Brief aus Athen: Tsipras Optionen aus Sicht der Parteizeitung

Markus Barth, Athen. „Nichts ist zu Ende bevor es zu Ende gegangen ist“ titelt das Parteiorgan der SYRIZA „AVGI“ den heutigen Leitartikel . Da der Artikel ein gutes Bild der trotzigen Stimmung und der Einschätzung der Situation in der Partei gibt, hier die Übersetzung. Man unterstellt der Gegenseite den unbedingten Wilen zum Umsturz und sieht Tsipras in der Lage, das zu verhindern.

 

Der gestrige Tag war außerordentlich lehrreich. Es wurde ohne Zweifel klar, das vereinfachende Schemata „18 gegen 1“ auf Länderebene und „3 gegen 1“ auf der Ebene der Institutionen die komplexe europäische Realität nicht widerspiegeln. Ganz einfach, je näher die Übereinkunft oder auch der Bruch kommt, fallen die Masken und jeder schaut auf seine eigenen Interessen.

Es wurde ebenfalls offensichtlich, das die Positionen der Kreditgeber ideologisch sind und nicht finanztechnisch „technokratisch“. Sie drängen in schamloser Zusammenarbeit mit ihren hiesigen Mitarbeitern auf den Umsturz der ‚volksfreundlichen‘ Elemente der griechischen Vorschläge. (Dazu hat auch Norbert Häring  hier schon geschrieben. und Paul Krugman schreibt das gleiche hier. M.B.)

Sie wollen damit zwei Dinge erreichen: Den Sturz der Regierung Tsipras und die Installierung ihrer eigenen (siehe den entsprechenden Vorschlag von Samaras für eine Regierung mit weder ihm selbst als Premierminister, noch Tsipras sondern einer dritten Person Typ Papadimou) und zweitens die Bedienung der Interessen der griechischen Korruption, der man ein „Business as usual“ garantieren will. Sie wollen beides weil sie wissen, dass sie selbst wenn sie ihre Vorschläge durchsetzen, sie auch eine Regierung brauchen, die willens ist diese nach ihren Wünschen umzusetzen.

Es zeigt sich auch, dass es zwei Schlüsselfragen gibt bei denen es selbst in Deutschland unterschiedliche Meinungen gibt. Das eine ist das Thema der Präsenz des IWF in Europa und das andere das Thema der Tragfähigkeit der griechische Schulden, das ebenfalls auf dem Tisch liegt.Es bestätigt sich auch, dass Beschlüsse in Europa nicht einfach fallen und Kompromisse auch mal 5 nach 12 vorkommen. Die griechische Seite ist jedenfalls da und kämpft, sie wartet nicht passiv, dass man ihr Beschlüsse ankündigt, die andere fassen. Diese Neuheit in fünf Jahren Verhandlungen hat das System zum Kurzschluss gebracht. Damit es eine Übereinkunft gibt braucht es alle Unterschriften, und Tsipras wird die seine nicht so leicht leisten.“

Dass der Autor mit seiner Einschätzung, dass es um den Sturz der Regierung geht, wohl nicht so falsch liegt zeigt die Präsenz zahlreicher Oppositionspolitiker in Brüssel, die ebenfalls Gespräche mit Vertretern ihrer jeweiligen „Fraktionen“ im Europaparlament führen. Stavros Theodorakis Präsident der neuen „europafreundlichen“ Potami-Partei und Hätschelkind von Martin Schulz nahm an einem Arbeitsessen teil, zu dem noch vier amtierenden Premierminister (Belgien, Holland, Luxemburg, Finnland) eingeladen waren und hatte die Gelegenheit Finanzkommissar Pierre Moskovici zu treffen berichtet die Zeitung Proto Thema. Ebenfalls geladen war Albert Riviera der Präsident der Ciudadanos der konservativen spanischen Podemos -Alternative. Die führenden Parteibündnisse der EU bemühen sich offensichtlich neue pflegeleichte Partnerparteien aufzubauen, nachdem mit den korrupten und abgewirtschafteten früheren Bruderparteien kein Staat mehr zu machen ist.

Theodorakis, der sich seit den Wahlen der Syriza-Regierung erfolglos als alternativer Koalitionspartner andient, bringt das Kunststück fertig, die Kompromiss-Vorschläge von Tsipras als wachstumsfeindlich zu kritisieren aber gleichzeitig auf die Unterschrift einer wie auch immer gestalteten Übereinkunft zu drängen, die er auch in jedem Fall im Parlament unterstützen werde insbesondere wenn Tsipras Stimmen vom linken Flügel fehlen sollten (!). Neu-Wahlen will er aber nicht. Er weiß zu gut dass dabei die Mehrheit von Syriza durchaus eine absolute sein könnte und Potami bei aktuellen Umfragen bei 5-6% liegt. Er selbst gilt zudem bei der überwiegenden Mehrheit der Griechen als „der Mann Bobolas“, eines Bau- und Medien-Oligarchen, der beim TV-Kanal Mega jahrelang sein Arbeitgeber war. In der linken Presse und vielen Blogs wird ihm zudem das Etikett „Mann der Deutschen“ angehängt.

Auf solche Unterstützungsangebote zurückzugreifen wäre politischer Selbstmord für Tsipras. Er ist m.E. zu intelligent, dass nicht zu wissen. Eine harte Verhandlungsführung mit Risiko des Bruchs ist also politische Notwendigkeit. Wenn es ernst wird mit dem Grexit gibt es auch auf der Gegenseite ganz beträchtliche Besorgnisse.

Anmerkung (26.6.): Der drittletzte Absatz wurde dahingehend geändert, dass die vier Ministerpräsidenten eingeladen waren. Ein entsprechender griechischer Pressebericht war ungenau. Nicht bei allen Eingeladenen ist die Teilnahme verifiziert.

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