Leserbriefe zu „Die politischen Pole sind nicht mehr rechts und links“

Die politischen Pole sind nicht mehr „rechts“ und „links“ sondern „systemkritisch“ und „systemkonform“
20. 05. 2024 | Nach meinem Beitrag zum „Totalitarismus der extremen Mitte“ hat sich eine interessante Leserdiskussion dazu entsponnen, was „rechts“ und „links“ heutzutage noch bedeutet. Diese Diskussion finde ich in Hinblick auf die gerade stattfindende Neuordnung unseres Parteiensystems und die Polarisierung der Gesellschaft sehr wichtig. Deshalb will ich hier die Thesen aus der Diskussion präsentieren, die mir besonders erhellend erscheinen, und ein eigenes Fazit ziehen.

Ralf Krämer: Links und rechts haben noch ihre Bedeutung

meines Erachtens ist die Entgegensetzung systemkritisch – systemkonform noch weniger als links – rechts geeignet als allgemeine Kennzeichnung der politischen Pole. Die Frage ist eher, ob es noch Sinn macht, von nur zwei politischen Polen auszugehen. Und es muss differenziert werden, auf was sich die jeweils polarisierenden Begriffe beziehen.

Bei System stellt sich doch unmittelbar zwingend die Frage, was damit im Kern gemeint ist, was wesentlich „das System“ bestimmt, zu dem man sich entweder kritisch oder konform verhält. Reden wir über Kapitalismus als System, wo dann sowohl relativ freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratien als auch faschistische Diktaturen und Terrorherrschaft Ausprägungen sein können, was dann auch sehr relevant ist, oder schließen wir uns der Legende von der angeblich „liberalen Demokratie“ (auch wenn die real immer illiberaler wird) als System im angeblichen Gegensatz zum Autoritarismus an – wobei in der Wirklichkeit dies m.E. Verschleierungsbegriffe sind, weil es darum real nicht geht, sondern um die Frage, ob man geopolitisch auf der Seite der US-geführten imperialistischen Blocks steht oder dagegen. Oder soll „System“ einfach das jeweils Gegebene bezeichnen, wo sich dann jeder aussuchen kann, was er als wesentlich betrachtet und wogegen er evt. kritisch ist? Das wäre m.E. offensichtlich hohl und würde zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern völlig unterschiedliche Ausrichtungen haben.

Es geht bei politischen Polen doch grundsätzlich um Ausrichtungen, nach denen man politisch gestalten will. Da scheint mir links – rechts weiterhin grundsätzlich geeignet, wenn auch hier zu bestimmen ist, worauf sich das Gestaltungsinteresse vorrangig beziehen soll, und es Verwirrung durch die tagespolitische Verwendung und Zuordnung der Begriffe gibt, die sich davon entfernen. Sie schreiben selbst von ihren „traditionell linken Vorstellungen (…), mit einem hohen Maß an Freiheit und Gemeinwohlorientierung und einem verträglichen Maß an Ungleichheit“. Was soll daran nicht mehr relevant sein als Maßstab?

Norberto Bobbio hat das Thema recht grundlegendn in seinem 1994 erschienenen Buch „Rechts und links“ behandelt. Es ist lange her, dass ich es gelesen habe, aber als zentrales Kriterium macht er das am Prinzip der Gleichheit fest, dass Menschen grundsätzlich als gleich betrachtet werden, was m.E. bedeutet, dass Abweichungen davon möglichst vernünftig durch gute Gründe gerechtfertigt sein sollten. Und da Freiheit ein allgemeines Bedürfnis ist, gilt das insb. auch für Einschränkungen der Freiheit, dass sie entsprechend begründet sein müssen. Persönliche Merkmale wie Hautfarbe, Geschlecht, Ethnie, politische oder religiöse oder weltanschauliche oder sexuelle Orientierungen oder bloße Tradition sind keine akzeptablen Begründungen für Ungleichheit und Ungleichbehandlung.

Bei sozialer Ungleichheit innerhalb und zwischen Gesellschaften ist zu diskutieren, wie sie begründet ist. M.E. ist sie aus linker Sicht akzeptabel, wenn sie auf eigener Arbeit und in gewissem Maße auf freiwilliger Übereignung der Produkte resultiert und begrenzt ist, und abzulehnen und zu reduzieren, wenn sie zu groß wird und auf Ausbeutung beruht, also der Aneignung fremder Arbeit ohne entsprechende Gegenleistung, was in aller Regel zusammenhängt. Persönliches Eigentum in diesem Rahmen, aus dem nicht soziale Herrschaft/Ausbeutung und politische Macht folgt, ist sinnvoll. Daraus folgt nicht ein unbeschränktes Recht auf Migration, sondern das gilt, weil die Realität so strukturiert ist, innerhalb der jeweiligen Gesellschaften und zwischen den in Staaten organisierten Gesellschaften (da dann ausgedrückt in der UN-Charta als Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten – und begründet verbunden damit, dass Gewalteinsatz verboten ist und Frieden das Ziel).

Die Frage ist dann natürlich, was daraus konkreter politisch folgt und auch, was da auch im Namen der Gleichheit ggf. an Verfehlungen bis zu Verbrechen auftreten, wodurch aber das Prinzip nicht erledigt wird. Der Stalinismus oder auch ein autoritärer Sozialismus in gemäßigter Form wie in der DDR machen das Prinzip links nicht kaputt, so wie rechts nicht gleich faschistische Diktatur und Terrorherrschaft ist und Christentum nicht gleich Inquisition und Kreuzzüge mit Feuer und Schwert und Islam nicht gleich IS. Schon gar nicht kann man Marxismus damit in Verbindung bringen, der im Kern eine wissenschaftliche Herangehensweise mit einer Parteilichkeit für Gleichheit ist und kein politisches System.

Man muss dann also konkreter werden, was prägt die Begriffe und die politischen Auseinandersetzungen heute, auf welche Felder beziehen sie sich und mit welchen Methoden. Da gibt es dann mehr als zwei Dimensionen, obwohl m.E. die soziale Dimension, die materielle Ungleichheit, zentral bleibt. Aber in der öffentlichen Diskussion sind zunehmend andere Fragen und Haltungen zentral mit dem Wort „links“ verbunden, und das macht das Problem und die Verwirrung, und dazu kommen die unterschiedlichen Haltungen zum Staat und seiner Politik, im Innern wie international. Diese sind aber m.E. wesentlich geprägt von Machtgruppen, deren Macht letztlich in ökonomischer Macht und übermäßigem Reichtum fundiert ist und deren Interesse letztlich ein kapitalistisches ist, diesen Reichtum und diese Macht weiter zu vergrößern und gegen Widersacher durchzusetzen. Darum müssten m.E. Linke sich in Opposition dazu bewegen, also systemkritisch sein.

Der Mainstream derjenigen, die als gemäßigt bzw. bürgerlich links gelten, ist aber nicht kritisch, sondern systemkonform. M.E. haben sie damit faktisch eine linke Position aufgegeben, das wird aber nicht so dargestellt. Sondern sie behaupten, links sei heute Einsatz für diverse identitätspolitische und kulturelle Anliegen, ggf. auch mit autoritären Methoden, und für den angeblich guten und freien Westen im Kampf gegen die angeblich Bösen in Russland, China und anderswo, auch militärisch, statt für Frieden und Zusammenarbeit. Letzteres ist m.E. in Wirklichkeit rechts und nicht links, und soweit die anderen Anliegen mittels der Staatsmacht und Medienmacht und Diffamierung und Repression gegen Andersdenkende betrieben wird, in Formen der „extremen Mitte“, ist es auch eigentlich rechts, weil es die dahinter stehende Herrschaft und Macht des Großkapitals und der Eliten stützt statt dagegen aus Gründen der Kritik ungerechtfertigter Ungleichheit kritisch zu sein.

Daher taugt m.E. ernsthaft oder wissenschaftlich betrachtet das links-rechts-Schema durchaus noch zur Analyse, allerdings tritt es dann in erheblichem Maße in Widerspruch dazu, was im alltäglichen unreflektierten und manipulierten politischen Sprachgebrauch mit diesen Wörtern verbunden wird. Darum unterstütze ich, dass das BSW auf diese Begriffe verzichtet (die WASG, an deren Bildung ich 2004 maßgeblich beteiligt war, hatte auch darauf verzichtet). Es ist auch nötig und möglich, vernünftige und wohlmeinende Menschen zu gewinnen und einzubeziehen, die sich selbst nicht als links verstehen. Das hat natürlich m.E. Grenzen, weder offener Rassismus oder Sexismus noch eine gegen sozial benachteiligte Menschen und für brutale Ausbeutung eintretende Haltung, wie sie sich bei manchen Rechten finden, kann m.E. akzeptiert werden.

Die Frage der Ökologie und des Klimaschutzes ist noch eine besondere und hängt wesentlich davon ab, wie man das Problem und die Lösungsmöglichkeiten in der Sache beurteilt. Wichtig ist aber auch hier, dass die soziale Seite dabei zentral beachtet werden muss.

Beste Grüße aus Berlin

Ralf Krämer

Franz Schneider zur Rolle der Geldwirtschaft und BSW

Hallo Herr Häring,

wenn Herr Ralf Krämer richtigerweise von der „Ausbeutung … also der Aneignung fremder Arbeit ohne entsprechende Gegenleistung“ spricht, dann ist das nur ein Teil der Wahrheit. Er ist als Marxist fixiert auf die Produktionssphäre. Sie blendet die noch viel gravierendere Ausbeutung der Menschen in der Zirkulationssphäre des Geldes aus. Den größten leistungslosen „Fremdkörper“, den wir in unserer Finanz- und Wirtschaftsordnung haben, ist der leistungslose Zins. Karl Marx und (der Vorwurf gilt weniger) Friedrich Engels starben einfach zu früh, um die verheerenden Wirkungen des Zinses (und auch der Bodenrente) im heraufziehenden Finanzkapitalismus klar zu erkennen und einzuordnen.

Zinskritik in Deutschland ist ein heißes Eisen, dank unserer tollen Historie. Sie muss dennoch kommen. Zuvor muss sie aber von allem antisemitischen Gestrüpp befreit werden. Ich verweise hier etwa auf den Historiker und Schulmann Rolf Geiger, der nachweist, dass bis heute noch solches Denkgut wie das vom „Geldjuden“ u.a.m. durch das Land wabert. Auch Werner Onken („Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“) leistet hier mit seinem dreibändigen Werk verdienstvolle Arbeit.

Dass Marx den Blick auf die Produktionsshäre fixierte ist aufgrund der verheerenden Zustände in den Produktionsstätten des 19. Jhdts mehr als verständlich. Nicht zu akzeptieren aber ist, dass Sahra Wagenknecht und ihre BSW – mit den nötigen Abänderungen – letztlich das Gleiche tun. Warum? Weil sie ganz genau weiß, wo der Hase im Pfeffer liegt. Sie weiß sehr wohl, was „leistungslose Einkommen“ sind und welche unglückselige Rolle der Zins dabei spielt. Aber sie hat den Mut nicht (warum nicht?) dies offen in ihrem Programm zu benennen. Dafür kapriziert sie sich auf die Monopolgewinne, was nicht falsch ist, aber die eigentliche Ursache der Problamatik klammert sie aus.

Die immer weiter zunehmende Verteilungs- und Armutsproblematik wird nicht in den Griff zu bekommen sein, wenn nicht die Zinsproblematik und die damit nicht zu trennende Verschuldungsdynamik angegangen wird. Zu glauben, dass dem Problem durch nachträgliche Steuerumverteilung zu Leibe gerückt werden könnte, kommt einer illusoniären Überschätzung dieses – sowieso äußerst korruptionsanfälligen – Instruments gleich. Vor dieser UMverteilung hat die entscheidende VERteilung schon längst stattgefunden. Aber da scheinen solche, die sich rühmen die echten Linken zu sein, taub und blind zu sein.

Franz Schneider, Saarbrücken

A. Storz: „Links“ passt zur Agenda des Weltwirtschaftsforums

der Leserbrief von Herr Krämer ähnelt für mich auffallend dem Leserbrief von Herrn Becker zum Artikel „Totalitarismus der extremen Mitte„. Auch Herr Krämer sieht wie Herr Becker als zentrales Element von „links“ die Gleichheit. Aber nochmal: was nutzt uns Gleichheit wenn alle gleich WENIG Rechte haben wie es etwa beim Weltwirtschaftsforum angedacht ist: „Ihr werden nichts haben (also auch keine Eigentumsrechte) und glücklich sein“?

Das kann es doch nicht sein. Herr Krämer schreibt, dass Einschränkungen begründet sein müssen. Dabei unterschlägt er, dass unter den angeblich Gleichen immer „Gleichere“ sein werden (Diktatoren, Funktionäre, Geld-oder sonstiger „Adel“, …), die dann die Freiheiten Anderer einschränken. Wo und was ist da die Freiheit und Gleichheit?

Die einzige mögliche Freiheit bietet nicht „links“, nicht „rechts“, sondern konkrete Basis-Beteiligungs-Demokratie. Nur wer über seine eigenen Angelegenheiten (zusammen und in der Gemeinschaft) selbst mitbestimmen kann, ist tatsächlich frei. Denn Freiheit hat letztlich immer etwas mit der Zustimmung zu unvermeidbaren Einschränkungen dieser Freiheit zu tun. Nur wer diese mit aushandeln kann, ist frei! Und wer das ausblendet argumentiert unlauter.

Wer sich heute als „links“ begreift und dabei einfach völlig ignoriert, das praktisch alle Forderungen des Weltwirtschaftsforums (WEF) bei „Linken“ wiederzufinden sind – oder andersrum: Forderungen der „Linken“ zu fast 100% mit der WEF-Agenda übereinstimmen – und dabei doch wie Herr Krämer „übermäßigen Reichtum“ beklagt, muss doch blind sein, tut mir leid das so sagen zu müssen. Die WEF-Agenda ist doch daraus abgeleitet, dass diese übermäßig Reichen eben doch genau damit noch reicher (oder eher noch mächtiger) werden wollen. Da muss man doch als „Linker“ doch wohl die Frage stellen, wie es sein kann dass die Agenda des WEF und angeblich „linke“ Forderungen so übereinstimmen können. Sind die „Multimillardäre“ dumm – oder die „Linken“? (Und das Märchen von der Schwerstreichen-Philanthropie wird man doch hier nicht ernstlich glauben wollen)

Und um das nochmal zu betonen: das „links“-„rechts“-Schema ist ein Denkverhinderungs- und Spaltungsschema: erstens gibt es vielmehr politische Gestaltungsmöglichkeiten als Punkte auf einer Linie zwischen den zwei Polen „links“ und „rechts“ und zweitens dient das überdeutlich beobachtbar nur zu Einem: zur Spaltung und damit Beherrschbarmachung der Gesellschaften.

Das Politische ist vieldimensional und nicht auf einer eindimensionalen Linie zwischen den Polen „links“ und „rechts“ abbildbar! Das will man uns nur einreden um zwei „Mannschaften“ zu haben, die sich dann gegeneinander aufstellen – anstatt gemeinsam gegen die unverdient und pervers Superreichen aufzustehen.

Wenn wir Menschen nicht endlich diese ideologischen Scheuklappen abnehmen, wird das aber nie was.

MfG

A. Storz

 

 

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