Heiner Flassbeck nimmt die Europäische Zentralbank (EZB) gegen Kritiker von links, rechts und sonst woher an ihren massiven Staatsanleihekäufen in Schutz. Dabei schießt er ziemlich weit über das Ziel hinaus. Das Ergebnis ist die Weißbleichung einer ziemlich schmutzigen Weste. Er stellt es so dar, als sei die heutige EZB-Führung ein Hort der makroökonomischen Vernunft und hätte die besten arbeitnehmerfreundlichen Absichten. Als hätte sie nichts mit einer „sogenannten“ Troika zu tun, die
in Südeuropa und Irland den Abbau von Arbeitnehmerrechten, Renten und Löhnen verfügt, als hätte Mario Draghi niemals einen herrischen Brief an den italienischen Regierungschef geschrieben, in dem er den Abbau von Arbeitnehmerrechten, und Ausgabenkürzungen zur Bedingung für den Kauf italienischer Anleihen durch die EZB macht, als würde die EZB nicht bei jeder Gelegenheit das Gegenteil von dem fordern, was Flassbeck makroökonomisch für nötig hält.
Flassbeck schreibt:
„Ja, das ist schlimm, die Aktienmärkte sind nahe am Bersten und die EZB macht immer weiter. Welche Fehlallokation von Kapital! Aber, wenn ich europäischer Notenbanker wäre, würde ich fragen, wer eine Welt geschaffen hat, in der niedrige Zinsen nur zu Spekulation führen und nicht zu Investitionen. Wer hat denn die Regulierungen beseitigt, um den Banken den Weg in die Finanzmärkte freizumachen? Waren das die Notenbanken oder waren es die Parlamente? Sicher waren in Deutschland einige Notenbanker Stichwortgeber. Aber die Weltanschauung der Tietmeyers, Issings, Starks und Webers (und wie sie alle heißen) müssen sich heutige Führungspersönlichkeiten der EZB nicht anrechnen lassen.“
„… Sicher waren in Deutschland einige Notenbanker Stichwortgeber“. Das ist eine massive Untertreibung. Die meisten nationalen Zentralbanken im Euroraum hatte eine oder gar die zentrale Rolle in der nationalen Bankaufsicht. Zentrale Instanz für die Rechtsentwicklung auf diesem Gebiet ist der Baseler Ausschuss, dessen Arbeit inhaltlich von Zentralbankern dominiert wird, auch wenn Abgesandte der Ministerien mit drin sind.
Weiter:
„Es stimmt ja …, dass die EZB mit dem, was sie jetzt tut, in der Realwirtschaft nicht viel Positives erreichen kann. Aber sie tut alles, was in ihrem Rahmen möglich ist, …“
Flassbeck negiert damit die Diskussion um Alternativen, die ich und andere eigentlich mit ihm führen möchten, der er aber hartnäckig ausweicht. Ohne auf einzelne Vorschläge oder Argumente einzugehen, verweist er regelmäßig lapidar auf frühere Beiträge verweist, in denen er auch schon in allen Detailfragen auf frühere Beiträge verweist. Das Ignorieren konkreter Alternativvorschläge geht so weit, dass er folgende zutiefst widersprüchliche Sätze fast aneinanderhängt:
„Und schließlich gibt es … die sogenannten Geldtheoretiker, die sagen, … die EZB könne ja noch etwas ganz anderes tun, nämlich Geld direkt an die Bürger verteilen.“Und: „Keiner fragt komischerweise, was für Alternativen die EZB in dieser unserer realen Welt hat …“
Die von Heiner Flassbeck so genannten „Geldtheoretiker“ haben Alternativen aufgeworfen, nicht nur Schecks zu verschicken, aber auch auf wiederholte Aufforderung geht Flassbeck nicht auf einzelne Vorschläge ein, nur auf einen einzigen, den radikalsten. Er sagt nicht, was absurd oder nur falsch daran wäre, wenn die Notenbanken des Eurosystems ihre überhöhten stillen Reserven auflösten und an die Regierungen ausschütteten, damit die mehr Geld zum Ausgeben haben. Mit keinem Wort. Wenn die Frage nach den Alternativen so wichtig ist, warum weichen Sie dann der ernsthaften Diskussion mit den von Ihnen durchaus ausführlich kritisierten „angeblichen Geldtheoretikern“ so hartnäckig ins Philosophische aus, Herr Flassbeck?
Stattdessen waschen Sie die Weste einer EZB weiß, die bei jeder sich bietenden Gelegenheiten genau die Politik anmahnt oder selbst durchsetzt, die sei zu Recht für falsch halten.
Sie schreiben:
„…und sie mahnt die anderen, ihren Part zu spielen. Soll ich ihr das vorwerfen, wo alle anderen, die wirklich das machen könnten, was größere Erfolge verspricht, nichts tun? Wer positive Impulse für die Konjunktur will, kann die Staaten Europas auffordern, sofort und in ausreichendem Maße das billige Geld vom Kapitalmarkt zu nehmen und öffentliche Investitionen durchzuführen oder die Geringverdiener zu entlasten.“
Die EZB mahnt also die anderen, ihren Part zu spielen, Geld vom Kapitalmarkt zu nehmen und öffentliche Investitionen durchzuführen oder die Geringverdiener zu entlasten? Sollen wir das so verstehen, was Sie da hintereinanderschreiben? Herr Flassbeck, haben Sie schon einmal Mario Draghi beim Reden zugehört, oder eine seiner Reden gelesen? Haben Sie schon einmal einen Blick in einen EZB-Bericht geworfen? Wo haben Sie da die Aufforderung gefunden, die Kreditaufnahme auszuweiten, die Staatsausgaben zu erhöhen und die Geringverdiener zu entlasten. Die EZB fordert bei jeder Gelegenheit nachdrücklich das genaue Gegenteil von dem, was Sie wollen. Und wo sie kann, setzt sie es auch durch. In der Rhetorik der EZB sind die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Geldpolitik dann und nur dann gegeben, wenn der Staat spart und die Löhne gedrückt werden (aka Strukturreformen).
Das kann Ihnen nicht unbekannt geblieben sein. Sie leben ja in dieser Welt. Und in der letzten Runde unserer Diskussion habe ich das auch explizit und ausführlich so aufgeschrieben.
Und doch schreiben Sie:
„Wenn man der EZB-Führung etwas vorwerfen kann, dann das, dass sie auf diesen Zusammenhang nicht lauter und deutlicher hinweist und der neoliberalen Doktrin der “Reformen” und der “Flexibilisierung” nicht entschieden entgegentritt.“
„… nicht entschieden entgegentritt“, welch eklatante Verzerrung der Wirklichkeit? Die EZB fordert allenfalls Haushaltskonsolidierung noch häufiger als Strukturreformen. Warum tun Sie das? Ich verstehe es nicht?
Und dann sollen Ihrer Meinung nach auch noch die Regierungen dafür sorgen, dass die EZB die Troika verlässt. Wieso müssen die Regierungen dafür sorgen. Die EZB ist unabhängig und darf keine Anweisungen von Regierungen entgegennehmen. Der EZB-Rat kann entscheiden, dass er die Troika verlässt, und dann ist sie draußen (zum unschönen Thema wie sie hineinkam: hier). Warum schieben Sie die Verantwortung für alles was schief läuft, den Regierungen zu, Herr Flassbeck? Nur weil Sie beim einen oder anderen EZB-Kritiker Motive oder ein Weltbild vermuten, die sie nicht mögen, müssen Sie doch nicht die Wirklichkeit so zurechtzubiegen, dass die EZB über jede Kritik erhaben scheint.