20. 07. 2017 | Wohneigentum ist so teuer geworden, dass junge Familien es sich nur leisten können, wenn sie gut situierte Eltern haben. Viele Haushalte geben ein Drittel bis die Hälfte ihres Einkommens für Miete und Nebenkosten aus. Das alles liegt vor allem an stark gestiegenen Grundstückspreisen, nicht an den Baukosten. Die ökonomische Theorie hat dazu fast nichts zu sagen, weil das Thema heikel ist. Dabei gibt es Möglichkeiten zur Abhilfe.
Der Kapitalstock der deutschen Volkswirtschaft, so, wie er statistisch gemessen wird, besteht offiziell zur Hälfte aus Wohngebäuden. Wenn man Betriebsimmobilien miteinbezieht, sind es zwei Drittel. Das liegt an den stark gestiegenen Grundstückspreisen, die miteingerechnet werden. Grundstücke und ihre Preise sind offenkundig wichtig für die Volkswirtschaft. Und dennoch: Grundstücke, Boden, Fläche oder Land, welchen Begriff man auch bevorzugt, kommen in den volkswirtschaftlichen Lehrbüchern und Theorien kaum noch vor. Zu Zeiten der Klassiker wie Adam Smith, David Ricardo und Karl Marx gab es noch drei Produktionsfaktoren: Arbeit, Boden und Kapital. Das änderte sich mit dem Übergang zu den Neoklassikern. Sie fassten einfach Boden und produziertes Kapital zu einem Produktionsfaktor zusammen. Die offizielle Statistik folgte dieser Vorgabe der Theorie.
Dabei hat Boden ganz andere Eigenschaften als Maschinen, Gebäude und Fahrzeuge. Boden, im Sinne einer Fläche mit einer bestimmten Lage, wird nicht produziert, sondern ist einfach da. Er nutzt sich nicht ab und wird nicht abgeschrieben. Boden wird vielmehr immer teurer, weil er im Zuge des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums immer knapper und wertvoller wird.
Die britischen Ökonomen Josh Ryan-Collins, Toby Lloyd und Laurie Macfarlane wollen Boden und Land als dritten Produktionsfaktor wieder zurückbringen und haben dafür das Buch „Rethinking the Economics of Land and Housing“ geschrieben.
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Ein besseres Verständnis der Besonderheiten von Boden kann uns helfen, drängendste gesellschaftliche Probleme anzugehen, wie überhöhte Immobilienpreise, Ungleichheit und stagnierende Produktivität.
Das verspricht Ryan-Collins gänzlich unbescheiden. Adair Turner, ehemaliger Chef der britischen Finanzaufsicht, fügt in einer Lobrede auf die Publikation noch die Zunahme der Verschuldung und Finanzkrisen der Liste der Probleme hinzu, die man nach der Lektüre besser verstehe. Der berühmte klassische britische Ökonom Adam Smith kommt darin mit der Erläuterung zu Wort:
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Die Grundrente (Pacht) ist natürlicherweise ein Monopolpreis. Sie richtet sich nicht danach, was der Besitzer dafür ausgegeben hat oder was er mindestens an Einnahmen braucht, sondern danach, was der Farmer sich leisten kann zu zahlen.
Rente bedeutet in der Volkswirtschaftslehre „leistungsloses Einkommen“, etwa im Wort Monopolrente. Der Grundstücksbesitzer vergibt sein Grundstück an den, der bereit ist, den größten Teil des Gewinns abzuführen, den er durch die Bewirtschaftung machen kann. Preis oder Pacht richten sich heutzutage vor allem nach der Lage und danach, welche Nutzungen erlaubt sind.
Klassiker: Verstaatlichen oder besteuern
Wenn eine neue Straße oder S-Bahn gebaut wird, können die Besitzer der erschlossenen Grundstücke einen großen Teil des Vorteils in Form höherer Grundstückspreise auf sich ziehen. Wenn die Wirtschaft und damit Einkommenskraft einer Region wächst ebenso. An den Kosten beteiligen müssen sie sich meist nicht. Die klassischen Ökonomen erwarteten und fürchteten dehalb, – wohl zu Recht – dass ein immer größerer Anteil der Wachstumsdividende an die Grundbesitzer gehen würde. Steigende Mieten und Pachten würden die Löhne und Produktionskosten nach oben treiben und die wirtschaftliche Entwicklung bremsen. Für Marx war die Lösung klar: Verstaatlichung. Die anderen votierten für Besteuerung von Bodenwertsteigerungen. Die Steuerlast sollte so weit wie möglich auf die Bezieher von Grundrenten fallen – statt auf Arbeitseinkommen oder Einkommen aus Unternehmertätigkeit. Denn so hätte sie keine negativen Effekte.
Damals ging es um die Abschaffung des britischen Importverbots für Getreide, von dem der landbesitzende Adel profitierte, weil es die Grundstückswerte steigerte. Das aufstrebende Bürgertum, dem sich Smith und Ricardo zugehörig fühlten, hasste es, weil es Lebenshaltungskosten und damit die Löhne nach oben trieb. Ricardos Argumente halfen, die Abschaffung der „Corn Laws“ herbeizuführen.
Neoklassische Neudefinition
Die Neoklassiker definierten später Kapital in eine abstrakte Größe um, gemessen als Geldbetrag, der in Maschinen, Gebäude oder Grundstücke investiert werden konnte. Die großen Unterschiede zwischen Boden und Kapitalgütern spielten plötzlich keine Rolle mehr. Die Basis für das seither dominierende Zwei-Faktoren-Wachstumsmodell nach Roy Harrod und Robert Solow war gelegt. Jeder der beiden abstrakten Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital verdient am Markt genau das, was er zum Produktionserfolg beiträgt. John Bates Clark, einer der Väter der Neoklassik, begründete dies seinerzeit ausdrücklich mit der Bedrohung durch sozialistische Reformer, die von Ausbeutung der Arbeiter sprachen. Dass die Neoklassiker Boden verschwinden ließen, könnte dazu passen, dass das industrielle Bürgertum Ende des 19 jahrhunderts bereits in großem Ausmaß zu den Grundbesitzern gehörte. Eine Theorie, die die Wertschöpfung gleichmäßig auf Kapital und Arbeit aufteilte, legte nahe, die Steuerlast auf beide Faktoren fallen zu lassen, und eben nicht vorrangig auf Kapital oder Boden.
Boden verschwand aus dem Fokus der Theorie, der Statistiker und der Finanzminister. Bodenpreise und Bodenwertsteigerungen werden fast nirgends vernünftig erfasst. Thomas Piketty hat in seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ einen starken Anstieg der Vermögen relativ zu den Einkommen dokumentiert. Dieser beruht, wie die Autoren zeigen, allein auf Wertsteigerungen beim Vermögen, insbesondere bei Grundstücken.
Schon vor zwei Jahren hat Nobelpreisträger Joseph Stiglitz im Aufsatz „The measurement of wealth“ darauf hingewiesen, dass eine Zunahme des Vermögens, die auf höhere Grundstückswerte zurückgeht, in keiner Weise eine zusätzliche produktive Kapazität der Volkswirtschaft mit sich bringt. Grundstücke hätten daher im Kapitalstock nichts verloren.
Illusion von Reichtum
Was aufgrund unvollständiger Statistik als Wohlstandsgewinn daherkommt, ist in Wahrheit nur Umverteilung. Die höheren Grundstückwerte werden registriert. Die höheren Kosten für die Mieter und Pächter jedoch nicht. So entsteht die Illusion, die Gesellschaft sei reicher geworden, wenn ein Teil von ihr von einem anderen Teil mehr für die Nutzung der vorhandenen Grundstücke bekommt.
Die Rolle der Finanzbranche erscheint in einem anderen Licht, wenn „Investitionen“ in Grundstücke nicht mehr als produktive Anlage gesehen werden. Das Hauptgeschäft der Banken ist heute nicht mehr, Unternehmen Kredite für produktive Investitionen zu geben, sondern das Hypothekenkreditgeschäft, überwiegend mit privaten Haushalten. Zum weitaus größten Teil geht es dabei um die Finanzierung des Kaufs des Grundstücks und bereits gebauter Häuser. Da Grundstücke, anders als Maschinen und Anlagen, nicht vermehrbar sind, bedeutet der zunehmende Geldstrom in diesen Markt in Form von Hypothekenkrediten, dass die Preise nach oben getrieben werden. Das ist ein Problem, wenn es dazu beiträgt, die Bodennutzung für Haushalte und Unternehmen teurer zu machen. Wenn es zu einer Preisblase führt, die später platzt, wie 2007 in den USA und Teilen Europas, kann dies auch verheerende Auswirkungen auf die Volkswirtschaften haben. Eine VWL, die die Besonderheiten von Grund und Boden ignorierte, konnte das erst im Nachhinein verstehen.
Es gibt jedoch Hoffnung, dass sich der Nebel über den Grundrenten lichten könnte. Die Statistiker sind unzufrieden damit, so wenig über den größten Teil des Kapitalstocks zu wissen. Gemeinsam mit der OECD hat die europäische Statistikbehörde Eurostat 2015 einen „Compilation Guide on Land Estimation“ – einen Leitfaden zur Schätzung von Bodenwerten – herausgegeben. Dieser soll helfen, „die Informationslücke zu schließen, die durch die Finanzkrise aufgedeckt wurde“.
Bodenwertsteuer hat immer mehr Fans
Und eine breite Koalition der Vernünftigen will sich nicht länger damit abfinden, dass Grundbesitzer steuerlich geschont werden, während Arbeit und produktive Investitionen hoch besteuert werden.
Alle Parteien versprechen im Wahlkampf, Bürger mit niedrigen und mittleren Einkommen steuerlich zu entlasten. Worte und Pläne passen dabei aber oft nicht zusammen. Die Wahlkämpfer wenden sich fast nur der Einkommensteuer zu, obwohl diese zum größten Anteil von den Bestverdienern gezahlt wird. Dagegen bezahlt jeder fast ein Fünftel Mehrwertsteuer auf den größten Teil seines Konsums. Bei Geringverdienern macht das einen viel höheren Anteil am Einkommen aus als bei den Reichen. Und eine weitere Steuerart, bei der sich Ökonomen von links und rechts einig sind, dass man sie erhöhen sollte, um andere Steuern senken zu können, wird von der Politik – von links wie rechts – völlig vernachlässigt. Dabei kann sich das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft (IW) für diese Steuer ebenso begeistern wie der Mieterbund und Naturschutzverbände. Sie haben sich zusammengetan, um mit der Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ für eine Bodenwertsteuer zu werben. Die meisten Ökonomen haben sie dabei auf ihrer Seite – von links wie Joseph Stiglitz bis rechts wie Milton Friedman.
Grundsteuer anders berechnen
Anders als die derzeitige Grundsteuer wird eine Bodenwertsteuer nur auf den Grundstückswert erhoben. Der Wert von darauf stehenden Gebäuden wird nicht besteuert. Das hat große Vorzüge. Denn der reine Grundstückswert ist etwas ganz Besonderes. Er ist weitgehend unabhängig von Anstrengungen des Besitzers. Er richtet sich im Wesentlichen nach Lage, Erschließung und erlaubter Nutzung. Die Erträge daraus sind im ökonomischen Jargon eine „Rente“, ein leistungsloses Einkommen. Leistungsloses Einkommen zu besteuern bringt keine Anreizprobleme mit sich. Wem das leistungsbezogene Einkommen oder der Konsum teilweise weggesteuert wird, der entscheidet sich vielleicht für mehr Freizeit oder ein ruhigeres Arbeitsleben, anstatt sich mehr anzustrengen und dafür mehr Geld zu haben. Wer vom Ertrag einer Investition an den Fiskus abgeben muss, der investiert vielleicht weniger. Grundbesitzer, die eine Steuer auf den Bodenwert zahlen müssen, können dagegen nichts tun, um der Steuer auszuweichen. Der Wert des Grundstücks sinkt, denn der Käufer weiß ja, dass er vom Ertrag der Grundstücksnutzung einiges an den Fiskus abgeben muss.
Befürworter argumentieren sogar, dass eine Bodenwertsteuer positive Anreizeffekte hat. Kommunen, die Grundstücke erschließen und aufwerten wollen, etwa durch Neubau einer U-Bahn-Strecke oder einer Umgehungsstraße, können mit Hilfe einer Bodenwertsteuer den Ertrag dieser öffentlichen Investitionen zumindest teilweise an sich ziehen, anstatt dass er den Grundbesitzern leistungslos zufällt. Entsprechend haben sie mehr Anreiz und sind eher in der Lage, ökonomisch sinnvolle Investitionen dieser Art zu tätigen. IW-Ökonom Michael Voigtländer beschreibt den Zusammenhang in seinem neuen Buch „Luxusgut Wohnen“ so:
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Der Bodenwert wird maßgeblich durch kommunale Leistungen geprägt. Gute Verkehrsanbindungen, gute Schulen und eine gute Infrastruktur locken Unternehmen und Menschen an, woraufhin die Preise für Grund und Boden steigen. Setzt die Steuer nun am Boden an, partizipiert die Stadt an ihren Leistungen.
Noch wichtiger ist dem unternehmensnahen Institut IW ein anderer Aspekt. Die Bodenwertsteuer könnte dafür sorgen, dass ungenutzte oder unter Wert genutzte Flächen für den Wohnungsbau oder als Gewerbeflächen angeboten werden. Wer ein Grundstück als Wertanlage betrachtet und auf einen höheren Verkaufspreis spekuliert, wird sich eher zu einer sofortigen Nutzung entschließen, wenn er schon für das ungenutzte Grundstück eine Steuer zahlt, die die bestmögliche Nutzung widerspiegelt. Aus diesem Grund plädieren auch das Bundesumweltministerium und das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung in einer gemeinsamen Studie von April für die Bodenwertsteuer:
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Angesichts der mittlerweile erreichten Dringlichkeit der wohnungspolitischen Aufgaben und der weithin anerkannten Vorteile einer Bodenwertsteuer (…) sollte ein neuer Anlauf unternommen werden, ein überzeugendes Konzept für die Bodenwertsteuer zu erarbeiten.
Die Regierungskoalition zeigt kein Interesse an einer Reform, und die Opposition schweigt, konzentriert sich ebenfalls auf die Einkommensteuer. Doch in der nächsten Legislaturperiode wird sich das ändern müssen. Denn bald dürfte sich das Verfassungsgericht mit der Grundsteuer befassen. Der Bundesfinanzhof hält sie wegen der veralteten Einheitswerte bereits für verfassungswidrig. Thilo Schaefer, Abteilungsleiter beim IW, appelliert an die Politik, die erwartbare Reformauflage aus Karlsruhe für eine grundlegende Neuausrichtung zu nutzen. „Wann hat man schon einmal die Chance, eine Steuer grundlegend zu reformieren?“
Einfacher und gerechter
Einfacher zu bemessen und zu erheben wäre die Bodenwertsteuer ohne Belastung der Grundstücke zudem noch. Denn Bodenrichtwerte und Flächengrößen sind bekannt. Auch wenn die Daten von uneinheitlicher Qualität seien, könnte man mit diesen erst einmal loslegen, so Schaefer. Die Gebäudewerte zu ermitteln sei dagegen viel komplizierter und würde sehr lange dauern. Ein Grund dafür, dass es politisch so schwierig ist, Konsens für eine Bodenwertsteuer zu erzielen, sieht Schaefer ebenso wie Dirk Löhr, Professor für Steuerlehre und ökologische Ökonomik in Trier, in den ungleichen Auswirkungen einer Reform auf die Finanzausstattung verschiedener Kommunen. Denn diesen fließt die Grundsteuer zu.
Für mindestens ebenso wichtig hält Löhr Verschiebungen bei der individuellen Steuerbelastung. Derzeit zahlen Besitzer von Einfamilienhäusern relativ wenig Grundsteuer. Da der Bodenwertanteil hier besonders hoch ist, würde deren Belastung selbst bei einer aufkommensneutralen Reform steigen. Übergangsregeln wären nötig und möglich, um übermäßige Belastungen abzufedern, gibt Löhr zu bedenken. So könnte man etwa einen Teil der Steuer stunden, bis ein Haus verkauft oder vererbt wird. Fairer als das bisherige System sei diese Belastungsverteilung jedoch allemal, da die steuerliche Leistungsfähigkeit von Eigenheimbesitzern in der Regel vergleichsweise hoch ist. Derzeit kann es durchaus vorkommen, dass man für ein Eigenheim in guter Lage weniger Grundsteuer zahlt als für eine kleinere Wohnung in schlechter Lage in derselben Stadt.
IW-Ökonom Schaefer verweist allerdings darauf, dass die Mehrbelastung von Einfamilienhäusern meist moderat wäre. „Dramatisch höhere Steuern würden nur bei ungenutzten oder untergenutzten Grundstücken fällig“, merkt er an. Wohnungen in Mehrfamilienhäusern, meistens Mietwohnungen, würden von einer Bodenwertsteuer weniger stark belastet, da der Flächenanteil relativ gering ist. Den Anreizen für Investoren, in den Mietwohnungsbau zu investieren, würde das guttun, zumal Bauinvestitionen nicht mehr zu höherer Grundsteuer führen würden – wie dies bisher der Fall ist.
Löhr hat zwar durchgerechnet, wie sich die Grundsteuerbelastung bei verschiedenen aufkommensneutralen Reformalternativen verschieben würde. Besser fände er es allerdings, wenn die Reform nicht aufkommensneutral wäre, sondern durch die Bodenwertsteuer andere Steuern mit schädlichen Wirkungen ersetzt würden, etwa die Gewerbesteuer. Unter Verteilungsgesichtspunkten sollte man auch an die Mehrwertsteuer denken.
[20.7.2017]