Von Markus Krüsemann. In allen bisherigen Mindestlohnbilanzierungen spielt die Frage nach den Beschäftigungswirkungen eine wichtige Rolle. Beschäftigungsaufbau oder Jobverluste, darauf soll die Antwort hinauslaufen. Doch so einfach ist das nicht – zumindest wenn man auch noch über nicht entstandene Arbeitsplätze spekulieren will. Dann wird aus einem Nicht-Plus schnell ein Minus. Die Mindestlohngegner wird’s freuen.
Über die Beschäftigungswirkungen eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland wurde bereits lange vor seiner Einführung zum Januar 2015 heftig gestritten. Gegner und Befürworter brachten sich mit Prognosen und Simulationsrechnungen in Stellung. In den Mainstream-Medien stießen, wenig überraschend, vor allem die Gegner einer Lohnuntergrenze – vom Sachverständigenrat über die Deutsche Bank bis hin zu diversen arbeitgebernahen Forschungsinstituten und Lobbyorganisationen – auf Widerhall, und so dominierten die Berichte von Horrorprognosen über die Zahl von der Vernichtung anheim fallenden Arbeitsplätzen.
Nichts davon ist nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes eingetreten. Soweit bisher absehbar, ist die (Beschäftigungs-) Wirkung des Mindestlohns seit seiner Einführung entgegen zahlreicher Negativprognosen eine weitgehend positive. Zahlreiche Arbeitnehmer/innen haben mehr Geld in der Tasche, der private Konsum zog an, und nicht Jobverluste, sondern ein fortgesetzter Beschäftigungsaufbau, gerade auch in Niedriglohnbranchen, prägen bis heute das Bild am Arbeitsmarkt. Allenfalls bei den Minijobs hat es verkraftbare Einbußen gegeben: Der Mindestlohn hat offensichtlich die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten schrumpfen lassen, wobei zumindest ein Teil dieser Minijobs in sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeitsplätze umgewandelt worden ist.
Anpassungen und Beschäftigungsentwicklungen auf der Betriebsebene
Die Einführung einer allgemein verbindlichen Lohnuntergrenze von 8,50 Euro ist wohl auch deshalb problemlos verlaufen, weil viele Arbeitgeber bereits im Vorfeld der Mindestlohneinführung reagiert und ihre Gehaltsstrukturen angepasst hatten. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatten schon im Jahr 2014 auffällig viele Betriebe den Mindestlohn bei Neueinstellungen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung quasi vorweg genommen: Bei bundesweit 4,5 Prozent der Neueinstellungen im Jahr 2014 hatte der vereinbarte Stundenlohn exakt 8,50 Euro betragen. (Kubis u.a. 2015).
Zwei Forscher des IAB haben die Wirkungen des Mindestlohns in den von ihm betroffenen Betrieben ausführlicher unter die Lupe genommen. Unter anderem sollte ihre Untersuchung weitere Erkenntnisse zu den Beschäftigungseffekten in diesen Betrieben zu Tage fördern. Als von der Mindestlohneinführung betroffen gilt ihnen dabei jeder Betrieb, der im Jahr 2014 noch mindestens einem Beschäftigten einen Bruttostundenlohn von weniger als dem allgemeinen Mindestlohn von 8,50 Euro gezahlt hatte.
Unter Nutzung von Daten aus dem IAB-Betriebspanel der Jahre 2014 und 2015 errechneten sie in ihrer ökonometrischen Analyse für die vom Mindestlohn betroffenen Betriebe (denen sie als Kontrollgruppe die nicht betroffenen Betriebe gegenüberstellten) einen leicht negativen Beschäftigungseffekt. Laut der Schätzung soll es in der Gruppe der betroffenen Betriebe einen Beschäftigungsrückgang um 1,9 Prozent gegeben haben. Auf die Gesamtbeschäftigung in Deutschland bezogen würde dies Jobverluste in Höhe von 0,18 Prozent bedeuten.
Das Minus ist ein Nicht-Plus
Das wäre schon für sich genommen nicht viel, aber es kommt noch harmloser: Faktisch sind so gut wie gar keine Arbeitsplätze abgebaut worden, denn der negative Beschäftigungseffekt, die „employment reduction“, von der Bossler/Gerner ausdrücklich sprechen, beruht hauptsächlich auf einer Zurückhaltung bei Neueinstellungen. Die vom Mindestlohn betroffenen Betriebe haben ihr Personal weitgehend konstant gehalten. Dies wird erst und nur im Vergleich zur Kontrollgruppe der nicht betroffenen Betriebe zu einem negativen Faktum. Diese nämlich haben im gleichen Zeitraum ein Beschäftigungsplus von 1,7 Prozent vorzuweisen. Der negative Beschäftigungseffekt des Mindestlohns erschöpft sich also darin, dass er den Beschäftigungsaufbau in von ihm betroffenen Betrieben unterbunden hat. Ein Nicht-Plus also, das zum Minus wird.
Das Minus muss am Ende noch eine griffige Zahl bekommen: Rechnerisch hätten 60.000 zusätzliche Stellen (sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und Minijobs) entstehen können, wenn der Mindestlohn nicht gekommen wäre, so die Autoren. Und, zack, da sind auch schon die Medien parat: “60 000 Jobs weniger“, ist es FAZ.net (stellvertretend für viele andere) einen Titel wert. Die Autoren indes räumen in ihrem Fazit ein, dass dies doch weit entfernt sei von den stark pessimistischen Projektionen. Gleichwohl bewerten sie ihre Schätzung als „meaningful job loss“, den der Mindestlohn da ausgelöst habe.
Nur gut, dass der Effekt der Mindestlohneinführung für die real existierenden Beschäftigten in den betroffenen Betrieben positiver ausfiel. Dort, so ein weiteres Ergebnis der Analyse, löste der Mindestlohn einen Anstieg der durchschnittlichen Löhne um 4,8 Prozent aus. Als Schlagzeile wird man das in den Zeitungen aber ebenso vergeblich suchen wie eine Erörterung des offensichtlichen Widerspruchs zwischen der hier errechneten Personalkonstanz bei Betrieben mit Niedriglohnbeschäftigten und der empirisch beobachteten Zunahme der Beschäftigung in ausgewiesenen Niedriglohnbranchen wie etwa dem Gastgewerbe.
* Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Göttinger Institut für Regionalforschung. Unter www.miese-jobs.de betreibt er ein Informationsportal zu atypischen und prekären Beschäftigungsformen. Dieser Beitrag erschien auch auf annotazioni.de
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