung weiter erhöht; zur Förderung privater Investitionen Maßnahmen ergreift, um die Effizienz des Steuersystems zu verbessern, und zu diesem Zweck insbesondere die kommunale Gewerbesteuer und die Unternehmensbesteuerung überprüft und die Steuerverwaltung modernisiert; die laufende Überprüfung dazu nutzt, die Gestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu verbessern, insbesondere um angemessene öffentliche Investitionen auf allen staatlichen Ebenen sicherzustellen;

2. mehr Anreize für einen späteren Renteneintritt setzt; Maßnahmen ergreift, um die hohen Arbeitseinkommenssteuern und Sozialversicherungsbeiträge, insbesondere für Geringverdiener, zu verringern, und die Wirkung der kalten Progression angeht; die fiskalische Behandlung von Minijobs überprüft, um den Übergang in andere Beschäftigungsformen zu erleichtern;

3. ehrgeizigere Maßnahmen ergreift, um den Wettbewerb im Dienstleistungssektor, insbesondere bei den freiberuflichen Dienstleistungen, zu beleben, indem ungerechtfertigte Beschränkungen wie Vorgaben für die Rechtsform und die Beteiligung am Gesellschaftskapital sowie feste Tarife abgeschafft werden; zu diesem Zweck die gegenwärtig im Inland stattfindende Überprüfung dieser Hemmnisse zum Abschluss bringt und Folgemaßnahmen ergreift; die verbleibenden Wettbewerbshemmnisse auf den Schienenverkehrsmärkten, insbesondere im Personenfernverkehr, beseitigt.“

P.S. Flassbeck-Spiecker und ich haben die Diskussion parallel weitergetrieben und uns mit unseren Beiträgen gekrezt. Sie nennen zwar keine Namen oder verlinken gar zu Kritikern, aber mit „solche Ökonomen, die von den europäischen Institutionen immer nur das Schlimmste erwarten“ könnte ich mit gemeint sein. Hier der Link auf ihre Replik. Ich sehe darin keine überzeugende Belege für ihre optimistische Sicht.

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