Markus Barth, Athen. Manfred Ertel und Katrin Kuntz sind zwei der drei Spiegel-Journalisten, die das Interview mit Alexis Tsipras im aktuellen Spiegel geführt haben. Bei einem Abendessens in einer Athener Taverne stellen sie sich den Fragen ihrer griechischen Kollegin Xenia Kounallaki von der konservativen Zeitung Kathimerini über die Griechenland-Berichterstattung des Spiegel und der deutschen Medien im Allgemeinen.
Da die Antworten auch für deutsche Leser interessant sein dürften, will ich den Inhalt ihres Berichts in Kathimerini hier zusammengefasst auf Deutsch widergeben.
Am Tag des Treffens hatte es einen erneuten „Schlagabtausch“ mittels Pressemeldungen zwischen Varoufakis und Schaeuble gegeben. Kounalakki berichtet, beide deutsche Kollegen seien recht empört über das Verhalten des deutschen Finanzministers gewesen. Sie habe entgegengehalten, der Spiegel sei doch „His masters Voice“. Alle Nonpapers aus dem Büro Schaeuble würden doch im Spiegel verbreitet?
Die jüngere Kuntz habe das relativieren wollen aber der „Veteran“ des Magazins habe erläutert, dass es in der Redaktion des Spiegel ebenso wie in der deutschen Gesellschaft zwei Richtungen gebe: diejenigen, die sich mit Beharrlichkeit mit dem weiter bestehenden Mangel an Ausgabendisziplin beschäftigten und diejenigen , die stärker auf die humanitäre Krise hinwiesen.Er selbst habe zu Beginn der Krise seinen deutschen Freunden auch eher „dunkle Geschichten“ über Griechenland erzählt; über die Überbesetzung in den Ministerien, etwa wie viele Sekretariate man zu überwinden habe, bis man beim Minister lande.Jetzt beschreibe er ihnen wie schwierig der Zustand im Land inzwischen sei. Je länger er in Athen sei, umso mehr habe er erfahren, wie viele Menschen auch der Mittelklasse von der Krise betroffen seien. Ungeheizte Wohnungen, Armenspeisungen, die entlassenen Putzfrauen der Finanzverwaltung, öffentliche Bedienstete vor der Entlassung. Das seien Geschichten, die in Deutschland wenig Gehör fänden.
„Es gibt eine riesige Informations-Mangel über die Lage in Griechenland“ habe der altgediente Journalist zugeben. Viele der Stereotypen, wie Steuerhinterziehung und Korruption hätten einen großen Wahrheitsgehalt, aber andererseits beschränkten sich viel deutsche und sonstige europäische Medien nur auf diese Aspekte.( Anmerkung MB: Ertel war einer der Ersten die bereits 2011 über die humanitäre Katastrophe und die Gefahr des Neofaschismus berichtet hatten und deswegen sogar unangenehme Erfahrungen mit der griechischen Justiz machen musste. Aber tatsächlich ist das humanitäre Problem, das nach 5 Jahren Austeritätspolitik seither noch viel größer geworden ist, jetzt viel weniger Thema. Stattdessen wird von nichtexistenten Fortschritten bei der Krisenbewältigung fantasiert.)
„Katrin und ich gehören beim Spiegel zum Flügel, der ein sozialökonomisches Gesamtbild Griechenlands sehen will“ erklärt Ertel und distanziert sich damit indirekt von denjenigen Kollegen, die „Ökonomie studiert“ hätten und darauf bestünden, dass man nur mit Austerität das Schuldenproblem lösen könne.