Der DGB sollte den Sachverständigenrat sehr ernst nehmen

Der Einfluss des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung war sicherlich schon einmal größer. Die Gewerkschaftsspitzen sollten dennoch der Versuchung widerstehen, ihr Vorschlagsrecht auf die leichte Schulter zu nehmen. Das zeigt die gegenwärtige Kampagne der arbeitgebernahen Ratsmehrheit gegen Peter Bofinger allzu deutlich.

Auch wenn die öffentliche Aufmerksamkeit nachgelassen hat, ist der Sachverständigenrat das wichtigste und prominenteste Beratergremium der Bundesregierung. Seine Wirkung hängt auch nicht davon ab, möglichst viele und große Schlagzeilen in den Medien zu produzieren. Es genügt schon, wenn sich alle Räte in ihrer angebotsorientierten, also arbeitgebernahen Grundhaltung einig sind, und die Gutachten in diesem Sinne verfasst werden. Wenn das gelingt, dann verfestigt sich die öffentliche Wahrnehmung, dass (ernsthafte) Wirtschaftswissenschaft mit marktliberalen Thesen und Empfehlungen gleichzusetzen ist. Alles was davon ausgeht, dass die Bevölkerungsmehrheit der Arbeitnehmer Interessen hat, die nicht mit denen der Arbeitgeber harmonieren, wird so zur Quacksalberei gestempelt.

Der Sachverständigenrat ist dank des Rechts der Gewerkschaften, ein Mitglied vorzuschlagen, die letzte halbwegs prominente Position für einen deutschen Ökonomen, der in wirtschaftspolitischen Fragen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit in den Vordergrund rückt. Das Forschungsinstitut DIW in Berlin, das früher von keynesianischem Gedankengut durchsetzt war, wurde auf Linie gebracht. Seit gut 20 Jahren wurde meines Wissens fast kein Volkswirt mehr an einen wirtschaftspolitisch relevanten Universitätslehrstuhl berufen, der eine geistige oder sonstige Nähe zur falschen Seite der Tarifpartnerschaft aufweist.

Wenn es den Gewerkschaften nicht gelingt, einen guten Ökonomen oder eine gute Ökonomin zu finden, die dem arbeitgebernahen Mainstream ernsthaft etwas entgegensetzt, geben sie den Kampf um die wirtschaftspolitische Deutungshoheit auf. Dann gibt es im ganzen Land nur noch arbeitgebernahe Ökonomen auf der einen und Quacksalber auf der anderen Seite.

Peter Bofinger von der Uni Würzburg, sitzt auf dem Gewerkschaftsticket im Sachverständigenrat. Er hat schon vor etwa zehn Jahren, als ich ihn in Würzburg interviewte, gewitzelt, er müsse vorsichtig über die Straße gehen Er sei schließlich der letzte Keynesianer in Deutschland. Das war nur leicht übertrieben. Bofinger hat seine Aufgabe im Sachverständigenrat ernst genommen und den markliberalen bis marktfundamentalistischen Analysen der vier anderen Räte zu Themen wie Ungleichheit, Altersversorgung und Arbeitsmarktpolitik, etwas entgegengestellt.

Ein angebotsorientiertes Deutungsmonopol ist das Ziel

Wie sehr den marktliberalen Mainstream dieser letzte Stachel im Fleisch stört, wurde jetzt wieder deutlich. Bofinger veröffentlichte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein Plädoyer dafür, dass der Staat bestimmte Aufgaben selbst erledigen sollte. Die Replik kam von allen vier arbeitgebernahen Sachverständigenratsmitgliedern gemeinsam. Die vier beschworen ihre gemeinsame „Liebe zum Markt“ und unterstellten Bofinger indirekt Laienhaftigkeit, weil er diese nicht hinreichend teilt. Das war kein Einzelfall. Seit einiger Zeit ist zu beobachten, dass die vier arbeitgebernahen Weisen, teilweise unter Hinzuziehung des Generalsekretärs als Ersatzmann für Bofinger, mit wirtschaftspolitischen Thesen an die Öffentlichkeit gehen, ohne das arbeitnehmernahe fünfte Rad zu involvieren. Das macht das starke Bestreben deutlich, die Institution Sachverständigenrat für die Verbreitung marktliberalel Vorschläge im Arbeitgeberinteresse zu instrumentalisieren und das gewerkschaftsnahe Mitglied als nicht richtig zugehörig zu markieren.

Das nächste Schlachtfeld in diesem Kampf um die alleinige Deutungshoheit in der Wirtschaftspolitik wird die Nachfolge von Bofinger Anfang 2019 sein, die im nächsten Jahr zur Entscheidung ansteht. Wenn es gelingt, dem DGB-Vorstand einen Kandidaten unterzuschieben, der der marktliberalen Mehrheit nichts entgegensetzen kann oder will, ist das angebotsorientiere Deutungsmonopol in Deutschland perfekt. Die Chancen stehen angesichts der erfolgreichen Tilgung von keynesianischem und anderem abweichlerischen Gedankengut an den Universitäten und Forschungsinstituten gar nicht schlecht. Denn es gibt einige prominente Wölfe im Schafpelz, die ihre neoliberale Haltung mit guter Vernetzung in SPD-Kreisen und sozialliberaler Wortwahl überdecken. Mit diesen Bigshots müssen sich Kandidaten aus dem Halbdunkel des Off-Mainstream vergleichen lassen. Es gibt auch ein paar sogenannte Neo-Keynsianer, deren Theorierichtung mit ihrem Namen keynesianisches Gedankengut suggeriert, obwohl sie sehr viel näher an der Neoklassik ist als an Keynes. (Wie so oft ist „neo“ oder „neu“ hier im neusprachlichen Sinne als „nicht“ oder „keine“ zu lesen, wie in Initiative „Neue“ Soziale Marktwirtschaft.) Es gibt auch „Post-Keynesianer“, die tatsächlich keynesianisches Gedankengut vertreten. Sie machen in Deutschland aber – wohl deswegen – keinen Stich an den Universitäten.

Wölfe im Schafspelz

Wohin die Reise nach Vorstellung des marktliebenden Ökonomenmainstream gehen soll, hat Ifo-Ökonom Niklas Potrafke in seinem Angriff auf Bofinger in der FAS deutlich gezeigt. Er argumentierte ganz explizit, dass gewerkschaftsnominierte Sachverständigenratsmitglieder keine echten Ökonomen seien, und lies dies in dem Vorschlag an den DGB gipfeln, DIW-Chef Marcel Fratzscher als Nachfolger von Bofinger zu nominieren. Fratzscher hat sich als Hofökonom von Sigmar Gabriel redlich bemüht, mit Ungleichheitsrhetorik sozialdemokratischen Stallgeruch anzunehmen. Das sollte aber keinen im DGB darüber hinwegtäuschen können, dass er daraus fast genau die gleichen Folgerungen zieht, wie marktliberale Ökonomen. Das ist vor allem bessere Bildung und frühkindliche Förderung, garniert mit ein klein bisschen Umverteilung. Nach der jüngsten Fernsehdiskussion von Merkel und Schulz rügte Fratzscher ebenso wie IW-Chef Michael Hüther die Kanzlerin dafür, dass sie der Rente mit 70 eine Absage erteilt hatte. Sein Gegenvorschlag eines flexiblen Rentenalters scheint deckungsgleich mit dem, was FDP-Chef Lindner in der Fernsehdiskussion der Kleinparteien vorschlug. Fratzscher bereitete auch für Gabriel als Vorsitzender einer Kommission,  die Privatisierung der Autobahnen und Schulen als Renditebringer für Allianz und Co. vor. Das Gewerkschafsticket im Sachverständigenrat an ihn zu vergeben, wäre wirklich ein Coup für die Gegenseite.

Es wäre nicht das erste Mal, dass so etwas gelänge. 1994 wurde der damaligen DGB-Spitze der neoliberale Arbeitsmarktforscher Wolfgang Franz als Kandidat untergeschoben. Nachdem er nicht erneut nominiert wurde, kehrte er 2003 auf dem Arbeitgeberticket zurück und begründete 2004 die seither fortgeführte Tradition der Ratsmehrheit, mit wissenschaftlich indiskutablen Tricks und Täuschungsmanövern den bei Arbeitgebern verhassten Mindestlohn zu einem Jobkiller zu erklären.

Ein Vorschlag zur Kandidatensuche

Bestens vernetzte Vertreter von Kapitalinteressen im SPD-Schafspelz sind in Berlin einige unterwegs. Deshalb sollte die DGB-Spitze diese wichtige Personalie nicht aus der Lamäng entscheiden, sondern ein Verfahren in Gang setzen, das es ihr und den Mitgliedern ermöglicht, alle in Frage kommenden Kandidaten in den Blick zu nehmen und abzuklopfen.

Eine Variante wäre es, eine wissenschaftliche Konferenz zur Wirtschaftspolitik aus Arbeitnehmersicht auszurichten. Auf dieser könnten dann alle am Thema oder an der Position interessierten Wissenschaftler darlegen, welche Finanzpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Rentenpolitik etc. sie aus Arbeitnehmersicht für richtig und besonders wichtig erachten. Es würde kundigen Teilnehmern auffallen, wenn sich Kandidaten dafür ein Schaffell überzögen, in dem sie ganz anders aussehen als bisher. Andere müssten befürchten, als Charakterschweine dastehen, wenn sie später als gewerkschaftsnominierte Sachverständigenräte Mehrheitsvoten mittrügen, die ihren heutigen Vorschlägen diametral entgegenstehen. Beide Sicherungen gibt es nicht, wenn der DGB-Vorstand im stillen Kämmerlein entscheidet.

Wie die Wirtschaftsweisen tricksen und täuschen (Teile 1 bis 4)

Täuschende Wirtschaftsweise 2016 (1): Mindestlohn – Mehr auf Arbeitgeberlinie als die Arbeitgeber selbst

[5.9.2017]

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