Brief aus Athen: Warum „Amateur“ Varoufakis nicht mit seinen „Profi“-Kollegen essen wollte

Markus Barth, Athen. Fast drei Stunden lang, bis weit nach Mitternacht stand am vergangene Dienstag Alexis Tsipras im TV-Kanal STAR  dem Journalisten Niko Papanikolaou und den Zuschauern im Studio Rede und Antwort. Die deutsche Presse berichtet wie üblich recht polemisch und sehr selektiv. Hier, was er tatsächlich gesagt hat.

„Tsipras teilt gegen die Kanzlerin aus„ titeln gleichlautend Focus und Bild, „Tsipras pöbelt im TV gegen die Kanzlerin“ schreibt die „Münchner Abendzeitung. „Tsipras droht mit Referendum“ ist der Titel in der Zeit und „Tsipras kriegt kalte Füße“ ist die Interpretation des Handelsblatts. Englische Blätter verstehen Tsipras anders. Der Telegraph hat z.B. die headline: „Angela Merkel is still Greece’s best hope“ und Fortune fragt sich „Did Alexis Tsipras just banish the risk of Grexit?“.

Damit sich die Leser ein eigenes Urteil bilden können und weil viele interessante Informationen garnicht übermittelt wurden moechte ich an dieser Stelle einige Schlüsselaussagen aus dem griechischen Orginalton übersetzen.

Einleitend erklärt Tsipras warum er dieses Interview gibt: „ Wir sind in einer schwierigen Phase, wir haben nichts zu verbergen, wir bluffen nicht, wir müssen unsere Bürger ehrlich informieren…wo stehen wir, was sind unsere Ziele.
 
Hatzinikolaou verweist auf ein Interview vor der Wahl, bei dem Tsipras gesagt hatte Merkel werde zu seinen Vorschlägen nicht nein sagen, weil sie Europa nicht gefährden und die Krise überwinden wolle. Bis jetzt habe sie aber immer noch nicht ja gesagt. Tsipras antwortet er habe in seinen Gepraechen mit Merkel bestätigt gefunden, dass sie den guten Willen habe eine Lösung der Probleme zu finden. Sie habe allerdings gegenwärtig zwei Problemkreise zu bewältigen, die die Zukunft Europas aber auch ihre eigene politische Zukunft beträfen: die Ukraine und das Minsker Abkommen und Griechenland. Das Kriterium des Misserfolgs sei dabei was Griechenland betreffe für alle Beteiligten dasselbe: ein Scheitern der Verhandlungen, eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands wären ein Misserfolg sowohl für Merkel als auch für Europa und Griechenland.
 
Was den Erfolg angehe gaebe es Unterschiede. Sie habe den Druck ihrer öffentlichen Meinung und politische Kosten. Sie sei gefangen in der politischen Unmöglichkeit, zuzugestehen, dass in Griechenland fünf Jahre lang ein Programm verfolgt wurde, dass erwiesener Massen nicht funktioniert habe, ein Programm, das keine Fruechte getragen habe, seine Ziele nicht erreicht habe und Schmerz und Verzweiflung für Millionen Bürger verursacht habe.
 
Entgegen der Voraussagen habe seine Regierung am 20.Februar eine Übereinkunft in der Eurogruppe erreicht, die ein Erfolg fuer Griechenland gewesen sei. Man habe zwar nicht „das Memorandum zerreissen“ können (Anspielung auf Wahlkampfparolen von Syriza,M.B.) man habe aber die Möglichkeit gewonnen von den bereits beschlossenen wachstumsfeindlichen Massnahmen der e-Mails Harduvalis (Finanzminister der ND) wegzukommen wie z.B. weitere Rentenkürzungen, Mehrwertsteuer-Erhoehungen für Lebensmittel und Medikamente, Primärüberschuss 4,5 Prozent etc. .
 
Hatzilikolaou verweist auf die Kritik der Institutionen, dass die Regierung von Syriza in der Folge keine konstruktiven Gegenvorschlaege gemacht habe. Tsipras antwortet, dass leider in den anschliessenden Verhandlungen die Institutionen eben diesen gewonnenen Spielraum wieder zurücknehmen wollten, indem sie schlichtweg alle Vorschlaege ablehnten, in dem eben diese wachstumsschaedlichen Massnahmen nicht enthalten waren.
 
Nichts sei einfacher als diese alten Austeritaetsmassnahmen zu unterschreiben und die ausstehenden neuen Kredite zu erhalten. Dafür habe er aber keinen Auftrag seiner Wähler erhalten. In den Verhandlungen gehe es um sehr viel mehr als darum, ob er selbst oder Varoufakis den andern Europäer sympathisch seien. Es gehe darum, ob Europa die Demokratie akzeptiere, den Volkswillen in einem seiner Mitgliedsstaaten. In den Verhandlungen seien die demokratischen Prinzipien mit den europaeischen Regeln zusammengeprallt. Die Vorgängerregierung habe darüber hinaus dafür gesorgt, dass sich seine Regierung von Anfang an auf dem „Minenfeld der grossen Liquiditaetspropleme“ bewegen musste. Sie habe (das habe ihm Junker berichtet) im Angesicht ihrer sicheren Niederlage darauf verzichtet, eine angebotene Verlängerung des laufenden Programms um 6 Monate zu akzeptieren und eine nur 2monatige Verlängerung vereinbart mit dem Resultat, dass die neue Regierung sofort mit den Ruecken zur Wand unter enormem Zeitdruck stand.
 
Ausserdem habe die Vorgaengerregierung einen Primärüberschuss von 1,5% fuer 2014 behauptet, der sich jetzt als 0.8% herausstelle. Am 18.2. habe darueberhinaus die EZB die Möglichkeit eine kurzfristige Finanzierung durch Verkäufe kurzfristiger Staatsanleihen an die Banken ohne Begründung von 15 auf 9 Milliarden vermindert.
 
„Warum haben Sie nicht schon am 20.2. neue Kredite verlangt“ will Hatzinikolaou wissen. Er selbst und auch Varoufakis haetten das durchaus gegenüber der Euro-Gruppe zum Thema gemacht, antwortet Tsipras. Eurogruppen-Chef Dijsselbloem habe ihm und Varoufakis aber zugesichert, dass die EZB nach erfolgreicher Übereinkunft diese Beschränkung zuruecknehmen werde. das habe man ihm geglaubt, so wie man auch gutgläubig davon ausgegangen sei, dass die Übereinkunft vom 20.2. buchstaeblich eingehalten werde. Ein Fehler sei gewesen sich auf die muendlichen Zusagen zu verlassen und nicht auf einer schriftlichen Vereinbarung zu bestehen.
 
Also haben die europaeischen Partner euch reingelegt„,bohrt Hatzinikolaou nach. Haben diese der neuen Regierung eine Falle gestellt will er wissen. Meinen sie, dass das Land bestraft werden soll, weil es eine linke Regierung gewählt hat? Darauf will Tsipras sich so pauschal nicht festlegen lassen. Nicht alle in Europa hätten dieselbe Meinung, dieselben Ziele, dasselbe Gewicht und dieselbe Haltung. Es gäbe aber durchaus politische Kräfte, die genau das im Kopf hätten. Es gaebe auch Kräfte, die einfach darauf bauten, dass man die Regierung unter Ausnutzung ihrer Liquiditaetsprobleme dazu zwingen koenne ihre „roten Linien“ zu überschreiten und damit ihr politisches Kapital zu verspielen. So verteidigten die Institutionen in allen Verhandlungen die alten Troika-Positionen. Alles was dem nicht entspreche lehnten sie einfach ab. Deshalb gehe es so langsam voran.
 
Woran es hängt will der Journalist wissen. Die Bürger fragten sich, warum wir noch immer keine Übereinkunft haben. Was koennen Sie nicht unterschreiben? Tsipras berichtet mit sichtbarem Groll, es gehe tatsächlich immer noch um Rentenkürzungen und Massenentlassungen in einem sowieso schon aufgeloesten Arbeitsmarkt mit 26% Arbeitslosen und einer Jugendarbeitslosigkeit von 60%. Die kritisierten Probleme des Rentensystems seien gerade Folge der Troika-Politik. Diese habe die Einnahmeverluste durch die enorme Arbeitslosigkeit sowie den grossen Schaden fuer die Rentenkassen durch den ersten Schuldenschnitt zu verantworten.
 
Dann geht es um die Neuorganisation des Verhandlungsteams. Tsipras sagt er und die gesamte Regierung stünden voll hinter Varoufakis. Das sei nicht nur aus prinzipiellen Gründen so gesagt sondern mit voller Bedeutung. Varoufakis sei ein hervorragender Fachmann der die Zusammenhänge verstehe, sehr ehrlich sei und auf seinen Ueberzeugungen bestehe. Das habe sicher einige gestört. Das negative Klima in der letzten Verhandlungsrunde habe aber sicher auch damit zu tun, dass es eben auch ein Teil der Strategie sei den Gegenpart persönlich herabzusetzen, wenn man keine sachlichen Argumente mehr habe. Sicher haetten manche lieber einen Gegenpart wie den Vorgänger Harduvalis, der zu allem ja gesagt habe, aber sein eigenes Geld in der Schweiz habe. (Anmerkung Markus Barth: das hat dieser tatsaechlich zugeben müssen). Es habe schon immer ein Team in den Verhandlungen gegeben. Varoufakis bleibe verantwortlich für das Team , die letzte Verantwortung liege nach wie vor bei ihm selbst.
 
Sei es nicht uebertrieben von Varoufakis gewesen, nicht zum Abendessen mit den Kollegen zu gehen. Er vertrete doch das Land. Auch Politiker in verantwortlichen Positionen hätten Emotionen, verteidigt Tsipras seinen Finanzminister. Auch ihm Hatzinikolaou wuerde es sicher nicht gefallen wenn es innerhalb der Gespraeche keine konkreten Vorwuerfe gegeben habe aber einige Teilnehmer beim Rausgehen was anderes an die Presse weitergeben. (Anmerkung: Dass es entgegen der von Bloomberg mit Verweis auf anonyme Quellen  verbreiteten Gerüchte zwar inhaltliche Kontroversen aber keinerlei persoehnliche Angriffe und Beschimpfungen wie „Amateur“ gegen Varoufakis gegeben habe, hat neben Varoufakis selbst auch der italienische Finanzminister Pier Carlo Padoan betont.) Ansonsten sei die Mannschaft neu organisiert worden, um in der kritischen Phase die Zusammenarbeit mit den Institutionen zu verbessern und zu beschleunigen.Er sei zuversichtlich dass in Kuerze ein Kompromiss gefunden werde. Was er tue wenn dass nicht möglich sei. Nur im Falle, dass die Partner Dinge verlangten, die nicht vom Wählerauftrag abgedeckt seien müsse er ein Referendum abhalten, er sei aber sehr zuversichtlich, dass das nicht noetig sei.
 
Epilog: Dijsselbloem gab inzwischen seine Version bekannt: die Griechen hätten sich „verzockt“ und faelschlicherweise erwartet, dass die EZB die Geldschleusen öffne. Was seine Glaubwürdigkeit angeht gibt es einen interessanten Artikel aus Irland, von wo er einen nicht-existenten akademischen Titel im Lebenslauf stehen hatte. Darüber, wie das Land, in dem Dijsselbloem Finanzminister ist, den reichen Griechen bei der Steuerhinterziehung hilft, hat Harald Schumann einen sehr aufschlussreichen Artikel im Tagesspiegel geschrieben und in Holland sorgt unser Polit-Profi wenigstens dafür, dass Bankmanager nicht am Hungertuch nagen., indem er Ihnen heimlich Boni genehmigt.
 
Schlagwörter: Tsipras, Varoufakis, Griechenland, Euro-Gruppe, Dijsselbloem
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