Warum Deflation gefährlich ist, oder: Draghi doth protest too much

Leider gibt es im Deutschen keinen ebenso schönen Ausdruck wie im shakespeareanischen Englisch dafür, wenn jemand so ausführlich etwas betont, dass man das Gegenteil für wahr hält. In Hamlet sagt Hamlets Mutter: „The lady doth protest too much, methinks.“ Sie kommentiert damit, dass eine sie darstellende Schauspielerin allzu blumig betont, dass sie nach dem Tod ihres Mannes nicht wieder heiraten werde. Ähnlich konnte EZB-Chef Mario Draghi auf der Pressekonferenz (hier) der Europäischen

Zentralbank gestern kein Ende finden, bei der Aufzählung immer weiterer Gründe, warum Deflation keine ernste Gefahr darstelle.

Misstrauisch machen schon die sich wandelnden Definitionen, die Draghi gibt. Betonte er im August 2013 noch, dass keinem Land des EuroraumsDeflation drohe, setzt seine aktuelle Definition von Deflation voraus, dass die Preisrückgänge „in einer Vielzahl von Ländern“ auftreten. Das macht die Feststellung logisch unmöglich dass, ein Land in der Deflation steckt. Dabei stecken zumindest Griechenland und Zypern offenkundig seit vielen Monaten in einer Deflation.

Wenn die Gefahr einer Deflation allein in dem bestünde, was Draghi beschreibt, nämlich dass die Konsumenten Käufe aufschieben, weil sie auf noch billigere Preise warten, dann wäre die Gefahr in der Tat gering. Im Computer-, Telekommunikations- und Elektronikbereich sinken die Preise seit Jahrzehnten. Aber weil man weiß, dass nie der richtige Zeitpunkt kommen wird, wenn man auf noch niedrigere Preise wartet, lässt jeder normale Mensch das Warten sein.

Nein, die Gefahr ist ein ganz andere. Wenn die Haushalte, Unternehmen und Staaten hoch verschuldet sind, und das sind sie in Europa, dann wird die Schuldenlast immer drückender, je weniger Inflation es gibt. Nachhaltig sinkende Preise bedeutet nachhaltig sinkende Erlöse der Unternehmen und sinkende Einkommen der Haushalte. Aus den sinkenden Budgets müssen Haushalte und Unternehmen ihren Schuldendienst leisten. Wenn die Zinsen in gleichem Maße sinken wie die Inflationsrate, dann steigt die Belastung wenigstens nicht. Aber unter drei Prozent für die gute privaten Adressen und die Staaten im Durchschnitt des Euroraums konnte die EZB die Schuldzinsen nicht drücken. Seit dieses Plateau erreicht wurde, bedeutet jedes weitere Absinken der Inflationsrate, dass die Belastung der Schuldner im Euroraum zunimmt. Dazu braucht die Inflationsrate noch nicht einmal unter null zu sinken.

Die Belastung der Schuldner ist das Hauptproblem für die Konjunktur. Denn wenn jeder Sektor versucht, seine Verschuldung zu senken, indem er weniger ausgibt als er einnimmt, dann sinkt die Nachfrage. Dadurch sinken die Einkommen, was einerseits den Schuldenabbau erschwert oder vereitelt, andererseits die Preise weiter fallen lässt.

Für diesen Effekt ist es wohlgemerkt egal, wie gut „verankert“ die Inflationserwartungen des Publikums sind. Hier geht es um tatsächliche Geldströme, nicht um Erwartungen. Die Erwartungen haben nur die dominierende Rolle, die die EZB ihnen gibt, wenn man sich in dem Modell der „rationalen Erwartungen“ bewegt, bei dem die tatsächliche Inflationsentwicklung vor allem davon abhängt, welche Inflation die Menschen erwarten. Nur in diesem realitätsfernen Modell kann die Zentralbank sich zufrieden zurücklehnen, solange die Inflationserwartungen fest verankert sind.

Fest verankert sind die Inflationserwartungen ohnehin nur gemäß der Umfragen der EZB bei Volkswirten. Die sagen standardmäßig, dass sie auf längere Sicht knapp zwei Prozent Inflation erwarten – und sei es nur, um der EZB eine Freude zu machen.

Ein einfacher Vergleich der Rendite inflationsindexierte und normaler französischer Anleihen ergibt Inflationserwartung für die nächsten acht Jahre von nur noch eineinviertel Prozent. Aufwendigere Untersuchungen anhand von Finanzderivaten zeigen, dass die Märkte das Risiko einer Deflation als durchaus beträchtlich einstufen.

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