Am Samstag auf FAZ.net war es noch eine Frage: „Verdient Griechenland mit seinen Schulden Geld?“ Am Sonntag als ganzseitiger Aufmacher des Geldteils der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) war es schon die Feststellung „Griechenlands Schulden-Trick“ , und am Montag in der FAZ in einer etwas verkürzten Wiederholung nochmal. „Griechenland verdient Geld mit Schulden“. Die Basis für die Behauptung ist so dünn und unseriös, wie sie nur sein kann, aber sie dient dem Zweck, griechisches Verlangen nach den versprochenen Schuldenerleichterung zu delegitimieren.
Der Focus hat die Geschichte unter der nochmal zugespitzten Überschrift „Von wegen Sparkurs: Griechenland verdient mit seinen Schulden sogar Geld“ auch gefahren. Die Quelle für diese journalistischen Meisterwerke ist vermeintlich eine, mit ein paar Zahlen durchsetzte, in fürchterlichem Stil geschriebene Polemik eines spanischen Privatmanns namens Pablo Triana, die dieser als pseudo-wissenschaftliches Arbeitspapier ins Internet stellte. Titel: „Debt That Costs Less Than Nothing: Greece’s Unique Opportunity”. Dank der Verlinkung haben weit über 3000 Leute die Zusammenfassung des Papiers gelesen und über 1250 sogar das ganze Papier heruntergeladen. Triana war Professor an der ESADE Business School in Barcelona. Warum er mit seinen erst 45 Jahren dort wegging, weiß man nicht. Man ahnt es aber, wenn man liest, was er für Wissenschaft hält, oder wenn man auf seine Medienbeiträge mit Titeln wie „Jungfrauen, die an der Pornoschule unterrichten“ stößt. Bis vor kurzem gab es noch keinen Wikipedia-Eintrag zu dem Herren. Am Tag der Veröffentlichung des FAZ Artikels wurde ein deutscher Wikipedia-Eintrag verfasst. Einen Eintrag auf Spanisch oder Englisch gibt es nicht.
Hier die Passage aus dem Abstract (Zusammenfassung) des von der FAS verlinkten Beitrags in der Triana ansetzt, zu erklären, was er vorhat, schon dabei aber sofort in wortreiche Polemik abdriftet und den Leser fast völlig im Dunkeln lässt. (Wer nicht genug Englisch kann, bitte einfach überspringen.)
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Here I endorse a very simple way of appreciating what the bailouts delivered and shall continue to deliver: repayment for a very prolonged number of years of all outstanding debt obligations of the Greek government (at no medium-term cost to the sovereign, and without implying an increase in overall borrowing levels), plus a huge pile of money (to be used, for instance, to make a national investment that happens to save the domestic banking industry, and to pay many a government employee salary, state pension, and social benefit). Clearly, having someone else give you for a long time all the cash you need to avoid default plus a lot of extra cash to spend on nice things sounds like a definitely positive proposition, especially when the terms attached to the loans are incredibly generous and accommodative towards the bailed-out party. In essence, Greece’s liabilities would have been transformed into debt that costs less than nothing (don´t make any debt payment, get a ton of cash).
Schon das Überfliegen des Abstract macht überdeutlich, dass es sich hier nicht einmal im Ansatz um ein seriöses, wissenschaftliches Werk handelt. Trotzdem wird so getan, als hätte hier ein „spanischer Ökonom“ etwas nachgewiesen. „Er hat viel gerechnet“ heißt es, um auf das Ergebnis eines Negativzinses von 0,28 Prozent auf die Hilfskredite zu kommen. Ich habe es nicht geschafft, genau herauszufinden, wie er das gemacht hat. Das liegt sicher an mir. Ich habe in dem Stück auch die minus 0,28 Prozent nicht gefunden, nur die Behauptung, Griechenland habe Genug Kredit bekommen, um für viele Jahre den Schuldendienst zu bestreiten und noch etwas übrig zu haben.
Auf Anfrage erklärt mir Triana, dass die FAS sich mit ihren Zahlen auf eine elf Tage ältere „Studie“ von 17. März namens „Greece’s Negative Coupon Bond“ bezieht. (Diese „Studie“ haben bisher ganze neun Leute heruntergeladen. Einer davon war ich, einer der FAS-Autor, vielleicht einer vom Focus.) Diese von der FAS nicht verlinkte Studie enthält tatsächlich die berichteten Zinssätze. Bemerkenswerter Weise nennt Triana sich darin ehemaliger EESADE-Professor, während er sich in dem später veröffentlichten Papier wieder zum ESADE-Professor macht. Das Stück ist genauso unwissenschaftlich-polemisch, aber nicht ganz so wirr, wie das spätere. Halbwegs klar wird, dass der negative Zins aus einer (unangemessenen) Cash-Flow-Betrachtung resultiert. Wenn Zinszahlungen durch neue Hilfskredite finanziert werden, werden sie auf Null gesetzt, wenn darüber hinaus Geld fließt, wird das als negativer Zins auf die vorher ausgegebenen Hilfskredite behandelt.
Noch wilder wird die Methodik im jüngeren Stück, das dem älteren sehr gleicht, aber auf Nennung von Zinssätzen verzichtet. Ohne Garantie auf Richtigkeit habe ich mir folgende abseitige Argumentation zusammengereimt: Er betrachtet etwa 10 Jahre und den Schuldendienst, der in dieser Zeit fällig geworden wäre. Dem stellt er gegenüber, was Griechenland in dieser Zeit an Hilfskrediten bekommen hat. Hinzu zählt er alles, was Griechenland dank der Hilfen an zusätzlichen Mitteln mobilisieren kann, darunter Privatisierungserlöse (!?!) und die Einnahmen aus emittierten Anleihen. Wenn letztere Summe größter ist, als der Schuldendienst, hat Griechenland ein tolles Geschäft gemacht.
Warum das jüngere Stück die Zinssätze nicht mehr nennt und was sein Zweck und seine Aussage relativ zum etwas älteren ist, erklärt Triana auf Anfrage nicht. „Sie sind dahingehend verwandt, dass sie Daten nutzen, um festzustellen, was die wahre Natur und der Einfluss der griechischen Rettungsmaßnahmen ist“, schreibt er nur.
FAS und FAZ tun so, als hätte Triana tatsächlich einen Negativzins auf die Hilfskredite berechnet:
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Das heißt, Griechenland erhielt in den vergangenen sechs Jahren quasi 0,28 Prozent Zins dafür, dass es Kredite von mehr als 200 Milliarden Euro bekommen hat. Normalerweise müssen Schuldner Zinsen zahlen fürs Geldleihen. Das Land hat sich seiner Rechnung nach sogar günstiger refinanziert als Deutschland, das den Ruf als erstklassiger Schuldner genießt.
Wenn einem jemand etwas leiht, um Zinsen auf bestehende Schulden zu bezahlen, dann sind diese Zinsen dadurch nicht weg. Sie werden nur in die Zukunft verschoben und die Schuld vergrößert. Der Autor der FAS weiß durchaus, dass das, was da angeblich berechnet wurde, nichts mit einem negativen Zins zu tun hat. Er räumt am Ende ein:
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Natürlich muss Griechenland seine Schulden theoretisch irgendwann zurückzahlen. Angesichts der langen Laufzeiten vermag aber niemand zu sagen, ob das wirklich jemals passieren wird.
Dass Griechenland überschuldet ist, und diese Schulden nicht wird begleichen können, ist eigentlich unstrittig. Das ist ja der Grund, warum Schuldenerleichterungen (oder ein Bankrott) unausweichlich sind. Nur die Bundesregierung behauptet bis zu den Wahlen im Herbst anderes.
Warum macht eine Qualitätszeitung so etwas? Warum bläst sie ein erkennbar unseriöses Werk, das nach einem Monat erst eine Handvoll Leute gelesen haben, derart auf. Die Wirkung ist klar, ob intendiert oder nicht. Griechenland wurden bei Wohlverhalten Schuldenerleichterungen versprochen. Davon will Wolfgang Schäuble nichts mehr wissen, jedenfalls nicht bis nach den Wahlen. Mit solchen Machwerken wie dem Trianas und der Berichterstattung darüber wird dem Wortbruch der Mantel der Rechtschaffenheit umgehängt.
P.S. Pablo Triana ist auch Buchautor. Er hat 2009 ein Buch über die Sünden der Finanzanalysten und ihre Modelle geschrieben, für das der berühmte Nassim Taleb das Vorwort beigetragen hat. Auf Amazon hat von 28 Rezensenten mehr als die Hälfte die schlechtestmögliche Bewertung gegeben. Ein typisches Zitat: „The author mixes tenses, makes up words, and rambles on and on and on with very little coherence or logic. It is painful to read.“ Es fehlte also beileibe nicht an Indizien, die zur Vorsicht hätten mahnen können.
[8.5.2017]